Im Skiort Ischgl haben sich im März zu Beginn der Pandemie hunderte Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Nun fordern betroffene Touristen Schadenersatz, auch Deutsche sind dabei.

Wien - Im Februar und März wurde Ischgl, das als „Ibiza der Alpen“ gilt, von der Party- zur Corona-Hochburg. Tausende Touristen und Einwohner steckten sich mit dem Virus an; der österreichische Skiort erlangte traurige Berühmtheit. In der Folge gab es harsche Kritik an den Behörden: Sie hätten zu spät reagiert. Nun droht eine Klagewelle.

 

Wer klagt?

Der österreichische Verbraucherschutzverein (VSV), eine private Organisation, hat beim Landesgericht Wien vier Klagen gegen die Republik Österreich eingereicht. Es handelt sich dabei um Zivilklagen, die im Namen von Einzelpersonen erfolgt sind und zunächst als Muster dienen sollen. Drei der Kläger stammen aus Deutschland. In einem vierten Fall klagen die Angehörigen. Denn der Betroffene, der österreichische Journalist Hannes Schopf, starb im April an den Folgen seiner Corona-Erkrankung. Später soll eine Sammelklage folgen – „hauptsächlich für Betroffene, die keinen Rechtsschutz haben“, sagte der VSV-Obmann Peter Kolba, der sich als Verbraucherschützer unter anderem bereits im Dieselskandal mit VW angelegt hat, am Mittwoch in einer Pressekonferenz in Wien.

Wie viele Menschen sind betroffen?

Nach einem Aufruf des Vereins haben sich laut Kolba mehr als 6000 Tirol-Urlauber aus 45 Ländern gemeldet. Rund 80 Prozent von ihnen seien nach ihrer Rückkehr aus Ischgl positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden. Etwa zwei Drittel der Betroffenen stammen aus Deutschland. Mehr als 1000 Personen haben den Verbraucherschutzverein inzwischen bevollmächtigt, sie zu vertreten.

Um was geht es?

Bei den vier Klagen geht es um Schadenersatzforderungen in Höhe von 12 000 bis zu 100 000 Euro. „Primär handelt es sich dabei um Schmerzensgeld“, erklärte der Wiener Anwalt Alexander Klauser, der den VSV vertritt. Zudem gehe es um weitere Entschädigungen, etwa für Transportkosten und Verdienstausfälle, und letztlich auch um die Haftung für Folgeschäden durch die Krankheit. Doch eigentlich stehe bei den Geschädigten nicht das Geld im Mittelpunkt: „Sie wollen, dass die österreichischen Behörden die Verantwortung übernehmen und sich entschuldigen.“

Was wird den Behörden vorgeworfen?

Die Tiroler Behörden weisen alle Vorwürfe zurück. Man habe angesichts der damaligen Erkenntnisse angemessen gehandelt. An ihrem Verhalten gab es in den vergangenen Monaten jedoch weithin Kritik. Nach Ansicht des VSV hat man „wider besseres Wissen und getrieben durch die Tourismus-Industrie Touristen zu spät gewarnt, Lokale zu spät geschlossen und die Quarantäne über das Paznauntal und St. Anton zu spät verhängt“ – so heißt es in einem offenen Brief, der am Mittwoch an den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ging. Schutzmaßnahmen seien unkoordiniert erfolgt. Zudem sei es am Abreisetag, dem 13. März, an dem die Quarantäne verhängt worden war, zu schweren Fehlern gekommen: „Es war das reinste Chaos.“ So seien Touristen in überfüllten Bussen an Bahnhöfe gebracht worden. Tausende Urlauber seien abgereist, ohne dass ihre Daten festgehalten wurden. Der Bund, der in Österreich für alle Gesundheitsbehörden zuständig ist, müsse die Haftung für die Folgen des „katastrophalen behördlichen Missmanagements“ übernehmen. „Ein bis zwei Prozent der Infizierten waren im Krankenhaus, teils auch auf der Intensivstation“, sagte Kolba. „Und bis heute zählen wir 32 Verstorbene.“

Wird es wirklich zum Prozess kommen?

Laut VSV braucht es „eigentlich nicht den Rechtsweg“. „Wir können uns auch gut vorstellen, dass ein Runder Tisch eingerichtet wird“, sagte Verbraucherschützer Kolba. Eine Voraussetzung dafür sei aber eine Entschuldigung der Verantwortlichen.

Und wie geht es jetzt weiter?

Derartige Prozesse dauern lang. „Das ist nicht im Interesse der Geschädigten. Und eine jahrelange negative Medienpräsenz kann auch nicht im Interesse Österreichs und der Tourismus-Industrie in Tirol sein“, sagte der Anwalt Klauser. Seiner Ansicht nach stehen die Chancen auf Erfolg bei einem Prozess gut. Rechne man die Forderungen der bisher 1000 Betroffenen hoch, komme man auf eine Summe von etwa 20 Millionen Euro. „Da würde sich ein schneller außergerichtlicher Vergleich für die Verantwortlichen doch lohnen.“