Corona-Sperrstunde um 22.30 Uhr Wenn Stuttgarter Kneipen zu englischen Pubs werden

Das letzte Bier in Kneipen wird häufig zügig getrunken – Stuttgarter Wirte müssen seit der Weihnachtsfeiertage um 22.30 Uhr schließen. (Symbolbild) Foto: dpa/Britta Pedersen

Seit Weihnachten ist in der Stuttgarter Gastro um 22.30 Uhr Schluss. Das stößt vor allem Kneipenwirten sauer auf. Das Land verteidigt die Regelung.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - „Letzte Runde“ – zwei Worte, die früher nur die hart gesottenen Kneipengänger gehört haben, erklingt seit dem Ende der Weihnachtsfeiertage an nahezu jedem Stuttgarter Tresen kurz vor 22.30 Uhr. Denn dann, so will es die aktuelle Coronaverordnung des Landes, ist in der Gastro Zapfenstreich. Die Extraklausel in Baden-Württemberg – der Bund fordert nichts dergleichen – stellt die Kneipenkultur in Stuttgart gehörig auf den Kopf, es herrschen englische Verhältnisse, wo Pubs früher traditionell um 23 Uhr schließen mussten und es heute häufig freiwillig noch immer tun. Wie fühlt sich das an und was sagen die Wirte dazu?

 

Zwar sind von den Sperrzeiten alle Arten von Gastronomie betroffen, so auch Restaurants oder Eisdielen. Aber aufgrund der Betriebszeiten spielen sie für Kneipen und Bars eine besondere Rolle. Das bekommt auch Nanno Smeets vom Immer Beer Herzen an der Hauptstädter Straße zu spüren.

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Einerseits ist er froh, in Pandemiezeiten überhaupt öffnen zu dürfen: „Besser als nix!“ Und unter der Woche sei der Laden auch passabel besucht. „An den Wochenenden haben wir aber 50 Prozent Umsatzeinbußen“, sagt er. Er würde sich wünschen, dass der Rahmen zumindest dann etwas großzügiger gefasst wäre.

Party geht draußen weiter

Zumal Smeets der Meinung ist, dass die Rechnung des Landes, mit Sperrzeiten Kontakte zu verringern, nicht aufgeht. „Ab 18 Uhr drücken die Gäste rein“, sagt er. Auch nach 22.30 Uhr sehe es in der Altstadt nicht besser aus: „Dann gehen alle zum Kiosk, versorgen sich dort mit Alkohol und sitzen bei uns oder am Wilhelmsplatz in den geschlossenen Außenbereichen rum und die Party geht weiter.“ Wo dann hinuriniert werde, wisse man auch. Nanno Smeets fände darum ein Alkoholverkaufsverbot mit Anbruch der Sperrstunde konsequent.

Am Marienplatz zeichnet sich am Dienstagabend ein anderes Bild ab. Ob im nahe gelegenen Arigato zu früher Stunde mehr los ist als sonst? Schwer zu sagen in Pandemiezeiten. Gedränge gibt es jedenfalls keins. Laut Inhaber Sokrates Verropoulos schreckt die Sperrstunde viele Gäste ab. „Es läuft grad nicht so gut“, sagt er. Pünktlich um 22.30 Uhr gehen die letzten Gäste und steuern die Stadtbahnhaltestelle am Marienplatz an – kein Cornern, alles tritt den Heimweg an, keine Bilder wie im vergangenen Jahr, als der Platz aus allen Nähten platzte.

Anja Zöller kämpft in der Kneipe Zum Dortmunder im Stuttgarter Westen seit Beginn der Pandemie mit Gästeschwund. „Auch jetzt fehlt durch die Sperrstunde noch die Hälfte des Umsatzes“, sagt sie am Telefon. Zöller plagen Existenzängste, einer aktuellen Umfrage nach geht es etwa 60 Prozent aller Gastronomen in Baden-Württemberg so. Immerhin heute scheint etwas mehr Betrieb zu herrschen. „Ich muss jetzt meine Gäste bedienen“, sagt Zöller und legt auf.

Dehoga für Rückkehr zu regulären Öffnungszeiten

Beim Hotellerie- und Gaststättenverband Dehoga sind die Sorgen der Wirte bekannt. „Öffnungszeiten-Beschränkungen für die Gastronomie sehen wir generell kritisch, zumal sie einer Entzerrung des Gästeandrangs, die ja gerade in Pandemiezeiten wünschenswert ist, nicht förderlich sind“, sagt Daniel Ohl, Dehoga-Pressesprecher in Baden-Württemberg. Der Dehoga appelliert daher an die Landesregierung, baldmöglichst wieder reguläre Öffnungszeiten zuzulassen.

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Ein absehbares Ende der Alarmstufe II und der damit verbundenen Schließzeiten ist jedoch nicht in Sicht. Obwohl die bis zuletzt gültigen Grenzwerte einer Hospitalisierungsinzidenz von 6,0 oder 450 mit an Covid-19 Erkrankten belegten Intensivbetten seit Tagen unterschritten sind, bleibt die Kneipe ab halb elf zu.

Denn seit Mittwoch gilt in Baden-Württemberg, dass die Alarmstufe II auch dann bis auf Weiteres beibehalten beibehalten wird, wenn die kritischen Werte unterschritten sind. Dies teilte eine Sprecherin von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bereits am Montag unserer Zeitung mit.

Ministerium verteidigt die Sperrstunde

Die Landesregierung hält die Sperrstunde allem Widerspruch aus der Gastro zum Trotz für aktuell notwendig, da das Verhalten der Gastronomiebesucher zu späterer Stunde „infektiologisch als weitaus gefährlicherer“ zu bewerten sei, wie ein Sprecher des Gesundheitsministeriums sagt.

Auch wenn es nicht beabsichtigt sei, komme es zu dann „doch häufig zu clubähnlichen Zuständen.“ Es werde dann nicht mehr am Tisch gegessen, wo die Abstandsregeln noch gewahrt werden könnten, sondern das Geschehen verlagere sich teils an die Bar. „Gleichzeitig steigt der Alkoholeinfluss und Alkoholpegel“, sagt der Sprecher.

Private Gesellschaften in Gaststätten „nicht tragfähig“

Das sei insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Übertragbarkeit der Omikron-Variante nicht vertretbar: „Es darf deshalb nicht passieren, dass sich das Nachleben in Bars, Kneipen und andere Schankstätten verlagert.“

Zumindest in Stuttgart werden die Regeln laut Verwaltung weitestgehend eingehalten. Seit dem Ende der Weihnachtsfeiertage geht die städtische Gaststättenbehörde von einer einstelligen Zahl an Verstößen aus. In diesen Fällen habe öfter nach der Sperrstunde noch Licht in Gaststätten gebrannt. Bei den anschließenden Kontrollen sei mehrfach „private Gesellschaften“ angegeben worden, was jedoch in einer Gaststätte „nicht tragfähig“ sei.

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