Co-Working-Spaces boomen. Diese Büroarbeitsplätze lassen sich flexibel, teils für Stunden, mieten. Viele Kreative nutzen sie. Doch wie arbeitet es sich dort in Zeiten von Corona?

Filder - Zusammen zu arbeiten, hat in der Corona-Krise eine ganz neue Bedeutung bekommen. Viele machen seit Wochen Homeoffice, die Kollegen sehen sie allenfalls bei der Videokonferenz. Doch wo arbeiten eigentlich zurzeit die, die sich in den Vor-Corona-Zeiten in ein sogenanntes Co-Working-Space eingemietet haben?

 

Das Prinzip von Co-Working: Arbeitsplätze lassen sich zeitlich befristet und je nach Bedarf mieten, zum Teil nur für ein paar Stunden, mit allem, was für die Büroarbeit nötig ist – Internet, Drucker, Besprechungsräume, Kaffeemaschine und so weiter. Unverbindlich und flexibel. Auch auf den Fildern gibt es immer mehr solcher Räume, die insbesondere Start-ups und Freischaffende nutzen.

„Co-Working-Spaces haben sich in den vergangenen Jahren stark vermehrt“, sagt Klaus-Peter Stiefel vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Vaihingen, der diese Arbeitsform erforscht. „2015 gab es weltweit um die 8900 Spaces, 2018 waren es bereits 18 700.“ Nutzerinnen und Nutzern komme es entgegen, dass es keine langfristige Bindung an die Räume gibt, das berge finanziell erhebliche Vorteile. „Es wird nur das bezahlt, was genutzt wird.“

Vorteilhaft sei zudem die Zusammenarbeit mit den anderen Co-Workern. „Die Spaces haben ein großes Innovationspotenzial. Die Konstellationen ermöglichen gemeinsame Projekte und nicht selten entstehen aus den Spaces weitere Start-ups“, erklärt Stiefel. Aus diesem Grund mieteten sich verstärkt auch größere Unternehmen in die Spaces ein, „um den Austausch ihrer Angestellten mit Start-ups zu fördern und am Puls der Zeit zu bleiben“.

Doch wie läuft dieses Arbeitsplatzkonzept eigentlich in Corona-Zeiten? Wir haben mit vier Menschen gesprochen, die auf den Fildern co-worken. Alle gehen nach wie vor ins Gemeinschaftsbüro, auch wenn es dort deutlich ruhiger geworden ist. Gerade jetzt stellt sich heraus, wie praktisch ein flexibler Arbeitsort ist. Denn auch unsere vier Co-Worker sind wegen der Corona-Krise daheim teils mehr eingespannt.

Den Start-up-Charakter wollen sie bewahren

Durchgestylte Räume empfangen einen im Erdgeschoss des gläsernen Bürohauses am Schelmenwasen auf dem Fasanenhof. Das Gebäude aus zwei siebenstöckigen Türmen gehört dem größten Anbieter von Co-Working-Spaces in Deutschland. Derzeit hat dieser um die 30 Standorte, bald sollen es bundesweit bis zu 70 sein, in Stuttgart sind es bereits zwei. Der Vorteil: Jeder Mieter kann auch die anderen Standorte nutzen.

Das war einer der Gründe, weshalb sich Simon Baumgärtner hier eingemietet hat. Der 33-jährige IT-Spezialist arbeitet im Vertrieb bei einer neu gegründeten Firma, die Dienstleistungen für Digitalriesen wie Amazon, Microsoft und Google anbietet. Die derzeit um die 20 Mitarbeiter der Firma sind über ganz Deutschland verteilt, in Stuttgart ist er noch der einzige Angestellte. „Wir sind kein klassisches Start-up, weil hinter uns große Investoren stehen, doch in der Form, wie wir arbeiten, wollen wir uns einen Start-up-Charakter bewahren“, erzählt Baumgärtner. Die Zusammenarbeit laufe vor allem übers Telefon und Videokonferenzen. „Mein Job ist eigentlich prädestiniert fürs Homeoffice, doch da ich zwei kleine Kinder habe, der Große ist drei Jahre und die Kleine fünf Monate alt, ist zu Hause rund um die Uhr Betrieb.“

