Nach Einschätzung des Versicherungskonzerns werden die Geldvermögen trotz Corona-Krise weiter steigen – im Schnitt. Die Kluft zwischen Arm und Reich könnte sich aber vergrößern.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Trotz Corona-Krise rechnet die Allianz dieses Jahr mit einem weiteren Anstieg der Durchschnittsvermögen. Die Geldvermögen der deutschen Haushalte dürften 2020 um 2,7 Prozent steigen, teilte die Versicherungsgesellschaft am Mittwoch bei der Vorstellung ihres jährlichen Global Wealth Report mit. Gleichzeitig bestehe allerdings die „Gefahr einer zunehmenden Vermögensungleichheit“, sagte Allianz-Chefvolkswirt Ludovic Subran. So werde Berufseinsteigern durch die Krise der Zugang zum Arbeitsmarkt und damit auch das Sparen erschwert.

 

Im vergangenen Jahr wuchs das Geldvermögen der Deutschen brutto um 7,2 Prozent, das war der stärkste Anstieg seit der Jahrtausendwende. Trotzdem liegen die Bundesbürger mit einem Netto-Geldvermögen von 57 100 Euro pro Kopf im internationalen Vergleich weiterhin nur auf Rang 18. Gründe dafür seien die noch immer geringe Rolle der kapitalgedeckten Altersvorsorge und das anhaltende Gefälle zwischen alten und neuen Bundesländern, sagte Allianz-Experte Arne Holzhausen. Für den Global Wealth Report berücksichtigt wurden Bankeinlagen, Ansprüche an Versicherungen und Pensionseinrichtungen, Wertpapiere und andere Geldanlagen, nicht aber Immobilien.

Wie groß die Vermögensungleichheit in Deutschland ist, zeigt ein Vergleich des Durchschnittswerts von 57 100 Euro mit dem Median. Dieser Wert, der genau in der Mitte des Vermögensverteilung liegt, erreicht nicht einmal 20 000 Euro. Das bedeutet: Abzüglich ihrer Schulden bleibt der Hälfte aller Deutschen ein Geldvermögen von weniger als 20 000 Euro. Allerdings haben die unteren Vermögensschichten seit 2010 etwas aufgeholt: Der Median ist seither um rund 40 Prozent gestiegen, doppelt so schnell wie der Durchschnittswert.

Viele Geringverdiener müssen um ihren Job fürchten

Diese Entwicklung wird durch die Corona-Krise gefährdet. Zwar ist die durchschnittliche Sparquote infolge der Pandemie zunächst gestiegen, im zweiten Quartal erreichte sie sogar 20 Prozent. Das lag aber nicht zuletzt daran, dass die meisten Geschäfte im März und April geschlossen waren, Restaurants und Hotels durften sogar erst Mitte Mai wieder öffnen. Die fortbestehenden Sicherheitsauflagen gegen die Ausbreitung des Virus belasten Gastgewerbe und Einzelhandel bis heute – und in beiden Branchen sind viele Geringverdiener beschäftigt. Viele von ihnen müssen um ihren Arbeitsplatz bangen, spätestens wenn die staatlichen Überbrückungshilfen auslaufen. „Im Homeoffice arbeiten zu können ist ein Privileg“, heißt es in der Allianz-Studie.

Zur wachsenden Ungleichheit trägt nach Ansicht der Autoren auch die Geldschwemme bei, mit der die Notenbanken auf die Krise reagierten: Die niedrigen Zinsen trieben Aktienkurse und Immobilienpreise in die Höhe, wovon hauptsächlich die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten profitierten.

Entwicklungsländer leiden besonders

Zugleich könnte sich auch die Kluft zwischen armen und reichen Ländern vertiefen. Ins Stocken geraten sei der Aufholprozess der Entwicklungs- und Schwellenländer schon vor der Corona-Pandemie, sagte Holzhausen: „Seit 2016 wachsen Netto-Geldvermögen in Industrieländern wieder schneller als in Entwicklungs- und Schwellenländern.“ Ein Grund dafür sei der Handelsstreit zwischen den USA und China. Die Corona-Krise könnte dem Welthandel weiteren Schaden zufügen, heißt es in der Allianz-Studie: Da sie zum Teil zu Lieferausfällen führte, könnten einige Unternehmen die Produktion in Schwellenländern überdenken oder zumindest nicht weiter ausbauen.

Mindestens 30 Prozent der Weltbevölkerung besäßen keinerlei Ersparnisse, erklärte die Allianz. Die Quote beziehe sich auf die 57 von der Studie abgedeckten Länder, in denen rund fünf Milliarden Menschen lebten – weite Teile Afrikas sind nicht erfasst. Zehn Prozent der Haushalte seien überschuldet. Letzteres gilt laut der Wirtschaftsauskunftei Creditreform auch für Deutschland. Demnach sank die Überschuldungsquote nach der Finanzkrise für ein paar Jahre auf neun Prozent, um dann wieder auf zehn Prozent anzusteigen.

Als positive Entwicklung wertet die Allianz, dass sich das Sparverhalten in Deutschland allmählich ändere. „Das Bild des Aktienmuffels, des supervorsichtigen deutschen Sparers stimmt so nicht mehr“, sagte Holzhausen. Während die Bürger in vielen anderen Ländern nach der weltweiten Finanzkrise ihren Bestand an Aktien, Anleihen und anderen Wertpapieren reduziert hätten, steige in Deutschland das Interesse an der Wertpapieranlage. Dennoch waren laut Zahlen der Bundesbank Ende 2019 nur 23 Prozent des privaten Geldvermögens in Wertpapieren angelegt, in vielen westeuropäischen Ländern liegt dieser Anteil laut Allianz-Studie bis heute deutlich höher.