Das Coronavirus dient auf den Philippinen zur weiteren Schwächung der Demokratie. Der Präsident lässt mithilfe eines neues Gesetzes Gegner brandmarken und verfolgen.

Manila - Nur ein paar Schilder hielten sie hoch, „Ende dem Staatsterrorismus“ stand da oder „Weg mit dem Terrorgesetz“. Vielleicht 40 Personen waren es, die in Cebu, der zweitgrößten Stadt des Landes, am Eingang zur University of the Philippines protestierten. „Die Polizei hat uns erst vertrieben, dann verfolgt“, sagt Aura Sahn, wenn sie den 5. Juni rekapituliert. Noch zwei Monate später steckt der Studentenvertreterin der Schreck merklich in den Gliedern. „Sie haben einfach acht unserer Leute verhaftet. Niemand wusste, was sie falsch gemacht haben sollen. Sie haben mit Gewehren den Campus gestürmt!“

 

Nach Ansicht der 20-jährigen Mathematikstudentin hatten die Studenten der renommiertesten Uni des südostasiatischen Landes nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt. Doch in den Augen der Polizei zählt das nicht. „Wir befinden uns in einer Pandemie“, hat Albert Ignatius Ferro, Direktor der Polizei in Cebu, kurz nach dem Vorfall gegenüber Journalisten erklärt. „Warum veranstalten sie eine Demo? Was, wenn sie infiziert sind?“ Die Demonstranten hätten gegen die aktuell geltenden Quarantäneregeln verstoßen. Und die gesundheitspolitische Lage sei derzeit das Wichtigste.

Widerspruch gilt plötzlich als kriminell

Auf den Philippinen, einem Land mit 106 Millionen Einwohnern, das sich seit Monaten im Lockdown befindet, scheint allerdings kaum noch klar, was gegenwärtig wirklich das Wichtigste ist. Auf der einen Seite ist da natürlich die Pandemie, die sich umso schneller verbreitet, je mehr Menschen die Regeln nicht beachten. Die Krankenhäuser des über weite Flächen armen Landes sind schon jetzt überfüllt, 103 000 Personen sind offiziell an Covid-19 erkrankt, gut 2000 gestorben. Zugleich wurde auf dem Unicampus in Cebu nicht etwa gegen Quarantäneregeln oder Maskenpflicht protestiert. Sondern für echte, existenzielle Freiheiten.

Die Regierung um den seit 2016 regierenden Präsidenten Rodrigo Duterte hat ein Anti-Terrorismus-Gesetz durch das Parlament gebracht, das Festnahmen ohne Haftbefehl ermöglicht und schon das „Anstiften“ zu Aufruhr für strafbar erklärt. Das Gesetz ist so vage und zugleich so weitreichend, dass sich sogar die katholische Kirche im Land, die selbst nicht als liberale Institution bekannt ist, alarmiert sieht. Sie hat Vergleiche mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz hergestellt, das Chinas Regierung für Hongkong beschlossen hat. Widerspruch gilt nun als kriminell. Das neue Anti-Terrorismus-Gesetz achtet mehrere Grundrechte, die in einer Demokratie elementar sind, kaum noch.

Seinen Wahlkampf gewann er mit dem Versprechen, Drogenabhängige erschießen zu lassen

„Duterte nutzt die Pandemie, um seine eigene Diktatur zu errichten“, sagt Aura Sahn von ihrem Zimmer im Studentenwohnheim per Whatsapp-Call. „Wir beobachten das ja schon länger. Seit Jahren werden Menschenrechte verletzt und die Demokratie geschwächt.“ Und sie erklärt, dass Dutertes Regime die Quarantänerhetorik, wie sie bei dem Polizeieinsatz an Sahns Uni Anfang Juni noch nötig war, nun nicht mehr brauche. Denn Ende Juli wurde das Anti-Terrorismus-Gesetz, gegen das mehrere Juristen Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit haben, gegen allen Widerstand unterzeichnet. „Jetzt können wir auch ganz ohne Grund festgenommen werden.“

In den vier Jahren, die Duterte sein Land nun regiert, hat er schon einiges gegen Demokratie und Rechtsstaat getan. Seinen Wahlkampf gewann er mit dem Versprechen, Drogenabhängige erschießen zu lassen, weil diese doch meist kriminell seien. Tausende Personen sind seither getötet worden. Außerdem sitzen politische Gegner im Gefängnis, kritischen Medien werden Lizenzen entzogen.

