Die Vereine im Handball, Basketball, Eishockey und Volleyball benötigen bei ihren Spielen möglichst viele Zuschauer – doch die Politik bremst. Klar ist: Bleiben die Corona-Einschränkungen unverändert, sind viele Clubs gefährdet. Spitzenfunktionäre aus den vier Sportarten äußern sich zur Lage.

Stuttgart - Es ist nicht mehr lange hin bis zum Saisonstart im Volleyball, Eishockey, Handball und Basketball. Die Vereine und Verbände freuen sich, dass es endlich wieder losgeht – und machen sich zugleich Sorgen. Weil das Coronavirus auch weiterhin eine wichtige Rolle spielt.

 

Michael Evers: „Hilfen sind wichtig“

Die Volleyball-Bundesligisten haben ihre Hausaufgaben erledigt. Ohne Ausnahme – und ohne Fehl und Tadel. Alle 22 Vereine, elf bei den Frauen, elf bei den Männern, erhielten von den Behörden nach der Einreichung ihrer Sicherheits- und Hygienekonzepte die Bestnote. Nun steht einem erfolgreichen Neustart (am 3. Oktober bei den Frauen und am 17. Oktober bei den Männern) nichts mehr im Weg. „Dann“, sagt Michael Evers, der Chefstratege des SSC Schwerin und Präsident der Volleyball-Bundesliga, „beginnt der Lackmustest.“ Allerdings unter ziemlich unterschiedlichen Vorzeichen.

In Bayern dürfen höchstens 200 Zuschauer in die Hallen, in Mecklenburg-Vorpommern dagegen bis zu 1250 – in einer Sportart, die bis vor kurzem noch für ihre TV-Übertragungen Geld bezahlen musste und in der die Einnahmen aus dem aktuellen Fernsehvertrag kaum ins Gewicht fallen, kann dies durchaus zu einem Ungleichgewicht führen. Je nachdem, wie hoch die Einnahmen aus dem Sponsoring sind, machen die Ticketerlöse bis zu 35 Prozent der Bundesliga-Etats aus. „Bleibt es bei den derzeitigen Vorgaben, werden die angekündigten Soforthilfen des Bundes für einige Vereine sehr wichtig sein“, sagt Michael Evers, „und dennoch befürchte ich, dass der eine oder andere Club in größere Schwierigkeiten kommen wird.“

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Dennoch verteidigt Evers, dass es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Regelungen gibt. „Man kann doch nicht zulassen, dass halb Deutschland in Mecklenburg-Vorpommern Urlaub macht“, sagt er, „und dort dann zugleich, trotz deutlich geringerer Infektionszahlen als anderswo, das sportliche Leben lahmlegen. Stattdessen sollten wir zusehen, möglichst schnell wieder überall in Deutschland zum normalen Leben zurückkehren zu können.“

Was aus Sicht des Liga-Präsidenten nicht nur für Volleyball wichtig wäre. Evers, der auch den Olympiastützpunkt in Schwerin leitet, befürchtet, dass sonst der gesamte Sport durch das Virus nachhaltig beschädigt wird. „Natürlich leidet die Nachwuchsarbeit in einer Pandemie“, sagt der Multifunktionär, „ich gehe davon aus, dass die Mitgliederzahlen in den Vereinen erheblich zurückgehen werden.“ Weshalb die Hoffnung von Evers ist, dass das Corona-Dilemma am Ende auch etwas Positives hat: „Schön wäre, wenn das Ganze als Übung dienen würde, um für künftige Krisen besser gewappnet zu sein.“

Ein Virus mit Lerneffekt? Das wäre eine ganz besondere Note. (jok)

Franz Reindl: „Clubs sind in akuter Not“

München - Die Clubs aus der DEL kämpfen. Sie kämpfen um ihre Fans, um Zuschauer in den Arenen, wenn die Saison am 13. November beginnt. Die 14 Vereine haben ausgeklügelten Hygienekonzepte für die Hallen entworfen, diese den Gesundheitsämtern vorgestellt – und hoffen nun, die Politik möge die Vorgaben lockern und die Freunde der Puckjäger in die Arenen fließen lassen. „Die Clubs sind in akuter Not“, betont Franz Reindl, „aber noch ist die Lage überschaubar. Wenn aber die Saison beginnt und nur geringe Zuschauerzahlen zugelassen sind, ist eine Saison wirtschaftlich nicht vorstellbar.“ Dann rutschen die Vereine von Bremerhaven bis Schwenningen in die Krise, denn die Zuschauereinnahmen decken zwischen 50 und 60 Prozent der Etats. Die Gehälter der Profis müssen aber bezahlt werden, sie machen zwei Drittel des Etats aus. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Die bislang letzte Insolvenz eines DEL-Clubs gab es in der Saison 1997/1998, damals erwischte es Kaufbeuren.

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Wenn regionale Unterschiede bei den Zuschauer-Auslastungen gelten würden, damit könnte der DEB-Präsident leben. „Wir halten nichts von einer länderspezifischen Lösung“, sagt Reindl, „wir würden eine lokal-spezifische Lösung bevorzugen.“ Soll heißen: wo die Infektionslage weniger dramatisch ist, dürfen mehr Fans in die Stadien; wo sie höher ist, wird die Auslastung gesenkt. Ländergrenzen taugen aus Sicht des 65-Jährigen dazu nicht. Eine nennenswerte Wettbewerbsverzerrung sieht der Bayer in unterschiedlichen Auslastungen nicht.

