Ein britischer Arzt hat ein Foto jener Medikamente ins Netz gestellt, die ein Covid-Intensivpatient an einem Tag benötigt. Um was genau handelt es sich dabei?

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Ungeimpfte haben trotz vermehrter Impfdurchbrüche nach wie vor ein deutlich höheres Risiko als Geimpfte, infolge einer Corona-Infektion auf der Intensivstation zu landen. Und dort kommen in der Regel Medikamente zum Einsatz, deren mögliche Nebenwirkungen die Risiken einer Impfung um ein Vielfaches übersteigen können.

 

Um diesen Medikamentencocktail plastisch darzustellen, hat der britische Mediziner David Frocester bei Twitter ein Foto gepostet, auf dem er die üblicherweise eingesetzten Präparate zusammengestellt hat. „Diese ganzen Medikamente sind nötig, um einen Covid-Patienten in kritischem Zustand einen Tag lang zu behandeln“, schreibt der Arzt. Der Virologe Christian Drosten und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach haben Frocesters Tweet geteilt. „Das ist sehr eindrücklich“, so Drostens Urteil.

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Aber braucht ein schwer an Corona erkrankter Mensch wirklich so viel Arznei? „Natürlich gibt es individuelle Unterschiede, aber der gezeigte Tagesbedarf liegt absolut im Bereich des Möglichen“, sagt Gregor Paul, Oberarzt und Infektiologe im Klinikum Stuttgart. Manche Patienten bekämen sogar noch mehr Medikamente. Auf Frocesters Foto sind 13 verschiedene Präparate zu sehen – darunter auch Infusionslösungen und Nährstoffkonzentrate für die künstliche Ernährung, die keine pharmazeutischen Wirkstoffe enthalten. Die übrigen Mittel, die bei Covid-Intensivpatienten eingesetzt werden, lassen sich grob in vier Gruppen einteilen.

Anästhetika und Muskelrelaxantien versetzen die Patienten in künstlichen Tiefschlaf und entspannen die Muskulatur. Beides ist nötig, um Covid Erkrankte über einen Schlauch invasiv beatmen zu können. Das Twitter-Bild von Frocester zeigt insgesamt vier Präparate aus dieser Gruppe. Die schwere Erkrankung selbst sowie die Anästhetika seien häufig eine starke Belastung für den Kreislauf, so Paul. Daher müssten oft auch Medikamente verabreicht werden, die das Herz-Kreislaufsystem unterstützen.

Blutverdünner verringern das Risiko, dass sich während der Behandlung Blutpfropfen bilden, welche die Gefäße verschließen können. So sollen Thrombosen oder Schlaganfälle vermieden werden.

Entzündungshemmer Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist der künstliche Kortison-Verwandte Dexamethason. Das Mittel wirkt entzündungshemmend und bremst das Immunsystem. Denn ein schwerer Covid-Verlauf ist oft mit einer Überreaktion der körpereigenen Abwehr verbunden, die größere Schäden anrichten kann als das Virus selbst. „Dexamethason ist der unangefochtene Spitzenreiter und zudem recht preisgünstig“, sagt Gregor Paul. Entzündungshemmend wirkt auch Tocilizumab. Der Wirkstoff, der sonst vor allem bei rheumatischen Erkrankungen eingesetzt wird, blockiert die Rezeptoren für den Botenstoff Interleukin 6. Dieser spielt eine zentrale Rolle bei Entzündungsprozessen. Um eine zu starke Immunreaktion zu verhindern, werden zudem sogenannte JAK-Inhibitoren gegeben. Diese hemmen bestimmte Enzyme, die an der Signalweiterleitung in den Zellen beteiligt sind. Sie wurden ursprünglich ebenfalls zur Rheuma-Behandlung entwickelt.

Monoklonale Antikörper Dabei handelt es sich um biotechnologisch herstellte Eiweißmoleküle. Sie funktionieren ähnlich wie die vom menschlichen Immunsystem produzierten Antikörper: Sie heften sich an das Coronavirus an und verhindern so, dass dieses an menschliche Zellen andocken kann. Monoklonale Antikörper werden vor allem in früheren Phasen einer Covid-Erkrankung eingesetzt. Sie könnten das Sterberisiko von Covid-Intensivpatienten um rund ein Drittel verringern, heißt es in den Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit Covid-19, die von den einschlägigen medizinischen Fachgesellschaften erstellt wurden. Die Anwendung von Blutplasma genesener Corona-Patienten habe sich dagegen nicht bewährt, sagt Paul.

Daneben werden bei längeren Aufenthalten auf der Intensivstation häufig Fiebersenker wie Paracetamol und Antibiotika gegeben, um parallel auftretende bakterielle Infektionen zu behandeln. „Die Möglichkeiten der medikamentösen Behandlung haben sich seit Beginn der Pandemie deutlich verbessert“, sagt Paul. Das sei einer der Gründe dafür, dass die Sterblichkeit bei Covid-Intensivpatienten spürbar zurückgegangen sei. Auf der anderen Seite sei aber auch klar, dass die intensivmedizinische Behandlung über einen längeren Zeitraum eine erhebliche Belastung für die Patienten mit sich bringe.

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„Zwischen den potenziellen Nebenwirkungen dieser Medikamente und den gesundheitlichen Risiken einer Impfung liegen Welten“, sagt Paul und nennt einige Beispiele. So könnten Blutverdünner zu Blutbildveränderungen und zu vermehrten Blutungen führen. Das Anästhetikum Propofol wiederum könne in seltenen Fällen Veränderungen des Stoffwechsels oder Nierenversagen zur Folge haben. Muskelentspannende Mittel können laut Paul Funktionsstörungen der Muskulatur und Stoffwechselprobleme hervorrufen. Und das Kortisonpräparat Dexamethason könne zu erhöhter Anfälligkeit für andere Infektionen führen sowie zu Blutzuckerentgleisungen und Magengeschwüren.

Paul zieht daher ein ähnliches Fazit wie David Frocester: „Eine Impfung ist ganz klar die bessere Alternative.“