Zu Beginn des Lockdowns drohte er auch, dass Regelbrecher der Quarantänebestimmungen erschossen würden – kurz darauf flogen Kugeln. Anfang April wurde ein 63-jähriger Mann, der keine Maske getragen hatte, von der Polizei erschossen. Duterte will auch die Todesstrafe wieder einführen. Aus seinem Umfeld wurde auch angedeutet, dass man die Begrenzung für Präsidenten – eine Legislaturperiode à sechs Jahre – abschaffen wolle.

Das Regime nimmt sich nun die Universitäten und den Bildungssektor vor

Die Parallelen zur Diktatur im Land, die erst vor dreieinhalb Jahrzehnten endete, sind mittlerweile zahlreich. Die Studentin Aura Sahn kennt sie nur aus Erzählungen. Aber Regletto Imbong, der an derselben Uni Philosophie lehrt, hat sie erlebt. „Vieles, was jetzt passiert, kennt man noch aus der Zeit von Ferdinand Marcos“, so Imbong via Facebook. Wie so viele auf den Philippinen ist auch Regletto Imbong seit Monaten ins Homeoffice geschickt worden. Gegen die Quarantäneregeln habe er nichts. Aber gegen das, wozu die Regierung die Regeln ausnutze. „Der Lockdown dient Duterte als politisches Werkzeug“, sagt auch Regletto Imbong.

Große Proteste auf der Straße waren es, die Ferdinand Marcos Anfang 1986 nach 20 Jahren als autoritärer Regierungschef aus dem Amt jagten. Marcos’ Regime war international berüchtigt für Korruption und Brutalität. Politische Gegner wurden zu Tausenden erschossen, zu Zehntausenden gefoltert und verhaftet. Rodrigo Duterte nimmt sich Marcos, mit dessen Familie er politisch verbündet ist, als Vorbild. Er hat ihn sogar öffentlich zum Helden erklärt. Und er, der wie Marcos demokratisch gewählt wurde, will offenbar in solche undemokratischen Zeiten zurück.

Nach den Oppositionspolitikern und den Medien nimmt sich das Regime nun die Universitäten und den Bildungssektor vor. Gegen Ende der Marcos-Diktatur bildeten Studenten, Lehrer und Professoren einen entscheidenden Bestandteil der Opposition. Duterte scheint daraus gelernt zu haben. „Vor einigen Wochen haben wir darüber berichtet, wie das Militär in einem Armenviertel einfach das Feuer auf die Menschen eröffnete“, erzählt Mel Joseph, Politikstudent und Chefredakteur der Universitätszeitung „Tug-Ani“, am Telefon. Auch Mel Joseph verlässt seit Wochen kaum noch sein Haus. Aber für die Demonstration in Cebu war er dann doch auf dem Campus.

Die Medien wollen sich nicht zum Schweigen bringen lassen

Er erzählt: „Kurz nachdem unsere Story erschienen war, unterstellte uns die Anti-Terrorismus-Task-Force der Regierung im Internet, dass wir Rebellen seien. Das war klares Red-Tagging gegen uns.“ In der US-amerikanisch geprägten politischen Kultur des Landes wird der Begriff „Red-Tagging“ seit Langem gebraucht. Er bezeichnet öffentliche Äußerungen durch Machthaber, die jemandem unterstellen, dem kommunistischen Untergrund anzugehören, um diese Person zu diskreditieren. „Das kann jetzt zur Folge haben, dass jemand von uns ins Gefängnis muss“, sagt Mel Joseph.

Er ist nervös. So wie auch wie Regletto Imbong. „Im Parlament wird derzeit diskutiert, ob es auch als Anstiften zum Terrorismus gilt, wenn man an der Uni Marx oder Nietzsche lehrt.“ Imbong kann diesen Satz nicht aussprechen, ohne zu lachen. Aber eigentlich sei ihm sehr unwohl beim Gedanken. „Wenn dich ein Regierungsvertreter öffentlich als Quasiterroristen darstellt, dann kann das heutzutage das Todesurteil sein.“

Was tun? Aufhören zu lehren und zu schreiben? „Wir werden weiterhin berichten“, sagt der 20-jährige Mel Joseph. Der Name der von ihm verantworteten Zeitung, „Tug-Ani“, bedeute schließlich „sagen und entlarven“. Sie sei so beliebt, dass sie an andere Unis geschmuggelt werde. Mel Joseph will bald auch eine Vorlesung von Regletto Imbong besuchen.