Die Gastro in Stuttgart ist dicht. Das zwingt viele Betreiber, deren Umsätze gen Null gehen, kreativ zu werden. Immer mehr Restaurants werden zu systemrelevanten Supermärkten.
Stuttgart - Es sind harte Zeiten für Gastronomen. Vorläufig gelten die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund des Coronavirus in Baden-Württemberg mindestens noch bis zum 19. April, die Option auf Verkürzung scheint aufgrund fehlender guter Nachrichten im Kampf gegen die Pandemie immer unwahrscheinlicher. Auch die staatlichen Soforthilfen können den Umsatzwegfall kaum auffangen. Das zwingt einige Gastronomen dazu, kreativ zu werden. Und immer mehr Wirte in Stuttgart kommen darauf, dass Supermärkte als systemrelevant gelten, der Verkauf von Lebensmitteln also weiterhin erlaubt ist.
Das dachte sich auch Dorit Münzer-Bock von der Speisekammer West, als sie vor zwei Wochen mit ihrem Käselieferanten gesprochen hatte. „Da wurde mir klar, was ich für tolle Produzenten habe“, sagt sie. Was mit einer kleinen Verkaufsecke anfing, erstreckt sicht heute über den gesamten Gastraum der Speisekammer: Wie im Hofladen gibt es hier Käse, Eier, Milch, Butter, Gemüse, Marmelade, Eingemachtes. Tische und Stühle lagern in einem Nebenraum.
Auf das Argument, auch im supermarktähnlichen Betrieb könne man sich mit dem Coronavirus anstecken, entgegnet Münzer-Bock: „Wir achten sehr darauf, dass der Abstand eingehalten wird. Die Abstände bei uns sind außerdem großzügiger als im Supermarkt.“
Es begann mit Klopapier
Während des Telefonats mit ihr ist gut zu hören, dass einiges im Laden los ist. Ob die neue Einnahmequelle ausreicht, die Verluste durch das weggefallene Restaurantgeschäft aufzufangen? „Nein“, sagt Münzer-Bock, „aber ich hoffe, es hilft zur Überbrückung und dass wir so niemanden in Kurzarbeit schicken müssen.“
Bei Ugur Ceyhan vom Trollinger am Feuersee begann alles mit Klopapier. „Es war für mich ein Schock, schließen zu müssen“, sagt er. Kampflos aufgeben gebe es für ihn nicht, also zählte Ceyhan zusammen, was er an Ressourcen hatte: Gerichte zum Abholen und über 300 Rollen Klopapier. Damit war die Idee geboren: Pro abgeholtes Hauptgericht gibt es bei ihm nun eine Rolle obendrauf.
Es gab plötzlich wieder Andrang und der Wirt entwickelte die Idee weiter. „Supermärkte sind überfüllt, es gibt viel Bedarf an frischen Produkten“, sagt er. Jetzt verkauft er im Gastraum Mehl, Nudeln, Reis, Öl und vor allem Doesenprodukte. Ungefähr so angeordnet wie in einem kleinen Supermarkt.
Keine Gelddruckmaschine
Eine Gelddruckmaschine sei das Überbrückungskonzept aber mitnichten. „Wir wollen eher helfen, dass die Leute an ihre Produkte kommen und selber auf andere Gedanken kommen“, sagt Ugur Ceyhan. Er erwirtschafte gerade Mal zehn bis zwanzig Prozent des Umsatzes vor dem Shutdown – mit noch geringeren Gewinnspannen.
Worüber er sich ärgert, sind die Soforthilfen vom Land, die ihn, mit guten Rücklagen ausgestattet, nicht tangierten. „Ich habe das Geld für kommende Steuernachzahlungen zurückgelegt“, sagt Ceyhan. Wenn er die jetzt anfassen soll, um die Verluste aufzufangen, wisse er nicht, wie er später dem Fiskus entsprechen könne. Mittlerweile hat das Wirtschaftsministerium aber etwas nachjustiert. Geld auf der hohen Kante ist seit Samstag kein K.-o.-Kriterium mehr.
So hart trifft das Coronavirus Gastronomen – im Video erklärt:
Auch andere Gastronomen versuchen die Härte, mit der sie die Krise trifft, mit Ideenreichtum abzufedern. So haben sich im Stuttgarter Osten der Craftbeer-Laden Kraftpaule und das Barbecue-Restaurant zusammengetan, um mobil Produkte für den Kochbedarf zu verkaufen. Mit einem alten Mercedes-Bus soll es am 9. April als Lebensmittel-Lieferdienst durch die Stadt gehen, um die Grill-Saison auf Balkonen mit Fleisch und Bier anzustimmen.
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Bei aller Heiterkeit, die die Bilder der kreativ umgenutzten Gastrobetrieben, ist die Lage für sie dennoch sehr ernst. Viele fürchten um die Existenz, die ersten Betriebe haben sich von ihren Mitarbeitern getrennt. Ketten wie Vapiano oder Maredo hat die Corona-Krise den letzten Schubser gegeben. Ugur Ceygab vom Trollinger sagt, länger als zwei Monate kann er auch mit dem Lebensmittelverkauf nicht durchhalten: „Dann kann ich zu machen.“