Corona zwingt das Berchtesgadener Land in einen zweiwöchigen Lockdown. Die Einwohner nehmen den ersten Tag offenbar gelassen, die Hoteliers protestieren scharf.

München - Zehn von 16 Bundesländern sind derzeit in den Herbstferien, Baden-Württemberg kommt am Wochenende dazu – und genau in einem „goldenen Oktober“ macht eine der beliebtesten deutschen Urlaubsregionen dicht. Der Kreis Berchtesgadener Land ist seit diesem Dienstag in einem Zustand, der – laut dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) – „einem Lockdown nahekommt“.

 

Natürlich, so Söder, wolle man Risikogebiete „nicht abriegeln“. Aber faktisch ist es so: Etwa 2500 Touristen, die für diese Tage an Watzmann und Königssee eingebucht waren, können nicht anreisen, und einige Hundert bereits anwesende mussten schon diesen Dienstag die Koffer packen – ohne aber, dass sie vor ihrer teils langen Rückreise von Amts wegen auf Corona getestet worden wären. So etwas läge ja, sagte Staatskanzlei-Minister Florian Herrmann auf die Frage, ob Bayern in der Verbreitung des Virus damit nicht ein „zweites Ischgl“ riskiere, „in der Verantwortung eines jeden Einzelnen“.

Die Sieben-Tage-Inzidenz am Südostzipfel Bayerns war am Montag auf mehr als 272 hochgeschossen; alle Beschränkungen, die in Bayern schon für Marge 35 oder Schwellenwert 50 galten, waren damit hinfällig. Es brauchte nach Ansicht der Behörden deutlich mehr; man müsse „die Daumenschrauben anziehen“, sagte der Berchtesgadener Landrat Bernhard Kern (CSU).

Schulen, Kitas – alles zu

Das sieht nun so aus: Das Verlassen des eigenen Hauses ist nur mehr bei „triftigen Gründen“ erlaubt. Diese Ausgangssperre gilt seit Dienstagnachmittag – man wollte den Einwohnern am Vormittag noch Zeit lassen, alles Nötige für die nächsten 14 Tage zu regeln, etwa: Wohin sollen die Kinder, wenn Schulen und Kitas höchstens eine Notbetreuung anbieten dürfen? Der Besuch von Bildungsstätten außerhalb des Landkreises ist ja auch verboten.

Wobei es noch viel schlimmer hätte kommen können, sagt Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, die aus der Gegend stammt: „Wir hätten den ganzen Landkreis unter Quarantäne stellen können.“ Aber das habe die Regierung „bewusst nicht getan“; man zähle lieber auf Vernunft im menschlichen Verhalten – und sehe dann weiter.

Wirtshäuser sind nun geschlossen; als Take-away dürfen sie immerhin bis 20 Uhr Speisen ausgeben. Freizeiteinrichtungen machen Zwangspause, unter ihnen die Rupertus-Therme in Bad Reichenhall und die Watzmann-Therme in Berchtesgaden. Bergsteigen und Joggen, sofern allein ausgeübt, bleiben zulässig. Erlaubt bleiben auch Besuche bei Lebenspartnern, Kranken, Sterbenden. Erstaunlicherweise dürfen auch Dienstleistungsbetriebe weiterarbeiten, die ohne körperliche Nähe nicht auskommen: die Friseure.

Einkaufstourismus gestoppt

Offen bleiben auch die Geschäfte des Einzelhandels; zulässig ist auch der Weg von und zur Arbeit – wobei alle Berchtesgadener gebeten worden sind, die Landkreisgrenzen nicht zu überschreiten und alle Nachbarn, die Salzburger vor allem, nicht als Einkaufs- oder Tanktouristen nach Berchtesgaden zu fahren. Wobei in diesem Fall gar nicht klar ist, wer da ansteckender ist: Die Sieben-Tage-Inzidenzen in den österreichischen Nachbarbezirken lagen am Dienstag zwischen 95 und 465.

Nicht ohne Grund hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sein Lieblingsthema wieder ins Gespräch gebracht: Grenzkontrollen. Das schließt faktisch Abweisungen, Einreisesperren, vor allem aber Staus ein – und dagegen wehren sich im wirtschaftlich längst vereinten Grenzbezirk aus Bad Reichenhall, Berchtesgaden, Freilassing und Salzburg so gut wie alle.

Hoteliers reden von „staatlicher Willkür“

Während die Einwohner am Dienstag nach den ersten Straßenumfragen lokaler Medien eher gelassen auf die Einschränkungen reagierten, schossen Hoteliers scharf. „Verheerende Auswirkungen“ auf die Branche befürchtet Johannes W. Hofmann vom Fachverband Dehoga; die Sperren, sagt er, grenzten an „staatliche Willkür“. Im Bayerischen Rundfunk beklagen Hotel- und Gaststättenbetreiber, sie hätten nicht einmal 24 Stunden Vorlauf bekommen, dabei habe man verderbliche Ware auf Lager, die man jetzt nicht mehr verwerten könne. Das sei, sagt ein Hotelier, „absoluter Wahnsinn“.

Immerhin ist die berüchtigte Sieben-Tage-Inzidenz im Berchtesgadener Land trotz 40 neuer Corona-Fälle und trotz bleibenden Spitzenplatzes in Deutschland ein bisschen gesunken: von 272,8 auf 236 zwischen Montagabend und Dienstagnachmittag. Vom aktuellen Lockdown kann das noch nicht kommen; dessen Wirkungen zeigen sich frühestens in zehn bis 14 Tagen. So lange bleiben die Beschränkungen aufrecht. Dann sind Herbstferien auch in Bayern.

Wie kommt das Virus an den Watzmann?

Zum Ursprung der Corona-Explosion im Berchtesgadener Land will sich Landrat Bernhard Kern nicht festlegen; irgendwie sei das flächendeckend, diffus, ohne richtigen Hotspot – aber immerhin „zu 60 Prozent“ auf eine Geburtstagsfeier zurückzuführen. Infiziert sind 260 Personen, davon zeigen 169 klinische Symptome. 14 liegen im Krankenhaus – zwei davon werden auf der Intensivstation beatmet.

Im Landkreis von Watzmann und Königssee leben etwa 106 000 Menschen; im letzten „Normaljahr“ zählte man 3,3 Millionen Übernachtungen von Touristen. Nach einem Einbruch im Frühling, heißt es, sei der vergangene Sommer besser gelaufen als erwartet. Allein den Nationalpark Berchtesgaden besuchen etwa 1,5 Millionen Menschen pro Jahr.