Am Samstag hatten am Wasen bis zu 15.000 Menschen gegen die Corona-Auflagen demonstriert. Nun schlagen die politischen Wellen hoch. Der Gesundheitsminister befürchtet, dass die Demonstration ein Superspreading-Event war.

Stuttgart - Auch mehrere Tage nach den massenhaften Verstößen gegen die Corona-Auflagen bei einer „Querdenker“-Großdemonstration in Stuttgart stehen sich Politik, Polizei und Stadt unversöhnlich gegenüber. Während der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) seine Kritik an der Genehmigung der Demonstration erneuerte, verteidigte Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) diese Entscheidung. „Die Stadt hätte die Versammlung nicht verbieten dürfen. Es gab vor der Versammlung auf der Grundlage der Anmeldungen überhaupt keinen rechtlich begründbaren Ansatz, ein Versammlungsverbot auszusprechen“, sagte Stuttgarts Stadtoberhaupt im Interview mit unserer Zeitung.

 

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Rund 15 000 Menschen hatten sich am Karsamstag größtenteils ohne Masken und Mindestabstand versammelt und die Stadt in große Erklärungsnot gebracht. Nopper nannte die Rechtsauffassung des Sozialministeriums „nicht nachvollziehbar“. Es hätte anweisen können, die Demonstration zu verbieten, sagte er. „Das ist nicht erfolgt. Sie hätten auf den Infektionsschutz verweisen können.“ Aus der Perspektive der vergangenen Woche habe sich aber keine Verbotslage abgezeichnet.

Demo als „Superspreading-Event“?

Er habe die Äußerungen Noppers registriert, sagte Lucha in einem SWR-Interview. Der Grünen-Politiker zeigte sich zudem besorgt, die Demonstration an Karsamstag in Stuttgart könne sich im Nachhinein als „Superspreading“-Event entpuppen. „Natürlich haben wir diese Sorge, da das ein Personenkreis ist, der aus ganz Deutschland kam“, sagte Lucha. Es werde eine große Herausforderung sein, das einzudämmen.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte zuvor ebenso wie die Stadt eine Aufarbeitung angekündigt. Er will klären, ob solch „gefährliche Veranstaltungen“ in der Corona-Pandemie erlaubt werden müssen.

Auf Antrag der SPD-Fraktion wird sich der Innenausschuss des baden-württembergischen Landtags am Montag (12. April) in einer Sondersitzung erneut mit den „Querdenkern“ beschäftigen. Sowohl Innenminister Thomas Strobl als auch Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) und der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sollen sich zur Kundgebung äußern. „Wir erwarten Antworten darauf, warum zum Beispiel die Versammlungsbehörde der Stadt Stuttgart den Empfehlungen des Sozialministeriums in den Tagen zuvor nicht gefolgt ist“, sagte auch Uli Sckerl von den Grünen, die den Antrag unterstützten.

Mehr als 1000 Polizisten waren am Samstag zusammen mit Einheiten aus anderen Bundesländern und der Bundespolizei im Einsatz gewesen. Sie schritten wegen der Verstöße gegen die Corona-Regeln aber kaum ein - nicht zum ersten Mal in Deutschland. Zuletzt hatte am 20. März eine Demonstration in Kassel mit mehr als 20.000 Menschen für Schlagzeilen gesorgt - erlaubt waren nur 6000. Es kam auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Kritiker hatten der Polizei dort ebenso wie in Stuttgart ein zu zurückhaltendes Auftreten bei der Demo der Corona-Maßnahmen-Gegner vorgeworfen.

Polizeigewerkschaft kritisiert die Stadt

Dagegen verwahrte sich die Deutsche Polizeigewerkschaft. „Aus meiner Sicht gibt es überhaupt keine Kritik an der Neutralität der Polizei“, sagte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft, Ralf Kusterer, dem SWR. Als Konsequenz der Vorfälle müsse es aber ein Umdenken bei der Zulassung von Demonstrationen dieser Größenordnung in der Corona-Pandemie geben. „Aus meiner Sicht muss die Stadt das verbieten.“ Die Rechtsgrundlagen dafür seien vorhanden. „Sollten sie nicht ausreichen, wie der Stuttgarter Ordnungsbürgermeister sagt, dann müssen das Land oder der Bund nachjustieren und die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen schaffen.“

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet die „Querdenken“-Bewegung. Die Behörde ordnet mehrere Akteure dem Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zu, die unter anderem demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren. Die „Querdenken“-Bewegung weist diese Vorwürfe zurück.