Die Corona-Fallzahlen steigen rasch an. Forscher mahnen, die dritte Welle könne größer werden als die zweite. Was hilft?

Berlin - Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland hat die 100er-Marke überschritten. Das Robert Koch-Institut (RKI) teilte am Sonntag mit, die Zahl der binnen einer Woche gemeldeten Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner liege bei 103,9. Am Vortag hatte sie noch 99,9 betragen. Die bundesweite Inzidenz von über 100 ist zunächst vor allem von symbolischer Bedeutung. Sie hat keine zwingenden Folgen für den Umgang mit der Pandemie. Entscheidend für das Zurücknehmen von Lockerungen der Corona-Maßnahmen ist die jeweilige Inzidenz in einzelnen Regionen Deutschlands.

 

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Doch auch die Zahl der Landkreise mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 100 ist hoch: Nach RKI-Daten vom Sonntagvormittag hatten 180 oder 43 Prozent von 412 Landkreisen diesen Wert überschritten, ab dem jüngste Lockerungen wieder aufgehoben werden sollen. Die bundesweite Inzidenz hat sich innerhalb eines Monat stark erhöht - am 21. Februar lag sie noch bei 60,2. Zwar stiegen auch die Testzahlen etwas an, jedoch wesentlich weniger stark.

Forscher machen Variante B.1.1.7 für Anstieg verantwortlich

Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland 13 733 neue Corona-Infektionen - knapp 3000 mehr als in der Vorwoche. Auch auf den Intensivstationen gibt wieder einen Anstieg an Covid-19-Patienten. Außerdem wurden 99 neue Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus gemeldet. Das ist zwar auch ein Anstieg, doch lässt hier noch keine generelle Erhöhung absehen. Zwischen Entdeckung der Infektion und dem Tod können mehrere Wochen liegen. Die Daten geben den Stand des RKI-Dashboards von 05.40 Uhr wieder, nachträgliche Änderungen des Instituts sind möglich.

Forscher machen unter anderem die Ausbreitung der in Großbritannien entdeckten Variante B.1.1.7 für den Anstieg der Infektionszahlen verantwortlich - und die Zahlen könnten weiter stark steigen. „Unsere Simulationen zeigen, dass selbst mit den Restriktionen vom Januar die dritte Welle höhere Inzidenzen aufweisen wird als die zweite“, schreibt ein Team um den Mobilitätsforscher Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin im Modus-Covid-Bericht. Die dämpfende Wirkung der wärmeren Jahreszeit sei schon berücksichtigt. Auch wenn bis Mitte April 15 Prozent der Bürger mindestens eine Impfung haben, sei dies deutlich zu gering, um die um 35 bis 70 Prozent höhere Zahl von Übertragungen durch die neue Variante B.1.1.7 auszugleichen.

Anteil der B.1.1.7-Variante bei 72 Prozent

Auch bei Treffen, die nach den Corona-Regeln erlaubt seien, sollte daher mindestens eine der Maßnahmen wie Selbsttests, Impfungen, Verlagerung nach draußen oder Maskentragen befolgt werden, schreibt das Team. In jedem Mehrpersonenbüro sei eine Maskenpflicht ebenfalls nötig, weil sich die virenhaltigen Aerosole im ganzen Raum verteilten. In Schulen raten die Forscher zu mindestens zwei Maßnahmen von: Maskenpflicht, Schnelltest oder Wechselunterricht.

 

Die ansteckendere und auch gefährlichere Corona-Variante B.1.1.7 habe einen Anteil von 72 Prozent erreicht, heißt es in einem RKI-Bericht vom Mittwoch. Vergangene Woche waren es noch etwa 55 Prozent.

Gesamtzahl der Infektionen wohl deutlich höher als getestet

Die Physikerin und Modelliererin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation mahnt ebenfalls schärfere Maßnahmen an, vor allem mehr Test. Sie gibt aber auch einen leicht hoffnungsvollen Ausblick: „Ab April/Mai wird die Immunisierung durch Impfen anfangen, Fahrt aufzunehmen. Sobald rund 30 Prozent der Menschen immun sind, haben wir trotz #B117 (Anmerkung: Variante B.1.1.7) eine ähnliche Lage wie im letzten Sommer“, schrieb sie auf Twitter. Voraussetzung sei jedoch, dass sich keine weiteren hochansteckenden Varianten entwickeln. Aus Vorsicht solle man daher unbedingt die Fallzahlen niedrig halten.

Seit dem Beginn der Pandemie haben sich nach Angaben des RKI 2 659 516 Menschen in Deutschland mit Sars-CoV-2 infiziert. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 74 664.

Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht vom Samstagabend bei 1,22 (Vortag 1,18). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 122 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen.