Mit Unverständnis reagieren die Stuttgarter Intendanten auf die erneute Schließung ihrer Theater – und bekräftigen, dass ihre Häuser sichere Orte sind, von denen bis jetzt kein einziges Infektionsgeschehen ausgegangen sei.

Stuttgart - Wie in anderen Kulturbranchen der Stadt stößt der neue Lockdown auch in Theatern auf Unverständnis – umso mehr, als sich die baden-württembergische Sonderregel für Kulturveranstaltungen bewährt hat: Unter Einhaltung aller Sicherheits- und Hygienemaßnahmen waren bis zu 500 Menschen in Theatern, Konzerten und Kinos erlaubt, eine Zahl, die aufgrund des 1,5-Meter-Abstands faktisch sowieso kaum je erreicht wurde.

 

Marc-Oliver Hendriks, Geschäftsführender Intendant der Stuttgarter Staatstheater, bringt die Enttäuschung der Theaterszene über den Lockdown auf den Punkt: „Wir dachten, dass die Sonderregel des Landes weiterhin belastbar ist. Es ist kein Infektionsgeschehen bekannt, das von einem Theater ausgegangen ist. Auch bei uns sind Besucher und Mitarbeiter absolut sicher.“ Kritik an der Landespolitik will er trotzdem nicht üben. Im Gegenteil: „Ich danke dem Land. Es hat sich uns gegenüber immer aufgeschlossen gezeigt, sonst wäre es nicht zur Sonderregel gekommen: Das Land weiß, dass Theater wichtige Diskursorte sind. Aber ich verstehe, dass unter dem bundesweiten Druck die erprobte und bewährte Sonderregel nicht haltbar war.“

Jetzt erlebt das Stuttgarter Staatstheater, der größte Player im Land, ein Déjà-vu: Wie im März werden nun alle Vorstellungen abgesagt, ersatzlos bis zum 30. November. Geprobt und gearbeitet wird weiter, denn das Haus, so Hendriks, bereite sich auf den Spielbeginn zum 1. Dezember vor. Dennoch müsse die Kurzarbeit ausgeweitet werden. Und dass es jetzt zu einem zweiten Lockdown auch in Theatern, Konzerten und Kinos kommen wird, anders als etwa in Schulen, liegt laut Hendriks nicht zuletzt auch an der Kulturszene selbst. Mit leichter Verbitterung sagt er: „Abonnenten sind nicht so laut wie Eltern. Der Widerstand von unserer Seite war nicht hör- und sichtbar genug.“

Wie im März fehlt wieder die Planungssicherheit

Axel Preuß, der Intendant der Stuttgarter Schauspielbühnen, schätzt die Folgen des neuen Lockdowns als „katastrophal“ ein. Er leitet das nach dem Theaterhaus zweitgrößte Privattheater der Stadt, zu dem die Komödie im Marquardt und das Alte Schauspielhaus gehören, ein Bühnenverbund, der von Stadt und Land nicht so großzügig finanziert wird wie das Staatstheater. „Katastrophal ist der Lockdown vor allem ökonomisch. Da wir bereits verkaufte Karten zurückerstatten, fallen die uns noch verbliebenen Eigeneinnahmen wieder weg.“ Mit bangen Blicken sieht er dem nächsten Berliner Corona-Gipfel in zwei Wochen entgegen: „Was, wenn die Maßnahmen verlängert werden? Wieder haben wir keine Planungssicherheit, weder für unseren Spielplan noch für unsere Kommunikation mit dem Publikum.“

Wie sein Intendantenkollege Hendriks macht Preuß keinen Hehl aus seinem Unverständnis für den zweiten Kultur-Lockdown: „Ich hatte bis zuletzt die Hoffnung, dass mit Augenmaß reagiert wird und man davon absieht, wieder diejenigen zu bestrafen, die alles für den Schutz der Menschen getan haben. Der Handel bleibt offen, es sei ihm gegönnt. Aber warum sperrt man Theater zu? Wir sind die Leidtragenden, dass andernorts die AHA-Regeln nicht eingehalten werden.“ Und auch gesellschaftspolitisch hält er die Schließung von Theatern nicht für sinnvoll: „Die Politik könnte Kultureinrichtungen nutzen, um den Menschen Räume zu bieten jenseits der allgemeinen Verunsicherung, Inseln zum Durchatmen. Man sollte nicht nur Gotteshäuser offenlassen, sondern auch Theater, Kinos, Museen und Konzertsäle. Auch sie dienen der seelischen Erbauung.“

Der November wäre ein guter Monat geworden

Auch Werner Schretzmeier plagen als Chef des größten Stuttgarter Privattheaters, als das man das soziokulturelle Theaterhaus juristisch betrachten muss, jetzt mehr denn je finanzielle Sorgen: Sechs ausverkaufte Gauthier-Dance-Vorstellungen von „Gershwin“ muss er absagen, dazu populäre Comedians wie Eckart von Hirschhausen. „Der November“, sagt der Theaterhausleiter, „wäre ein Monat geworden, der ein paar Euro Ertrag abgeworfen hätte“ – anders als die Vormonate, in denen er mit einer schwarzen Null rausgekommen sei. Da wegen des Lockdowns 4000 Telefonate und Mails notwendig seien, um Kartenkäufer über die neue Lage zu informieren, könne er die Kurzarbeit auch nicht so ausweiten, wie es zur Entlastung des Hauses notwendig – und zuletzt schüttelt auch Schretzmeier nur den Kopf über die neue drastische Corona-Maßnahme: „In unseren Vorstellungen sitzen die Menschen zwei mal fünfzig Minuten mit 1,5 Meter Abstand schweigend auf ihren Plätzen. Da bewegt sich kein einziges Aerosol. Ich verstehe nicht, weshalb wir schließen müssen.“