Die Corona-Krise habe nur wenig geändert, er sei die ganze Zeit durchweg ins Co-Working-Büro gegangen, vielleicht nicht mehr ganz so oft wegen der Kinder. Er hat hier einen Tisch in einem Großraumbüro für etwa 500 Euro im Monat. Ideal sei, dass er in wenigen Minuten zu Hause sei, zudem fühle er sich wohl. „Ich fand schnell Anschluss, ich sitze in einem Stockwerk mit sieben anderen Firmen.“ Eine sei aus derselben Branche, und es stellte sich heraus, dass man sich gut ergänzen könnte. „Das ist super, man versteht sich gut und hat gleich noch einen Mehrwert fürs Geschäft“, schwärmt Baumgärtner. Er mag zudem die Gestaltung der Räume. Es gibt ein Café und Gemeinschafts- und Arbeitsbereiche, in die man sich einfach setzen könne. „Für mich ist es ohnehin hart, den ganzen Tag an einem Ort zu sitzen, deshalb bin ich gern auch mal mit dem Laptop woanders.“

Sie ist jetzt sogar öfter im Gemeinschaftsbüro

Auf den ersten Blick erscheint die Lobby des Hotels nahe des Apollo Theaters in Möhringen nicht ungewöhnlich. Neben der Rezeption sind weitläufige, schick gestaltete Aufenthaltsräume für die Gäste mit Bar, Restaurant und gemütlichen Sesseln und Sofas. Sieht man genauer hin, erkennt man jedoch, jede Sitzgelegenheit ist mit einer Doppelsteckdose und USB-Anschlüssen ausgestattet. Die Hotellobby dient zugleich als Co-Working-Café. Anja Häberle ist hier jeden Freitag. „Normalerweise arbeite ich im Homeoffice, freitags wird jedoch mein zweijähriger Sohn zu Hause vom Papa betreut. Und wenn die zwei daheim sind, hat Arbeit keine Chance“, erklärt die 38-Jährige und lacht.

In der Corona-Krise ist sie sogar noch öfter im Co-Working-Space, erzählt sie. Allerdings musste sie sich wegen des Ortes umstellen. SI-Suites hat geschlossen. Zurzeit geht sie in den Urban Space nach Vaihingen. Von den Räumen her lieber ist Anja Häberle ihr gewohntes Gemeinschaftsbüro in Möhringen. Mit dem Auto sei sie von dort in sechs Minuten zu Hause. Das Bezahlsystem sei flexibel. Sie nutzt ein Zehnerticket, mit dem ein Tag inklusive Parkplatz, Strom und Internet elf Euro kostet.

Dass sie den Bereich mit den Hotelgästen teilt, die auch mal lauter sind, stört Häberle nicht. Sie tauscht sich gerne mit den anderen Co-Workern aus und kennt mittlerweile die Hotelcrew gut. Sie arbeitet bei einer Nürnberger Werbeagentur. „Als ich vor zwei Jahren Mutter wurde, hat sich mein familiärer Schwerpunkt nach Baden-Württemberg verlagert, der berufliche blieb in Nürnberg.“ Für ihren Arbeitgeber war der Umzug kein Problem. „Wir in der Agentur arbeiten schon lange sehr agil. Bei uns ist es egal, wo wir arbeiten, solange wir Wege finden, zusammenzuarbeiten“, erzählt sie. Die technische Infrastruktur dafür sei vorhanden gewesen, ihre Kollegen sitzen nicht nur in Nürnberg, sondern auch in Berlin und Düsseldorf.

Sein Geschäft ist völlig eingebrochen

In einer hellen Dachstuhletage in einem Hinterhof an der Degerlocher Epplestraße ist ein Großraumbüro mit fünfzehn Arbeitsplätzen eingerichtet. Dazu gibt es Besprechungsräume, kleine Telefonräume und eine große Küche mit langem Esstisch. Drei der Plätze des Co-Working-Spaces hat derzeit Darko Ovcar gemietet. Der studierte Kulturmanager arbeitete lange bei einer Eventagentur in Ludwigsburg und organisierte dann für ein Haarpflegeunternehmen in Herrenberg Veranstaltungen und Messeauftritte. Vor etwa zwei Jahren wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit und gründete mit seiner Frau eine Agentur für nachhaltige Events und Mobilitätslösungen. „Neben der Eventorganisation bieten wir einen Chauffeurservice im Premiumsegment an“, erzählt der 37-Jährige. Ob Vorstandsmitglieder, Musiker oder DJs, seine Flotte hole sie vom Flughafen ab und kümmere sich um alles, vom Sightseeing bis zum Check-in. „Den haben wir auch gefahren“, Ovcar zeigt lächelnd auf ein Bild von David Hasselhoff mit Autogramm auf seinem Schreibtisch.

