Coronakrise auf der S-21-Baustelle 96 Bauarbeiter von S 21 in Quarantäne

Das Gesundheitsamt tausche sich täglich mit Baufirma und Baustellenleitung aus, und die Gewerbeaufsicht kontrolliere regelmäßig, ob auf der S-21-Baustelle die Vorgaben des Infektionsschutzes eingehalten würden, sagt die Stadt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Sechs Mitglieder einer türkischen Baufirma haben sich infiziert. Die Arbeiten sollen vorerst weitergehen. Die Projektgegner fordern dagegen einen sofortigen Baustopp.

Stuttgart - Noch vor wenigen Tagen reagierte die Stadt Stuttgart auf Kritik der Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig (Die Linke) an der Fortsetzung der Bauarbeiten auf dem Stuttgart-21-Gelände in Corona-Zeiten mit dem Hinweis, die Gewerbeaufsicht kontrolliere dort regelmäßig. Nun haben sich dennoch sechs Arbeiter der dort mit Armierungsarbeiten beauftragten türkischen Baufirma Efra mit dem Virus infiziert, zwei davon liegen im Krankenhaus. Die erste Infektion sei am 13. April gemeldet worden, sagt Stadtsprecher Sven Matis. Er betonte, die Stadt tue alles, um eine Ausbreitung des Virus auf oder von der Baustelle zu unterbinden. Vier Infizierte sowie 92 Kontaktpersonen seien noch einige Tage in Quarantäne. Die Dauer sei abhängig von der Krankheit und vom Kontakt mit den Infizierten. Die Kontaktpersonen seien symptomfrei und in Arbeiterwohnheimen untergebracht. Welche Auswirkungen dies auf den Fortgang der Bauarbeiten am Tiefbahnhof und den Tunneln hat, ist derzeit unbekannt.

 

„Bis auf Weiteres“ wird S 21 fertig gebaut

Die DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH teilte mit, sie stehe mit ihren Auftragsnehmern und deren Subfirmen in enger Abstimmung, um die Baustellen des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm „bis auf Weiteres“ bestmöglich aufrechtzuerhalten. Man erwarte, dass sich diese strikt an die behördlichen Regelungen zur Eindämmung der Übertragung des Virus halten. Weitere Fragen zum Ausmaß der Infektion, den Lebensverhältnissen und konkreten Auswirkungen auf den Fortgang der Arbeiten blieben unbeantwortet.

Der Infektionsschutz könne auf der Baustelle nach Ansicht der Fachämter eingehalten werden. Dennoch werde am Montag geprüft, „ob noch mehr für die Gesundheit der Bauarbeiter getan werden kann“, so Sprecher Sven Matis. Das Gesundheitsamt tausche sich täglich mit der Baufirma und der Baustellenleitung aus, um auch möglicherweise weitere medizinische Schritte zu ergreifen. Die Gewerbeaufsicht kontrolliere regelmäßig, ob auf der Baustelle die Vorgaben des Infektionsschutzes eingehalten würden. Man habe einen Sicherheits- und Gesundheitsplan erstellt, vor Ort seien die Hygieneeinrichtungen auf der Baustelle überprüft worden. Ein Mitarbeiter kontrolliere „per Sichtkontakt nahezu täglich“ auf der Baustelle auch die Einhaltung der Abstandsregelung. Was die Wohncontainer angehe, gehörten sie zur Arbeitsstätte. Sie müssten „angemessen“ sein und seien so zu betreiben, dass es nicht zu Gefährdungen komme.

Nur noch wenige Kontrollen vor Ort

Das Wirtschaftsministerium hat nun eingeräumt, dass landesweit seit Beginn der Kontaktsperren „die aktive Überwachung von Betrieben in verminderter Form durchgeführt wird“ – vor allem wegen des Schutzes der behördlichen Mitarbeiter. Es gebe „keine eigeninitiierten Kontrollen, um nach dem Arbeitsschutz zu schauen“, hat die Landesvize des Beamtenbundes, Michaela Gebele, erfahren. Mögliche Gründe sind Personalmangel – die Gewerbeaufsicht ist im Zuge des Übergangs vom Land auf die Land- und Stadtkreise extrem ausgedünnt worden – oder schlicht das Fehlen von Schutzkleidung. Beschwerden würden dann telefonisch bearbeitet. Das ist in Stuttgart nicht anders.

Linksbündnis fordert einen Baustopp

Der Fraktionsvorsitzende des Linksbündnisses, Thomas Adler, sagte: „Die personelle Auszehrung der Gewerbeaufsicht war bereits vor der Corona-Krise bekannt. Wie das unterbesetzte Amt die Zustände auf der S-21-Baustelle wirksam überwachen soll, bleibt das Geheimnis der Verwaltung“ Bauunternehmen und Projektbetreiber hätten einen Persilschein. Der Co-Vorsitzende Hannes Rockenbauch fordert von der Stadt „eine ungeschönte Offenlegung des Infektionsgeschehens und die Schließung der Baustelle. Das Aktionsbündnis gegen S 21 erinnerte daran, bereits Ende März vor den Ansteckungsrisiken auf den Baustellen gewarnt zu haben. Das Bahnprojekt sei nicht systemrelevant, die Arbeiten gehörten gestoppt. Das Bündnis behauptet, dass die Mitarbeiter der Gewerbeaufsicht nur stichprobenartig kontrollierten, um sich selbst vor Ansteckung zu schützen und sich niemand um die Beschäftigten der Subunternehmen von Züblin und Hochtief kümmere.

Gewerbeaufsicht in der Krise

Deutschland gibt es rund 500 000 Arbeitsunfälle pro Jahr. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland auf dem Sicherheitsniveau von Bulgarien und Ungarn. Begünstigt wird das fahrlässige Verhalten der Beschäftigten durch fehlenden Kontrolldruck. In den vergangenen 20 Jahren wurde landesweit die Zahl der Mitarbeiter in den Gewerbeaufsichtsämtern um zwei Drittel gekürzt. Statistisch gesehen wird ein Betrieb nur alle 30 Jahre kontrolliert.

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