Eine Mutter aus Filderstadt erzählt von den Schwierigkeiten, ihre Tochter, die Trisomie 21 hat, während der Corona-Krise zu Hause zu betreuen. Sie weiß manchmal nicht mehr, wie weitergehen soll.

Filderzeitung: Rebecca Anna Fritzsche (fri)

Filderstadt - Alles war genau durchgetaktet. 5.30 Uhr aufstehen, der Tochter beim Anziehen helfen, das Frühstück vorbereiten, essen, die Tochter fertig machen für die Schule, um 7.20 Uhr kommt der Schulbus. Dann Schule, drei Tage die Woche den ganzen Tag, einen Nachmittag kümmert sich die Oma, einen Nachmittag das Au-Pair. Das war einmal vor Corona.

 

Feste Strukturen sind wichtig für Nina, sechs Jahre alt, und ihre alleinerziehende Mutter Mareike, die ihren Nachnamen lieber nicht in die Öffentlichkeit tragen will. Nina hat Trisomie 21, auch Downsyndrom genannt, und die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ADHS.

Jetzt sind all die Routinen, die sich Mutter und Tochter erarbeitet haben, dahin: Seit die Schulen geschlossen sind, kann Nina nicht mehr das sonderpädagogische Rohräckerschulzentrum in Esslingen besuchen, wo sie vergangenes Jahr eingeschult worden war. „Nina ist sehr quirlig und lebendig, kann schlecht still sitzen“, erzählt Mareike. Es sei schwierig, sie zu beschäftigen – zumal Mareike Teamleiterin im Personalmanagement ist und derzeit von zu Hause aus arbeitet. „Nina braucht eine sozialpädagogische Einzelbetreuung“, sagt die Mutter. „Zu Hause, mit meiner Arbeit, kann ich das nicht leisten.“ Auch die Au-Pair-Studentin, die zwar da sei, könne das nicht leisten: „Sie hat keinen sozialpädagogischen Hintergrund, unterstützt mich eher im Haushalt und soll ja auch ihren Sprachkurs machen.“

Und wie kriegt Mareike das derzeit dann alles hin? „Keine Ahnung“, sagt sie. „Ich habe einen sehr humanen Arbeitgeber, der mir Freiheiten lässt. Aber ich komme an meine Grenzen.“

Die Fortschritte sind dahin

Zwar könne auch Ninas Vater ab und zu mithelfen. „Aber Nina braucht feste Routinen“, sagt Mareike. „Sie kommt nicht damit klar, dass es diese aktuell nicht gebe, und somit auch nicht damit, ihren Papa außerhalb der üblichen Zeiten zu sehen.“ Auch die Oma sei eine der engsten Bezugspersonen für Nina – aber auch sie darf das Mädchen gerade wegen Corona nicht sehen.

Die Mutter macht sich Sorgen um die Förderung ihrer Tochter. „Sie hat in der Schule so tolle Fortschritte gemacht“, erzählt sie, „wir haben Ergotherapie und Logopädie gemacht, diese Fortschritte sind jetzt alle dahin“. Zusammen mit den Pädagogen in der Schule habe Nina sich wunderbar entwickelt – „sie konnte sich 20 Minuten auf eine Aufgabe konzentrieren, das war toll.“ Jetzt geht das nicht mehr. Auch wenn die Schule wieder losgehen wird, „wird es für Nina wieder eine riesige Umgewöhnung sein, bis sie sich wieder darauf eingestellt hat“, sagt die Mutter.

Mareike ist frustriert von der Situation. „Ich habe so viel Kraft hineininvestiert, Nina optimal zu fördern“, sagt sie. „Und jetzt werden wir einfach im Stich gelassen. Ich habe das Gefühl, es interessiert sich niemand dafür, was mit uns passiert, niemand redet von uns oder mit uns.“

„Was sollen wir machen, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen?“

Wie lange sie die Belastung durchhält, vermag sie nicht zu sagen. „Es muss ja irgendwie gehen – für Nina“, sagt sie. „Aber in keinem Expertenbericht seien Schüler mit erhöhtem Förderbedarf erwähnt – oder gar Alleinerziehende. Wir leisten als Eltern so viel – und was sollen wir machen, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen?“ Sie habe das Gefühl, bestraft zu werden: „Dafür, dass ich Mutter bin, dass ich alleinerziehend bin, dass ich mich für ein Kind mit erhöhtem Förderbedarf entschieden habe.“

Elke Willi, die Vorsitzende der Lebenshilfe Esslingen, weiß um die Schwierigkeiten. „Viele Eltern sind in der Zwickmühle“, sagt sie. „Kinder mit erhöhtem Förderbedarf haben oft gesundheitliche Einschränkungen, sind dann also auch noch Risikopersonen.“ Man müsse dann also sehr genau abwägen, welche Kontaktpersonen überhaupt noch möglich seien. Auch alle Förderangebote in Gruppen seien derzeit abgesagt. „Wann die schwierige Situation enden wird, wissen wir alle noch nicht“, sagt Elke Willi. „Das ist nicht einfach.“