Die Corona-Krise hat für Darko Ovcar viel verändert. Ihm brach das komplette Geschäft weg, sowohl das der Eventagentur als auch das des Fahrdienstes. Er ist froh, dass er im Gegensatz zu größeren Eventagenturen noch keine Mitarbeiter entlassen musste, jedoch sind alle Angestellten in Kurzarbeit. Zudem hat er alle Fixkosten auf ein Minimum runtergefahren. Er ist dankbar für die Soforthilfe, mit der er bisher noch weiter machen kann. Sein Motto: Durchhalten und auf das Beste hoffen.

Den Co-Working-Space nutzt er aber unverändert. „Für mich war es die beste Entscheidung, in einen Co-Working-Space zu gehen“, betont er. Gerade anfangs müsse man die Fixkosten geringhalten, hier wäre gleich für alles gesorgt, für 400 Euro im Monat. „Selbst ein Büro einzurichten, hätte ich mir nie leisten können.“ Zudem sei es gut, nicht alleine zu sein. Er arbeitet neben Grafikern, Übersetzern, Programmierern und Textern.

Der Degerlocher, der nie woanders zu Hause war, wohnt nur 500 Meter von dem Space entfernt. „Früher war ich freitagabends von Herrenberg zurück mit Stau bis zu anderthalb Stunden unterwegs, jetzt bin ich in drei Minuten daheim bei meiner Frau und den Kindern.“

Er hat zwei Firmen gegründet im Co-Working-Space

Im Gewerbegebiet Wallgraben-Ost in Möhringen eröffneten vergangenen September die Urban Spaces. Das Co-Working-Haus folgt einem Design-Konzept, für das im Februar ein Stuttgarter Innenarchitekturbüro vom Amsterdamer Magazin Frame in der Kategorie „Bester Co-Working-Space des Jahres“ ausgezeichnet wurde.

Der hier Co-Workende Nicolas Ermrich kann die Ehrung nachvollziehen. „Man merkt, dass bei der Einrichtung wirklich an alles gedacht worden ist.“ Der 44-jährige IT-Spezialist arbeitete jahrelang als Führungskraft für einen Konzern, ehe er sich 2019 selbstständig machte, weil er Start-ups gründen wollte. Für etwa 450 Euro im Monat sicherte er sich in den Urban Spaces einen Arbeitsplatz und stellte von dort aus bereits zwei Firmen auf die Beine. Mit der einen hilft er Unternehmen, passende Businesscoaches zu finden, die andere ist eine Online-Unternehmensberatung. „Derzeit transformiere ich ein Beratungsformat in die Online-Welt. Das ist interessant, weil Kunden Reisezeiten und CO2 sparen wollen“, erzählt Ermrich.

Sein Geschäft läuft gut trotz Krise. Und er geht nach wie vor in seinen Co-Working-Space. Die Urban Spaces hätten Vorkehrungen getroffen, um die Abstandsregelungen einzuhalten. Da der Space derzeit relativ wenige Co-Worker hat, lasse sich das gut umsetzen. Auch er selbst ist weniger da als sonst, denn seine Tochter habe keine Betreuung. Doch wenn er gehen kann, genießt er es. Zu seinen Geschäftsideen passe die flexible Arbeit in einem Co-Working-Space.

Seine Firmen arbeiten mit freischaffenden Coaches und Beratern, die Geschäftspartner sitzen in Berlin, und er koordiniert alles mit Chats, Telefonaten und Videokonferenzen. „Unsere Strategie ist es, dass Kunden nicht mehr reisen müssen, also können bei meinen Projekten auch alle Beteiligten die Arbeit so handhaben, wie sie wollen.“ Er könnte im Grunde auch von Hawaii aus arbeiten, doch lieber sei er im Co-Working-Space. „Ich brauche den Kontakt.“ So gut das eben geht.