In Bayern, wo fünf DEL-Clubs beheimatet sind, sind Fans noch ausgesperrt, in Nordrhein-Westfalen (vier Clubs) liegt die Grenze bei 300, in Baden-Württemberg und Niedersachsen (je zwei Clubs) bei 500 und in Berlin (ein Club) sind sogar noch mehr möglich. „Corona ist kein Länder-spezifisches Problem, das an einer Grenze halt macht“, betont Reindl: „In Österreich und der Schweiz spielen sie vor Fans, und wenn die Zwangspause bei uns zu lange dauert, haben wir im internationalen Vergleich einen Nachteil.“ (jük)

Axel Kromer: „Wir brauchen die Emotionen“

Das ist so wohltuend für das Handball-Herz.“ Axel Kromer, der Vorstand Sport des Deutschen Handballbundes (DHB), spricht von den Spielen um den BGV-Cup. Er selbst war am ersten Spieltag in der Scharrena unter den knapp 500 zugelassenen Zuschauern – jetzt hofft er, dass das Turnier trotz des Corona-Falls beim TVB Stuttgart wie geplant weiter geht und der Testlauf erfolgreich endet. Mit der Folge, dass – wenn schon nicht zum Bundesligastart am 1. Oktober – zumindest in den folgenden Wochen und Monaten wieder mehr Besucher in die Hallen dürfen. „Wenn nicht, besteht für viele Vereine in unterschiedlichen Ligen eine große Gefahr, noch größere Probleme zu bekommen“, sagt der 43-Jährige. Im Schnitt 25 bis 30 Prozent des Etats eines Bundesligisten speist sich aus Zuschauereinnahmen. 60 Prozent kommen aus dem Sponsoring, wobei die Posten sich zum Teil überschneiden.

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Halten die Zuschauereinschränkungen über Monate an, ist die Existenz eines jeden Clubs in der Bundesliga bedroht, dann wird es Vereine geben, die aufgeben müssen – darüber gibt unter Branchenkennern keine zwei Meinungen. Kromer aber hat auch die Basis im Blick. „Wenn die Kinder die Spiele nicht sehen können, sie ihren Vorbildern nacheifern können, dann ist das schlecht für die Sportart. Wir brauchen die Emotionen auch für den Nachwuchs“, sagt Kromer. Und wie bewertet er die regionalen Unterschiede? In Bezug auf die Jugend sieht er etwa die Regelung in Bayern, den Kinderhandball komplett auszusetzen, kritisch: „Bleibt das so, dann geht die Bindung zum Sport verloren.“ Mit Blick auf die Zuschauer-Kapazitäten wünscht er sich eine bundesweit einheitliche Regelung, doch das Thema Wettbewerbsverzerrung relativiert er: „Wenn in einer Region durch geringere Infektionszahlen mehr Zuschauer erlaubt sind, als anderswo, sollte man dies nicht von oben herab verbieten und dadurch einen Club möglicherweise Richtung Insolvenz treiben.“

In Sachen Nationalteam erhofft sich Kromer, dass die WM in Ägypten wie geplant stattfindet. „Wir brauchen diese Bühne für unserer Sportart ganz dringend.“ Am Hygienekonzept werde akribisch gearbeitet. Mit deutscher Unterstützung übrigens. (jüf)

Alexander Reil: „Nicht jammern, kreativ sein“

Nein, auch Alexander Reil hält nichts vom Blick in die Glaskugel. „Keiner weiß doch, was in vier Wochen ist“, sagt der Vorsitzende der MHP Riesen Ludwigsburg und Präsident der Basketball-Bundesliga (BBL). Fest steht dagegen: Die BBL hatte schon früh auf die Auswirkungen der Corona-Krise reagiert: Die Vereine müssen für die Lizenzerteilung zur Saison 2020/21 (Ligastart 6. November) keine drei Millionen Euro Mindest-Etat aufweisen, sondern nur ein ausgeglichenes Ergebnis präsentieren. Auch die vorgeschriebene Anzahl von hauptamtlich Beschäftigten ist reduziert.

Seit Wochen arbeiten die BBL-Vereine an einem Hygienekonzept, um die Begrenzung auf die in Baden-Württemberg gültige Höchstmarke von 500 Zuschauern erhöhen zu dürfen. Reil: „Wir haben Konzepte mit verschiedenen Besucherzahlen – und müssen schauen, was wir genehmigt bekommen.“ Er macht allerdings auch klar: „Unter 1200 Zuschauern ergibt es keinen Sinn.“ Denn dann wären die Ausgaben höher als die Einnahmen.

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Im Basketball speist sich rund ein Drittel des Etats aus Ticketerlösen. Wie hart die Zuschauerbeschränkung den einzelnen Club trifft, hänge auch von der Art und Weise des Wirtschaftens in der Vergangenheit ab. Wer seriös und konservativ agierte, Rücklagen bildete, ist im Vorteil. Viel komme auch darauf an, wie sich die Sponsorenlandschaft zusammensetzt. Die größten Geldgeber der Riesen, wie MHP, Stadtwerke, Totto-Lotto oder Sparda-Bank, sind von der Krise im Branchenvergleich weniger hart betroffen. „Wir sind grundsätzlich gut aufgestellt“, sagt Reil. Seine Empfehlung: „Sich weniger über die furchtbare Situation beklagen, sondern kreative Ideen entwickeln“. Zum Beispiel: Durch die fehlende Nähe zwischen Team und Fans auf allen Kommunikationskanälen möglichst häufig präsent zu sein. (