Bayern ruft den Katastrophenfall aus. Sämtliche Kultur- und Freizeitstätten schließen. An Ladengeschäften bleibt nur offen, was der Grund- und Nahrungsversorgung dient – dann aber auch sonntags. Wie das Leben im Freistaat sich verändert.

München - Wie stark sich das Coronavirus (auch) in Bayern verbreitet, hat Gesundheitsministerin Melanie Huml am Montag Früh deutlich gemacht. Waren am Sonntag Mittag nur 886 Infektionen im Freistaat bekannt, so ist diese Zahl innerhalb von weniger als 24 Stunden um weitere 150 gestiegen. Schon der Anstieg von Samstag auf Sonntag lag bei gut 30 Prozent. „Wenn das so weitergeht“, sagte Huml, „dann haben wir schon nächstes Wochenende mehrere tausend Fälle.“ Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagt, er wolle derzeit keinen Optimismus verbreiten: „Es wird noch vieles auf uns zukommen. Es kann sehr schlimm werden.“ Die Corona-Pandemie stelle nicht nur einen Stresstest, sondern auch einen „Charaktertest“ für Gesellschaft und Wirtschaft dar.

 

Um als Staat handlungsfähig zu bleiben, bürokratische Prozeduren abzukürzen, Durchgriffsmöglichkeiten zu haben und eine „klare Steuerung“ aller Maßnahmen zu erreichen, hat der Freistaat Bayern am Montag Vormittag den Katastrophenfall ausgerufen. Er gilt laut Ministerpräsident Markus Söder mit sofortiger Wirkung und soll erreichen, dass die Verbreitung des Coronavirus so weit wie möglich eingedämmt wird. „Da wir keine Impfungen und Medikamente dagegen haben“, so Söder, gehe das nur mit einem „Herunterfahren und Verlangsamen“ des öffentlichen Lebens und mit einer Ausdünnung der sozialen Kontakte.

Alle Freizeitstätten machen zu

Bei einer nur im Fernsehen und im Internet übertragenen Pressekonferenz teilte Söder die von der Landesregierung beschlossenen Maßnahmen mit. Geschlossen werden von diesem Dienstag an sämtliche Freizeit- und Kultureinrichtungen: Museen, Bibliotheken, Bäder, Kinos, Clubs, Bars, Spielhallen, Musikschulen, Fitness-Center, Sportplätze, Jugendhäuser und ähnliches.

Veranstaltungen sind nicht mehr erlaubt. Eine Ausgangssperre, so Söder, werde aber nicht verhängt: „Jedenfalls derzeit nicht.“

Welche Geschäfte offen bleiben

An Ladengeschäften bleibt nur offen, „was der Grundversorgung dient“, also vor allem Lebensmittel- und Getränkemärkte, Banken, Apotheken, Drogerien, Post, Baumärkte, Tierbedarf. Um Menschenansammlungen zu vermeiden, erlaubt Bayern längere oder gar neue Öffnungszeiten: wochentags bis 22 Uhr und Sonntags von 12-18 Uhr. Söder sagte, um die Nahrungsversorgung zu sichern, rede die Regierung „mit den großen Ketten und mit dem Einzelhandel“. Es bestehe „kein Grund zu Hamsterkäufen.“

In der Gastronomie dürfen lediglich Speiselokale und Betriebskantinen geöffnet bleiben, allerdings auch nur zwischen 6 und 15 Uhr; für die Gäste muss ein Mindestabstand von 1,5 Metern gesichert sein, und es dürfen sich höchstens 30 Personen im Raum aufhalten. Liefer- und Abholdienste sowie „Drive in“-Betriebe dürfen auch nach 15 Uhr Kundschaft bedienen.

Tausende Beatmungsgeräte gekauft

Gesundheitsministerin Huml sagte bei der Pressekonferenz, man bemühe sich, die derzeit schon im Durchschnitt zu 80 Prozent ausgelasteten 4000 bayerischen Intensivbetten auszubauen. „Zum Glück“ sei der Höhepunkt bei der saisonalen Influenza-Welle bereits vorbei: „Stellen Sie sich vor, was in den Kliniken passiert wäre, wenn Influenza- und Corona-Welle zusammengetroffen wären!“

Huml schloss nicht aus, dass beispielsweise in Messehallen spezielle Corona-Zentren aufgebaut werden könnten. Bayern habe tausend Beatmungsgeräte gekauft und werde auch eine Meldepflicht für freie Beatmungs- und klinische Behandlungskapazitäten verhängen; das gälte dann auch für Schönheitskliniken.

Ärzte in Ruhestand und Studenten sollen helfen

Zudem, so Huml weiter, bräuchten die Krankenhäuser „dringend“ medizinisches Personal. Zur Mithilfe aufgerufen seien nun beispielsweise auch Mediziner, die bereits im Ruhestand sind oder auch Studenten. Um Personal zu bekommen, garantierten die von dieser Woche an flächendeckend geschlossenen bayerischen Schulen und Kitas eine Notbetreuung für die Kinder beispielsweise von Pflegekräften und von Medizinern.

Ausbauen will Bayern auch die Testzentren und die Hilfs-Hotlines. Ohne Wartezeiten, so Huml, werde es dort auch künftig nicht gehen: „Aber wir tun unser Menschenmögliches.“

Zehn Milliarden Euro für die Wirtschaft

Wirtschaftsbetriebe und Kultureinrichtungen, welche durch die verfügten Schließungen oder überhaupt durch Corona in Existenzschwierigkeiten kommen, können per „Schnellantrag“ unbürokratische Soforthilfen aus der Staatskasse erhalten; dafür stellt Bayern 10 Milliarden Euro zur Verfügung; zum Teil, so Söder, werde dafür die gesetzliche Schuldenbremse außer Kraft gesetzt. Man wolle „mit maximalem Einsatz den größtmöglichen Schutz erreichen.“

Der Katastrophenfall ist in Bayern bisher nur örtlich oder regional begrenzt ausgerufen worden – etwa bei Überschwemmungen oder beim alpinen „Schneechaos“ vor einem Jahr –, niemals aber landesweit. Er soll einheitliche Aktionsstrukturen in den Behörden schaffen und diese unter zentraler Leitung bündeln; er erlaubt – etwa bei den Gesundheitsämtern – deren akut bedarfsgemäßen Umbau; der Staat kann auch nötige Hilfsmittel direkt beschlagnahmen oder auch Helfer rekrutieren. Jeder Bürger ist dann zum Einsatz „in Form von Dienst-, Sach- oder Werkleistungen“ verpflichtet. So sieht es das bayerische Katastrophenschutzgesetz von 1997 vor.