Einsamkeit ist laut einer Studie für viele Menschen auch in Baden-Württemberg ein Thema. Die sozialen Einschränkungen während der Corona-Krise machen das nicht leichter. Was kann man dagegen tun?

Überlingen/Stuttgart - (dpa/lsw) Eines macht Norma Müller direkt zu Beginn des Gesprächs klar: „Einsam kann man auch in der Gruppe sein.“ Die 70-Jährige hat vor einigen Jahren gemeinsam mit ihrem Mann in Überlingen am Bodensee ein Mehrgenerationenhaus gegründet - und lebt seitdem mit 18 weiteren Menschen zwischen 3 und 99 Jahren unter einem Dach. Jede Familie hat ihre eigene Wohnung, aber sie kümmern sich beispielsweise gemeinsam um den Garten oder basteln in der Werkstatt und kommen regelmäßig zu Hausabenden zusammen. „Wir achten unsere Freiheit, aber freuen uns an Gemeinsamkeiten“, sagt Müller. Das Mehrgenerationenhaus verstehe sich als eine Gruppe von Menschen, die versuche, Wege für eine neue Gemeinschaftsbildung auszuprobieren und gemeinsam zu gehen.

 

Grundsätzlich sei eine solche Lebensform ein gutes Mittel gegen Einsamkeit, sagt Müller. Es gebe jederzeit die Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und sich gegenseitig zu begleiten. „Das trifft auf die Sehnsucht der Menschen.“ Trotzdem sei das gemeinsame Leben nicht für jedermann geeignet: „Man muss auch bereit sein, diese Sehnsucht zu erfüllen.“ Es gehe nicht nur darum, Gemeinschaft und Hilfe zu empfangen. „Man muss sich auch einbringen und auf andere zugehen - sonst ist man trotzdem allein.“

Viele Menschen fühlen sich einsam

Das Gefühl von Einsamkeit kennen einer Umfrage zufolge viele Menschen in Baden-Württemberg: 44 Prozent der 18- bis 69-Jährigen im Südwesten fühlten sich in den vergangenen fünf Jahren zumindest manchmal einsam. Unter den Alleinlebenden sind es sogar 61 Prozent, wie die Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der AOK Baden-Württemberg kürzlich ergeben hat. Rund 2000 Internetnutzer wurden für die Erhebung befragt, über die zuvor auch die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet hatte.

„Einsamkeit ist eine prägende Realität unserer Gesellschaft“, teilte Vorstandschef Johannes Bauernfeind bei der Veröffentlichung der Umfrage mit. Die AOK will dem mit einer landesweiten Kampagne entgegenwirken - der Start wird allerdings wegen der Corona-Krise erstmal verschoben. Eigentlich sollten Gleichgesinnte ab Mitte April bei 14 Veranstaltungen im ganzen Land zusammenfinden, um gemeinsam aktiv zu sein und sich gegenseitig zu einem gesunden Lebensstil zu motivieren. „Die Kampagne wird voraussichtlich zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden“, teilte die AOK mit.

Die aktuelle Corona-Krise hat das Thema Einsamkeit zudem für viele Menschen in den Vordergrund gerückt: Die Eltern, Großeltern, Freunde und Verwandte nicht mehr besuchen zu können, ist für viele eine harte Einschränkung. Und plötzlich viel Zeit mit sich selbst zu verbringen - das fällt nicht jedem leicht. „Aber als Erwachsene müssen wir lernen, auch mit uns selber konfrontiert zu sein in der Einsamkeit“, sagt der Benediktinerabt Notker Wolf. „Und das ist vielleicht mitunter das Schwierigste: dass wir uns selber aushalten müssen. Das hat ja auch den Vorteil, dass wir uns mal selber kennenlernen. Viele begeben sich dann aber lieber auf die Flucht und lenken sich mit anderen Dingen ab.“

Zuneigung anders ausdrücken

Für Mönche wie ihn sei zudem die Gemeinsamkeit mit Gott etwas Besonderes - etwa im Gebet. „Die Psalmen sind ein großartiger Schatz des menschlichen Ausdrucks, der Verlassenheit, aber des Vertrauens auf Gott, dass er doch bei uns ist und uns hört.“

Dass durch die derzeit geltenden Kontaktbeschränkungen persönliche Begegnungen wegfielen, sei aber für viele Menschen schwer - gerade für Ältere. „Da bleibt dann eigentlich nur die Möglichkeit, Menschen anzurufen“, sagt Abt Notker, der in seinem Buch „Ich denke an Sie“ über Einsamkeit schreibt. „Das tue ich auch in diesen Tagen.“ Auch Briefe oder E-Mails könne man schreiben. „Das kann alles helfen, wenigstens ein Stück weit diese soziale Einsamkeit zu überbrücken.“

Aber wie fühlt man sich dem anderen nahe, wenn man ihn nicht berühren, in den Arm nehmen kann? In solchen Momenten müsse man einfach neue Wege finden, um Zuneigung auszudrücken, sagt Abt Notker. „Mir hat heute früh eine 95-Jährige, die mich immer wieder mal anruft, gesagt: „Ich streichle Sie.“ Das ist doch lieb!“