In Rekordzeit krempelt Jörg Noetzel den Klinikverbund Südwest für den Corona-Ansturm um. Noch spricht er von der „Ruhe vor dem Sturm“, sagt aber: „Wir sind bereit.“

Leonberg - Kein Kaffeeduft empfängt einen zurzeit, wenn man zum Leonberger Krankenhaus läuft. Der „Pavillon“, das bisherige Café, ist komplett geräumt und umfunktioniert worden. Es werden keine Kuchen ausgegeben, keine Brötchen geschmiert, sondern Patienten untersucht. Zehn Untersuchungsplätze haben die Ärzte im Pavillon zur Verfügung, belegt sind meistens zwei bis drei.

 

Der Pavillon ist nur das äußere Zeichen dessen, was zurzeit überall beim „Klinikverbund Südwest“ passiert. Sechs Häuser, von Leonberg im Norden bis Nagold im Süden, verwaltet der Krankenhauskonzern, der den beiden Landkreisen Böblingen und Calw gehört. Und nur noch wenig ist so, wie es vor der Corona-Krise war.

„Es klappt, wie ich finde, sehr gut. Ich muss meinen Mitarbeitern ein großes Kompliment machen“, sagt Jörg Noetzel, der Klinikgeschäftsführer. Am Skype-Telefon, wie es sich für diese Tage gehört, erklärt er zusammen mit Landrat Roland Bernhard, dem Klinikverbund-Aufsichtsratschef, was er und seine etwa 5000 Mitarbeiter stemmen müssen.

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Zum Beispiel mit dem Pavillon in Leonberg, der in einer Ad-hoc-Aktion zur Fieberambulanz umgebaut worden ist. Zusätzlich zur regulären Notfallaufnahme gibt es jetzt diese Einrichtung. Schilder weisen darauf hin: Wer mit fiebrigem Infekt kommt oder Husten hat, muss zuerst in die Fieberambulanz. Im Pavillon schauen Ärzte dann, ob jemand Anzeichen von Corona hat. Ist das so, kommen die Patienten solange auf die Isolierstation, bis das Testergebnis vorliegt.

Fieberräume zum Schutz

An allen Standorten hat der Klinikverbund solche Fieberräume den regulären Patientenaufnahmen vorgeschaltet. „Es geht zum einen um den Schutz des Personals – dem wichtigsten Gut eines Krankenhauses“, erklärt Noetzel. „Zum zweiten geht’s aber auch um den Schutz der übrigen Patienten im Krankenhaus.“ Es muss unbedingt verhindert werden, dass das Coronavirus eingeschleppt wird.

In den Häusern steht der reguläre Betrieb zurzeit weitgehend still. Besucher kommen auch nicht mehr rein, in dieser Woche hat der Klinikverbund das Verbot auch für Väter von Babys auf der Wochenbettstation ausgeweitet. Nur noch zur Hälfte sind die Kliniken im Kreis Böblingen belegt. 500 freie Betten stehen damit in Böblingen, Sindelfingen, Leonberg und Herrenberg bereit. Alle verschiebbaren Operationen sind abgesagt, alle nicht unbedingt nötigen Sprechstunden finden nicht statt. Stattdessen muss der Klinikverbund im Kreis Böblingen derzeit 68 an Covid-19 erkrankte Menschen behandeln, 20 davon müssen beatmet werden. Allein in Leonberg liegen zwölf Covid-19 erkrankte Patienten, vier werden beatmet.

Bereit für den Katastrophenfall

Von Einrichtungen der Vollversorgung hat Noetzel den Konzern in kürzester Zeit umoperiert in einen Betrieb, der bereit ist für den Katastrophenfall. „Alle Kraft investieren wir derzeit in die Erhöhung der Intensivbetten“, sagt der Klinikchef. „Dafür wandeln wir Bereiche um, die bislang nicht als Beatmungsplätze dienten.“

Zum Beispiel Aufwachräume, Operationssäle oder Herzkatheterstationen. 33 Betten mit Beatmungsmöglichkeit gab es vor der Krise im Kreis Böblingen, derzeit sind es 65 Betten, Ziel sind 100. Unterstützung gibt es vom Landratsamt. „Wir haben jetzt in China Beatmungsgeräte bestellt“, berichtet Landrat Roland Bernhard. 35 solcher Geräte hoffe er zu bekommen. „Wir sind guter Dinge.“

