Schulfrei bis Ostern? Diese Reaktion auf die Corona-Epidemie hält die Landesregierung für überzogen. Studenten aber sollen erst einmal zu Hause bleiben, der Vorlesungsbeginn wird verschoben. Und Großveranstaltungen sind ab sofort verboten.

Stuttgart - Der Versuch von Staat und Politik, die Ausbreitung des Coronavirus zu verzögern, hat auch Konsequenzen für die Hochschulen: Der Start des Sommersemesters ist per Erlass bis nach Ostern verschoben. Laut Wissenschaftsministerium betrifft die Vorgabe aber nur den Vorlesungsbetrieb, nicht die Forschung und Prüfungen – an der Uni Hohenheim gibt es nach einem Verdachtsfall stärkere Sicherheitsvorkehrungen. An den Hochschulen für angewandte Wissenschaften würde das Semester am kommenden Montag starten, an den Unis Anfang April.

 

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Zudem hat Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) am Mittwoch Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern mit sofortiger Wirkung und unbefristet verboten. Sie müssten abgesagt oder ohne Zuschauer durchgeführt werden. Bei kleineren Veranstaltungen sei eine individuelle Einschätzung nötig.

Kultusministerin gegen pauschale Schließung

Das präventive Schließen sämtlicher Schulen im Land steht jedoch nicht an: „Zum jetzigen Stand sind flächendeckende und pauschale Schließungen von Schulen und Kitas nach wie vor nicht das Gebot der Stunde“, reagierte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) auf die Forderung des Philologenverbandes Baden-Württemberg. Sie nannte diese „unverantwortlich“.

Der Verband der Gymnasiallehrer hatte am Mittwoch verlangt, alle 4500 Schulen bis zu den Osterferien zu schließen. „Wenn nicht sofort drastische Maßnahmen zur Eindämmung eingeleitet werden, könnten in drei Wochen in Baden-Württemberg Zehntausende infiziert sein“, heißt es in einer Mitteilung des Verbands. Schulschließungen seien zwar mit Härten verbunden, notwendig seien aber „gesamtgesellschaftliche, solidarische Anstrengungen“, so der Gymnasiallehrerverband, den die Sorge umtreibt, dass das anstehende Abitur nicht wie geplant stattfinden kann. Das Kultusministerium hat dafür vorsichtshalber bereits Termine zum Nachschreiben reserviert.

„Mit Spatzen auf Kanonen“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), mit 49 000 Mitgliedern die größte Bildungsgewerkschaft im Land, hält von der Forderung der Kollegen gar nichts. „Das wäre mit Kanonen auf Spatzen geschossen, wir haben derzeit keine Katastrophenlage“, sagte GEW-Landeschefin Doro Moritz unserer Zeitung. Die Philologen stellten in Frage, ob die verantwortlichen Stellen des Staates die richtigen Entscheidungen treffen, hätten jedoch selbst für die Risikoeinschätzung keinerlei Expertise.

Gesundheitsminister Lucha wies darauf hin, dass der Schulbetrieb grundsätzlich keine Großveranstaltung darstelle, da der Aufenthalt in der Schule überwiegend in kleinen Gruppen stattfinde. Ohnehin spielten Kinder nach jetzigem Kenntnisstand bei der Übertragung des Virus nur eine geringe Rolle. Auch der bildungspolitische Sprecher der Landtags-SPD, Stefan Fulst-Blei, hält die Forderung der Philologen für überzogen: „Die Einschätzung über eine landesweite Schulschließung muss den Experten in den Krisenstäben der Landesregierung überlassen werden.“ Wer dies fordere, müsse auch an die Eltern denken und Antworten für die Betreuung der Kinder liefern. Wegen eines infizierten Lehrers wurde am Mittwoch allerdings das Rechberg-Gymnasium in Donzdorf für zwei Wochen geschlossen.

Exportrückgang trifft Land besonders

Die Corona-Krise macht auch der Wirtschaft stark zu schaffen. Mehr als die Hälfte der Firmen klage bereits über Einbußen, weil Produktion und Exporte stockten, Veranstaltungen abgesagt würden und der Konsum sinke, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) im Landtag. Während im Januar noch ein Wachstum von 0,2 Prozent erwartet wurde, geht die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) mittlerweile davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2020 um 0,8 Prozent sinken könnte. Mit Landesbürgschaften, Überbrückungskrediten, Steuerstundungen und anderen Hilfen will das Land Unternehmen über die kritische Zeit hinweghelfen – wie bereits während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008.

CDU: EU soll Strafzahlungen aussetzen

CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart forderte außerdem, die EU solle die Strafzahlungen aussetzen, die vielen Automobilherstellern drohen, weil ihre Flotten die vorgeschriebenen CO2-Grenzwerte überschreiten – und erhielt dafür Unterstützung von seinem FDP-Kollegen Hans-Ulrich Rülke. Nach Schätzungen drohen den Autokonzernen in Deutschland 2021 Strafen in Höhe von fast 15 Milliarden Euro, darunter 4,5 Milliarden Euro für Volkswagen, 997 Millionen Euro für Daimler.

Die Grünen-Abgeordnete Andrea Lindlohr erklärte, zur Bewältigung der Krise würden auch Mittel aus den Rücklagen für Haushaltsrisiken bereitgestellt. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch wies die Forderung nach Unternehmenssteuersenkungen zurück – der Staat brauche diese Einnahmen, um weiter handlungsfähig zu sein. Die AfD-Abgeordnete Carola Wolle erklärte, Bund und Land verharmlosten die Krise. Sie müssten in die „Krisenabwehr“ statt in „Neubürger“ investieren.