Immer wieder werden Heime von Asylbewerbern zu Hotspots der Corona-Ausbreitung. In Bayern gehen die Behörden mit Bauzäunen und Großeinsätzen der Polizei dagegen vor.

München - Sie leben zum Teil seit acht Wochen in Quarantäne, abgeriegelt von der Welt, und mit jedem positiven Corona-Test dauert es noch länger. Sie wohnen auf engem oder engstem Raum. Dass sich zwei Familien ein Bad teilen, ist normal. Mancherorts sind es ganze Etagen, zwanzig bis dreißig Menschen, denen nur eine Sanitäreinheit zur Verfügung steht. Und manchmal kommt die Polizei. 180 Mann sind neulich in ein Rosenheimer Asylbewerberheim eingedrungen, frühmorgens, in voller Montur, mit Schilden auch, ein Polizist pro Flüchtling, mehrere in jedem Zimmer. Die Kinder haben sie sich vorgenommen, weil die noch am ehesten Deutsch verstehen: „Du bist infiziert, deswegen muss deine ganze Familie weg!“ Gerade eine halbe Stunde Zeit hatten die Betroffenen, ihre Sachen zu packen. Hernach resümierte ein Polizeisprecher: „Alles ist reibungslos über die Bühne gegangen.“ Das große Polizeiaufgebot sei „vorbeugender Standard“ bei solchen Einsätzen.

 

Dass Heime für Asylbewerber, auch Gemeinschaftsunterkünfte genannt, zu Hotspots der Corona-Ausbreitung werden können, liegt aufgrund der Unterbringung nahe; eine wissenschaftliche Studie der Uni Bielefeld spricht von einem Risiko, das wegen der hohen Personendichte dem von Kreuzfahrtschiffen gleichkomme oder es sogar übersteige. Im nordrhein-westfälischen St. Augustin sind 152 von 312 Bewohnern positiv getestet worden; in Ellwangen hatten sich im April die Hälfte der 580 Bewohner infiziert; im unterfränkischen Geldersheim 137 von 580 Bewohnern. In Rosenheim waren es 21 von 180 Bewohnern – deshalb wurden, zusammen mit Familienangehörigen als „Kontaktpersonen“ ersten Grades, bei dem Großeinsatz am 13. Mai insgesamt 58 Menschen ausquartiert. In Bayern sind nach Angaben des Innenministeriums bereits drei Asylbewerber an Covid-19 gestorben; mehr als 1150 haben sich angesteckt, elf liegen nach aktuellem Stand im Krankenhaus.

„Gehalten wie Tiere“

„Quarantäne“ bestand in den ersten bayerischen Corona-Wochen darin, dass die Behörden einfach Bauzäune um die Unterkünfte auf- und Wachen davorstellten. „Bei Deutschen machen sie so was nicht“, reagierten Nachbarn, und im Bayerischen Wald sagte sogar ein CSU-Politiker, der Bürgermeister von Viechtach, Franz Wittmann: „Die werden da gehalten wie die Tiere.“ Ab und zu – wie in Geldersheim und in Viechtach – protestieren die Eingeschlossenen lautstark; die Polizei vermeldet anschließend, sie habe zu einem Großeinsatz ausrücken „müssen“. Und dieses „Müssen“ wird sogar von örtlichen Medien übernommen. Verständnis für die Flüchtlinge wird dann eher wenig geäußert. Dabei sagt Claudia Hinz von der Caritas in Rosenheim: „Sie haben auf dem beengten Raum Angst, sich anzustecken. Sie befürchten so etwas wie Ebola. Manche verbarrikadieren sich, manche reagieren panisch.“

Heraus aus dem Bauzaun darf in Quarantäne-Fällen niemand, das Einkaufen fällt dann entweder aus oder es wird von Helferkreisen übernommen. Hinein durfte lange Zeit aber auch niemand. Das war und bleibt gerade in Ankerzentren ein Problem. Dorthin, sagt Gabriele Störkle von der Caritas in Manching bei Ingolstadt, habe das Bundesamt für Asyl und Migration (Bamf) noch Asyl-Ablehnungen geschickt, als längst ein Betretungsverbot für Berater und Helfer erlassen war. Auch die eigene Beratungsstelle des Bamf sei geschlossen, die örtliche Stelle des Verwaltungsgerichts sowieso – wie, so Störkle, solle da einer die ihm zustehenden Rechtsmittel einlegen können, in der üblichen kurzen Frist von einer Woche auch noch? „Der kann sich doch nicht einfach in den Zug setzen und nach München fahren!“ Und nach einer kurzen Schonfrist habe das Bamf nun wieder mit dem Verschicken von Bescheiden begonnen.

Bewegung in Sicht

In Manching war die Caritas als einzige zugelassene Hilfs- und Beratungsorganisation – auch für psychische Notfälle – am Anfang fast nur mehr telefonisch präsent; Masken hätten gefehlt, Schutzausrüstung habe sich die Caritas selbst besorgt, sagt Störkle. Inzwischen aber setze bei den Behörden ein gewisses Umdenken ein. Mittlerweile, nach so vielen Wochen, liefen die Gespräche mit der zuständigen Regierung von Oberbayern gut, sagt die Sozialarbeiterin Störkle, und mit anderen, kommunalen Einrichtungen arbeite man schon länger einvernehmlich zusammen.

Hatte das bayerische Innenministerium zu Anfang April erklärt, man wolle die Belegung in den staatlichen Anker-Einrichtungen „wo immer möglich entzerren“, so sind jetzt auf dem weitläufigen Ex-Kasernengelände von Manching ein paar Häuser für Quarantäne-Fälle separiert – auch per Bauzaun, ein Lager im Lager gewissermaßen –, es werden nach Manching aber auch Quarantänefälle aus anderen Gemeinschaftsunterkünften verlegt. Das soll kleineren, beengten Einrichtungen mehr Luft verschaffen. In Manching selbst ist auch deswegen viel Platz, weil praktisch keine neuen Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Und mittlerweile, sagt Störkle, gäben „die Verantwortlichen“ in Bayern auch die Problematik harter Polizeieinsätze zu. Sie sähen ein, dass man die Asylbewerber zuerst einmal „umfassend informieren“ müsse über Corona und die Begleiterscheinungen, auch und gerade in den jeweiligen Sprachen. Wenn die Polizei anrückt, haben die ohnehin verängstigten Flüchtlinge aus gewisser Erfahrung ja zunächst einen Verdacht. Störkle sagt: „Sie wissen nicht, ob sie der Polizei hier trauen können, oder ob man sie in den nächsten Flieger setzt.“