Geräte sind das eine. Es braucht jedoch auch Pfleger und Ärzte, die damit umgehen können. Der Klinikverbund hat aufgerufen, dass sich jeder melden solle, der eine pflegerische Ausbildung hat. Die Resonanz sei „enorm“, berichtet Noetzel. Weit mehr als 300 Menschen hätten sich sich registriert. „Wir haben die Telefonnummern, sodass wir sie abrufen können, wenn es zu einem größeren Patientenaufkommen kommt“, sagt er. Aber auch intern krempelt er das Personal des Klinikverbunds kräftig um. „Weil wir nun weniger Patienten im Haus haben, sind Mitarbeiter frei geworden, die für den Einsatz in Notaufnahmen und in Intensivstationen geschult werden“, berichtet Noetzel.

Zum Beispiel Chirurgen, die etwas Intensiverfahrung mitbringen. Das sei eine breit angelegte Schulungsinitiative, die derzeit in allen Häusern stattfindet.

„Jetzt harren wir der Dinge“

Jörg Noetzel, selbst ein gelernter Chirurg, der nebenbei noch ein betriebswirtschaftliches Studium absolviert hat, zieht ein positives Fazit. „Das ist die Ruhe vor dem Sturm, die wir nutzen“, sagt er. Und: „Jetzt sind wir – so gut wie es eben geht – vorbereitet und harren wir der Dinge, die kommen.“

Denn die Arbeit geht weiter. Die Verwaltung ist mit Dingen beschäftigt, die früher mal selbstverständlich waren, etwa der mühsamen Suche nach Schutzmasken. Ein immenser Aufwand für die Mitarbeiter vom Einkauf ist es, seröse von unseriösen Angeboten zu unterscheiden.

„Wir haben derzeit adäquat und ausreichend Schutzausrüstung“, beruhigt der Klinikchef. „Wir sind aber sehr in Sorge, ob es auch künftig reicht.“ Am heutigen Donnerstag erwartet er eine Lieferung von Schutzmasken in sechsstelliger Anzahl.

Alle sind vernetzt

Nur ein Beispiel für das, was koordiniert werden muss. Mehrere Krisenstäbe treffen sich im Klinikverbund. Es gibt den zentralen Krisenstab, der eng mit den Stäben der Landkreise vernetzt ist, an allen Standorten tagen Krisenstäbe, und auch die ärztlichen Direktoren schließen sich zusammen. „Die lokalen Krisenstäbe kommunizieren viel mit der Belegschaft in den Häusern“, berichtet Jörg Noetzel.

Der 56-Jährige weiß, dass es jetzt auf die Mitarbeiter ankommt. „Klar machen sich viele Sorgen – wir wissen nicht, was auf uns zukommt“, sagt der Chef. Er stellt aber auch fest: „Jeder hilft jedem. Wir haben einen enormen Zusammenhalt in der Belegschaft.“ Der Klinikverbund setzt dafür Kräfte ein, über die Krankenhäuser eben auch verfügen, etwa Psychologen, die normalerweise Krebspatienten betreuen.

Psychologen sind für alle da

„Diese Psychologen-Teams sind ansprechbar für unsere Mitarbeiter, damit sie diese Themen nicht allein mit sich rumtragen müssen“, sagt Christoph Rieß, der Regionaldirektor des Krankenhauses Leonberg. „Im Moment ist die Lage aber noch überschaubar.“

Zehn Menschen, Stand Mittwoch, sind im Kreis Böblingen am Coronavirus schon gestorben. Covid-19 kann sich zu einer schweren Krankheit entwickeln. Muss jemand beatmet werden, muss er durchschnittlich drei Wochen auf der Intensivstation liegen. „Es gibt auch in diesen Tagen positive Nachrichten“, sagt Jörg Noetzel. „Am Dienstag haben wir in Böblingen einen Patienten von der Intensiv- auf die Normalstation verlegen können.“ Das freue ihn und seine Belegschaft.