Corona-Bilanz: Arbeiten im Homeoffice Die Dauer-Heimarbeit verträgt nicht jeder
Insgesamt ist die Corona-bedingte Arbeit im Homeoffice immer noch populär – doch die Isolation kann negative, psychologische Pandemie-Effekte verstärken.
Insgesamt ist die Corona-bedingte Arbeit im Homeoffice immer noch populär – doch die Isolation kann negative, psychologische Pandemie-Effekte verstärken.
Stuttgart - Was im Frühjahr für viele Arbeitnehmer neue, auch mit technischen Anlaufschwierigkeiten verbundene Erfahrung war, ist inzwischen Normalität geworden. In der Corona-Krise ist in vielen Unternehmen das Büro zu Hause, neudeutsch: Homeoffice, von der Kür zur Pflicht geworden. Doch während anfangs und bis in den Sommer hinein eine ganze Reihe von Studien die Befindlichkeit der Arbeitnehmer abfragte und dabei sowohl von Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite aus eine insgesamt positive Bilanz zog, sind Erkenntnisse über die Folgen des flächendeckenden Homeoffice-Marathons in der zweiten Corona-Welle eher Mangelware.
Wie Untersuchungen im Frühjahr und Sommer zeigten, fanden viele Arbeitnehmer den Schritt ins Homeoffice insgesamt positiv. Eine im Auftrag der Krankenkasse DAK vorgenommene Studie sprach – bei einem relativ kurzen Betrachtungszeitraum – von einem deutlich reduzierten Stressniveau bei der Arbeit von zu Hause.
Vor der Pandemie litten demnach 21 Prozent der Beschäftigten unter Arbeitsdruck – in der Corona-Krise waren es nur 15 Prozent. Der Anteil derjenigen, die weitgehend stressfrei durch ihren Arbeitsalltag kamen, stieg von 48 auf 57 Prozent. Zudem sagten mehr als die Hälfte der Befragten, sie seien zu Hause produktiver als im Büro. Mehr als drei Viertel sagten, sie wollten diese Arbeitsform beibehalten.
Auch der digitale Modernisierungsschub, den dieser Prozess auslöste, wurde in dem auf diesem Feld als rückständig geltenden Deutschland als außerordentlich positiv gesehen – und es gibt auch die Erwartung, dass dies so bleiben wird. So hat etwa vor Kurzem der Versicherungskonzern W&W angekündigt, dass er auch nach der Krise verstärkt auf das Arbeiten aus der Distanz setzen werde.
Doch nun ist das Homeoffice zum Dauerzustand geworden, und das Bild wird differenzierter. Beim Blick auf die Auswirkungen auf die Produktivität und das praktische Management der Arbeit sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bleibt das Bild positiv. Doch es gibt auch Stimmen, die vor langfristigen sozialen und psychologischen Auswirkungen warnen. Hier ist das Bild skeptischer. Und dies gewinnt mit längerer Dauer der Krise und auch der zunehmend empfundenen Alternativlosigkeit der Arbeit von zu Hause an Gewicht. Kritikpunkte sind schwieriges Zeitmanagement, mangelnde Grenzlinie zwischen Arbeit und Freizeit, fehlende Bewegung und die Schwierigkeit, den Kontakt zu Vorgesetzten und Kollegen zu halten. Es sind aber vor allem die Stimmen von Psychologen, die dazu mahnen, die langfristigen psychischen Konsequenzen nicht zu unterschätzen. Das positive Bild vom Homeoffice beruhe allzu sehr „auf dem Trend zur Individualisierung der Gesellschaft, die den Menschen auf ein örtlich und sozial ungebundenes Einzelwesen reduziert“, sagt die Hamburger Psychologin und Stadtplanerin Antje Flade. „Im Homeoffice haben die Leute mehr Zeit zum Grübeln und weniger Bewegung“, sagt die Darmstädter Psychologin Ruth Stock-Homburg, die eine Studie zur Befindlichkeit von Büroarbeitern begleitet hat.
Problematisch ist das Heimbüro insbesondere für Arbeitnehmer, die aus anderen Gründen schon durch die Krise angeschlagen sind. Vor allem Menschen mit depressiven Belastungen oder Personen, die ein Risiko der Vereinsamung haben. Für Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK-Krankenkassen (Wido), ist der Schlüssel zu der auf den ersten Blick widersprüchlich wirkenden Bilanz die Tatsache, dass die Betroffenheit in der Corona-Krise nun auf die Haltung zum Heimbüro abfärbt: „Wenn Sie aufgrund der Beschränkungen sowieso weniger Kontakte haben, dann empfinden Sie natürlich auch die Isolation im Büro zu Hause stärker.“ Ähnliches gelte für Singles. Auch sekundäre Faktoren wie die Frage, ob die Kinder zu Hause mitbetreut werden müssten, färbe unter Umständen auf ein stärker negatives Urteil ab: „Da war aber bisher die Situation im zweiten Lockdown besser als im Frühjahr, wo ja Schulen und Einrichtungen für Kinderbetreuung geschlossen waren.“ Wegen der Schulschließungen kurz vor Weihnachten aber stürzten Eltern erneut in ein Betreuungsproblem. Insgesamt hält der AOK-Experte die Erfahrung mit der Arbeit zu Hause für die meisten Arbeitnehmer weiterhin für positiv. Insbesondere beim Wettbewerb um Höherqualifizierte seien derartige Angebote ein Muss. Was jedenfalls die gesundheitlichen und psychischen Konsequenzen angehe, dürfe man eine oft vernachlässigte Gruppe nicht aus dem Auge verlieren: Menschen, die gar nicht zu Hause arbeiten können und deshalb insgesamt einem höheren Corona-Risiko ausgesetzt gewesen seien. „Es gibt genügend Menschen, die sich am Arbeitsplatz infiziert haben, auch Jüngere – mit teilweise schweren, langfristigen Folgen.“