Wegen der Corona-Pandemie müssen sich alle einschränken, einige trifft es aber härter als andere. Alte und chronisch kranke Menschen gelten als besonders gefährdet – allein sind sie aber nicht

Kreis Ludwigsburg - Auf der Straße, in S-Bahnen, Bussen und Büros ist derzeit Abstand geboten, sonst aber rücken die Menschen zusammen. In den sozialen Netzwerken organisieren sie sich, um den Schwächeren zu helfen. Auf Facebook hat Rabea Knoß am Samstag spontan die „Corona Hilfegruppe Ludwigsburg“ gegründet. „Ich hätte mich schon über 15 Teilnehmer gefreut“, sagt Knoß. Ihre Erwartungen wurden weit übertroffen. Inzwischen besteht das Freiwilligenteam, das die Hilfe koordiniert, aus zehn Leuten.

 

Die gesamte Gruppe wuchs innerhalb von nicht einmal zwei Tagen auf fast 600 Mitglieder, das neue Ziel sind 1000 helfende Hände. Melden können sich Menschen, die zum Beispiel für andere, die es nicht können, einkaufen oder mit dem Hund Gassi gehen. „Kinderbetreuung vermitteln, können wir aber beispielsweise nicht“, sagt Rabea Knoß.

Hoffen auf Hilfe der Stadt

Neben der bislang größten Gruppe haben sich auch viele kleinere Gruppen mit ähnlichen Zielen in sozialen Netzwerken gegründet, auch Blogs versuchen Hilfe zu vermitteln. Der Blog hallo-ludwigsburg.de hat Menschen unter #nachbarschaftschallenge dazu aufgerufen, sich zu engagieren. Inspirieren lassen haben sich die drei Bloggerinnen von einer Twitter-Nutzerin aus Wien, die den Hashtag kreiert hatte.

Die Ehrenamtlichen um Rabea Knoß erstellen derzeit Listen mit Namen und Wohnorten, um die Hilfe besser koordinieren zu können. Jeder muss versichern, dass er mit der Weitergabe seiner Daten einverstanden ist. Knoß und ihre Mitstreiter haben sich bereits Rat bei einem befreundeten Juristen geholt, um sicher zu stellen, dass keine Datenschutzgesetze verletzt werden.

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Dass sich ältere Menschen nicht unbedingt im Internet und auf Facebook tummeln, sei durchaus ein Problem, räumt Knoß ein. Denn irgendwie müssen Helfer und Hilfesuchende ja auch zueinander kommen. In der Gruppe haben zwar schon vereinzelt Menschen mitgeteilt, dass ihre Eltern Hilfe benötigen – aber diesen Umweg gehen vermutlich nur die wenigsten. „Deshalb erhoffen wir uns auch ein Stück weit Unterstützung von der Stadt“, sagt Knoß, die auch schon Blankolisten ins Netz geladen hat, die Menschen ausfüllen und in ihren Wohnhäusern auslegen können.

Das Netzwerk soll wachsen

Aus der Pressestelle des Ludwigsburger Rathauses heißt es dazu: „Es ist geplant, beim Fachbereich Bürgerschaftliches Engagement, Soziales und Wohnen eine Anlauf- und Koordinationsstelle zu schaffen, bei der Bürgerinnen und Bürger, die Hilfe benötigen, sich melden können. Der Fachbereich wird dann über verschiedene Netzwerke Hilfe vermitteln.“

Bis es soweit ist, soll die „Corona Hilfegruppe Ludwigsburg“ weiter wachsen. Auch Leute, die helfen sie aufzubauen, suchen Rabea Knoß und ihre Mitstreiter noch. Programmierer und Leute, die sich mit sozialen Medien auskennen, sind besonders gefragt. Bei Knoß haben sich auch schon Lebensmittelhändler und Gastronomen gemeldet, auch sie wollen helfen – und wahrscheinlich ihr Geschäft ein Stück weit am Leben halten. Der 47-Jährigen reicht das noch nicht. Sie will sich an weitere Bäckereien, Metzgereien und Apotheken wenden. „Wir hoffen natürlich, dass wir die nicht brauchen“, sagt Knoß, „aber es ist schön, ein Netzwerk zu haben.“

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In Oberriexingen hat die Rathausspitze schon entschieden, Ehrenamtlichen unter die Arme zu greifen. Die Gemeinde ist die einzige im Kreis, die sich bislang dazu entschlossen hat. Andere werden sich bei dem Thema auch künftig zurückhalten. „Nachbarschaftshilfe ist Privatsache“, sagt etwa Anette Hochmuth, Sprecherin der Stadt Bietigheim-Bissingen.

Hilfe von Fremden? Das finden nicht alle gut

„Wir sind ein kleiner Ort, und ich will gewiss sein, dass in Oberriexingen jeder gut versorgt wird“, erklärt Bürgermeister Frank Wittendorfer den Vorstoß der kleinsten Stadt im Kreis Ludwigsburg. Derzeit wird ein personeller Stab eingerichtet, der die ehrenamtlichen Helfer verteilt. „Wir haben die Möglichkeit, dies organisatorisch zu leisten, also machen wir es“, sagt Wittendorfer. Er glaubt, dass die professionellen Organisationen, die Nachbarschaftshilfe leisten, bald an ihre Grenzen geraten, zudem gebe es einige Menschen, die sich professionelle Dienste nicht leisten könnten.

Ute Epple, Geschäftsführerin der evangelischen Diakoniestation Bietigheim und für die Nachbarschaftshilfe zuständig, findet private Initiative zwar „aller Ehren wert, wenn es um einen Nachbarn geht, der mich gut kennt“. Aber sie warnt auch davor, fremden Menschen zu vertrauen: „Wenn man den Helfewilligen nicht kennt, sollte man lieber auf einen professionellen Einkaufsdienst zurückgreifen.“ Natürlich könne man sich unter Nachbarn helfen, aber Fremden solle man nicht vertrauen, „da wird dem Betrug Tür und Tor geöffnet“, sagt Ute Epple. Die Nachbarschaftshilfe sei momentan personell noch gut aufgestellt. Wer gern helfen würde, könne sich anstatt im Internet aber auch bei der Organisation melden, „noch sind wir genug Mitarbeiter, aber das kann sich schnell ändern“, sagt Ute Epple.