Der in Moskau wegen angeblicher Veruntreuung von Staatsgeldern verurteilte Kirill Serebrennikow stand anderthalb Jahre unter Hausarrest. Die Lehren aus seinem Leben ohne Außenkontakt hat er in einer Videobotschaft in „Zehn Quarantäne-Tipps“ verwandelt.

Stuttgart - Corona hält die Menschen auf Abstand und zwingt manche gar in Quarantäne . . . Halt, stopp! ruft schon jetzt, beim Wort „Quarantäne“, der auch an der Stuttgarter Oper arbeitende Regisseur Kirill Serebrennikow, der wegen fadenscheiniger Vorwürfe in Moskau unter Hausarrest stand und an diesem Freitag wegen angeblicher Veruntreuung von Staatsgeldern verurteilt worden ist. Schon im März hat er ein Video veröffentlicht, in dem er mit Blick auf Corona die Lehren weitergibt, die er aus seiner Isolation zwischen 2017 und 2019 gezogen hat. Zehn Tipps – und als vorletzten Punkt empfiehlt Russlands berühmtester Film- und Theaterkünstler, das Giftwort „Quarantäne“ zu vermeiden und stattdessen von „Neustart, Urlaub, Kraft schöpfen“ zu reden: Isolation als Chance.

 

Im Video steht Serebrennikow mit Schirmmütze und Hornbrille im Foyer des von ihm geleiteten Moskauer Gogol-Theaters. Was er ins Mikro spricht, mag simpel klingen, wird aber als wahr und hilfreich beglaubigt von seinen Erfahrungen – und von der Kraft und Vitalität, mit der Serebrennikow aus der Pest des Hausarrests hervorgegangen ist. Die Staatsgewalt konnte ihn nicht brechen, dank der Widerstandstechniken, mit denen er achtzehn Monate ohne Außenkontakt unbeschadet an Leib und Seele überstanden hat.

Schreib ein Tagebuch! Lerne Fremdsprachen!

„Die Isolation in der Wohnung oder im Haus, allein oder mit der Familie, ist ein Moment der Wahrheit“, sagt Serebrennikow im Video. „Isolation ist keine Strafe, sondern vielmehr ein Geschenk des Schicksals.“ In Moskau seien alle ständig in Eile, mehr als in Berlin, niemand habe Zeit. „Unser Leben war ein Chaos. Wir wurden dauernd von irgendwelchen Leuten rausgerissen: Anrufe, SMS, Telegram, Instagram, Facebook.“ Jetzt aber könne man dem fremdbestimmten Chaos entkommen: „Konzentrieren Sie sich auf eine einfache Frage: Wer bin ich, und was ist für mich das Wichtigste im Leben? Schreiben Sie das auf.“ Er rät, in einem Tagebuch alles zu notieren, was man gegessen und getan und woran man gedacht habe. „Fixieren Sie die Zeit. Ein Tagebuch der Selbstisolation. Das hilft, sich selbst zu analysieren.“

Die geschenkte Zeit, so der Regisseur, solle man auch zum Lesen dicker Wälzer nutzen: „Sie kommen aus der Selbstisolation als völlig neuer Mensch heraus. Wer Cervantes ,Don Quijote“ liest, Tolstois ‚Krieg und Frieden‘, James Joyce ‚Ulysses‘ oder David Foster Wallace ,Unendlicher Spaß’ wird nicht mehr der Alte sein.“ Zudem helfe täglicher Sport, regelmäßiges Yoga, feste Mahlzeiten, Fremdsprachen lernen und Kreativität: „Das sollte jeder tun, auch Amateure. Jeder von uns wollte doch schon immer mal irgendetwas ganz anderes machen: Malen, Gedichte schreiben, Bildhauern – es ist eine tolle Zeit, um kreativ zu werden. Nutzen Sie alles, was Sie zur Hand haben. Und haben Sie keine Angst, zum Glück sieht Sie ja niemand. Machen Sie sich selbst diese Freude.“

Serebrennikows letzter Quarantäne-Tipp: „Tun Sie, wozu Sie Lust haben. Gucken Sie jeden Tag einen neuen Film. Hören Sie neue Musik. Haben Sie jeden Tag Sex. Säen Sie Blumen auf der Fensterbank aus. Nähen Sie sich ein neues Kleid. Sie sollten sich jeden Tag über irgendetwas unglaublich freuen.“