Die Kanzlerin will in der nächsten Woche wieder mit den Ländern über Maßnahmen gegen eine befürchtete vierte Corona-Welle beraten. Vor allem um strengere Regeln für nicht Geimpfte wird heftig gerungen.

Berlin - Vor der Bund-Länder-Runde zum Corona-Kurs im Herbst und Winter gibt es Streit über mögliche neue Beschränkungen und ein Ende kostenloser Schnelltests für alle. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte Überlegungen, dass bestimmte Beschränkungen bei höheren Infektionszahlen nur für Ungeimpfte gelten könnten. Er appellierte am Donnerstag auf Twitter zugleich erneut an alle Bürger, sich impfen zu lassen: „Impfen ist ein patriotischer Akt.“ Über den Umgang mit Ungeimpften wird aber auch in der Bundesregierung noch diskutiert. Opposition und Sozialverbände forderten, auch negative Tests sollten weiterhin und ohne finanzielle Hürden eingesetzt werden können.

 

Spahn sagte dem „Münchner Merkur“ am Donnerstag mit Blick auf den Herbst: „Für das Zusammentreffen in geschlossenen Räumen gelten die 3G – das heißt, man muss geimpft, genesen oder getestet sein. Und ansonsten tragen wir weiter Maske und halten uns an die Hygiene- und Abstandsregeln.“ Wenn es in Regionen weitere Beschränkungen brauchen sollte, könnten Geimpfte und Genesene ausgenommen werden. Dabei müsse es für „essenzielle Dinge“ wie Verkehrsmittel oder Rathausbesuche möglich sein, auch nur mit Test Zugang zu haben. Aber für Discos oder Stadien, also Bereiche, die nicht zur Grundversorgung gehörten, könne er sich Zutritt nur für Geimpfte oder Getestete vorstellen - oder beschränkten Zugang: „Dass zum Beispiel zu einem Fußballspiel im Bayern-Stadion 30 000 Geimpfte und dazu noch 2000 Getestete kommen.“

Beratungen am Dienstag

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten wollen am Dienstag über Maßnahmen beraten, um eine neue große Corona-Welle zu vermeiden. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) sagte der „Bild“-Zeitung (Donnerstag): „Ich halte es für falsch und rechtlich unzulässig, Ungeimpfte vom öffentlichen Leben auszuschließen.“ Auch die FDP, die im Frühjahr Lockerungen für Geimpfte gefordert hatte, bekräftigte ihr Nein. „Wer nicht geimpft oder genesen ist, sollte mit einem tagesaktuellen Negativtest am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können“, sagte Parteichef Christian Lindner der „Welt“.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte bei RTL/ntv zu Einschränkungen nur für Ungeimpfte: „Die Inzidenz müsste schon dramatisch ansteigen, dass man über dieses Mittel dann im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nachdenken kann. Und diese Situation wollen wir alle gemeinsam verhindern.“ Energie sollte lieber darauf verwendet werden, „die Leute dazu zu bringen, sich impfen zu lassen“.

Spahn erteilt Impfpflicht eine Absage

Vollständig geimpft sind laut Bundesgesundheitsministerium inzwischen knapp 44,6 Millionen Bürger oder 53,6 Prozent der Bevölkerung. Die Impfquote ist in den vergangenen Wochen langsamer angestiegen. Spahn bekräftigte die Absage an eine Impfpflicht. „Aber ein Gebot, sich impfen zu lassen – das gibt es schon“, sagte er dem „Münchner Merkur“. Impfen sei eine persönliche Entscheidung. „Aber es ist auch eine mit Auswirkungen für uns alle. Jeder Einzelne entscheidet mit darüber, wie schwer Herbst und Winter für uns alle werden.“

Der Sozialverband VdK forderte, den Besuch in Kinos oder Restaurants weiterhin auch mit einem aktuellen negativen Test zu ermöglichen. „Würden die kostenlosen Corona-Tests abgeschafft, könnten Familien viele Freizeitangebote nicht wahrnehmen.“ Geplante Ausnahmen seien zu begrüßen. Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte in der ARD, die Debatte komme zur falschen Zeit, da noch mehr als 30 Millionen Menschen ungeimpft seien. Schnelltests ab Herbst kostenpflichtig zu machen, sei „nicht nur unfair, sondern vor allem schlecht, weil es uns in einen neuerlichen Blindflug in der Pandemie bringt“.

Spahn verteidigte eine baldige Umstellung: „Ab Mitte Oktober sollten ungeimpfte Erwachsene, die sich hätten impfen lassen können, vor dem Restaurantbesuch für einen Antigen-Schnelltest bezahlen müssen.“ Das Ministerium schlägt vor, dass es nur für Menschen, die nicht geimpft werden können oder für die keine allgemeine Impfempfehlung vorliegt wie Schwangere oder Unter-18-Jährige, weiterhin kostenlose Tests geben soll. Der Bund übernimmt seit März die Kosten für mindestens einen Schnelltest durch geschultes Personal je Woche samt Nachweis.

Den Staat hat dies in diesem Jahr bisher rund 3,7 Milliarden Euro an Steuergeld gekostet, wie das Gesundheitsministerium auf Anfrage der „Rheinischen Post“ (Donnerstag) mitteilte. Laut Bundesregierung soll nach dem Ende der Gratis-Tests ein „angemessener Preis“ dafür selbst zu zahlen sein. Für die Testanbieter war die Vergütung zum 1. Juli auf 11,50 Euro für Sachkosten und das Testabnehmen gesenkt worden.

Weitere Indikatoren für Corona-Maßnahmen

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich dafür aus, dass der Bundestag die vorerst bis Ende September bestehende „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ verlängert. „Das wird sein müssen, wenn man mich fragt“, sagte er am Mittwochabend bei einer Veranstaltung des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) in Kiel. Der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Erwin Rüddel (CDU), sagte dagegen dem RND: „Da derzeit und auch wohl zukünftig die Grundlage - also eine drohende Überlastung unseres Gesundheitssystems - nicht gegeben ist, kann ich mir sehr gut vorstellen, die pandemische Lage im September auslaufen zu lassen.“ Sie erlaubt dem Bund, direkt ohne den Bundesrat Verordnungen zu erlassen, etwa zu Tests und Impfungen.

Auch die Debatte um zusätzliche Kriterien für Corona-Beschränkungen geht weiter. Das Gesundheitsministerium erläuterte in einem Bericht, der an die Länder und den Bundestag ging, die Impfquote habe großen Einfluss auf das Bestimmen der Grenzwerte, ab denen weitere Maßnahmen nötig werden. Das Infektionsschutzgesetz ermögliche es bereits, neben der Zahl der Neuinfektionen weitere Indikatoren wie die Zahl neuer schwerer Klinikfälle (Hospitalisierungsinzidenz) und den Anteil von Covid-Patienten an der Kapazität der Intensivbetten heranzuziehen und auf dieser Basis transparente Warnstufen festzulegen.