Rund 50 000 Stuttgarter Schulkinder lernen zurzeit zu Hause. Ihre Eltern werden zu Lehrern und fühlen sich teilweise mit den Aufgaben überfordert.

Stuttgart - Um die rasante Verbreitung des Coronavirus auszubremsen, sind alle Schulen geschlossen, bis auf weiteres bis 20. April. Für die Schüler wurde Arbeits- und Übungsmaterial zusammengestellt, damit das Lernen trotzdem weitergehen kann. Seither sind die Eltern als Hauslehrer gefragt, doch einige sind damit überfordert – und nicht nur sie.

 

Die Aufgaben in Mathe haben den 15-jährigen Gemeinschaftsschüler unangenehm überrascht: „Arbeite das Kapitel Parabelberechnung durch“, lautete die Anweisung. Weder sei das Thema schon eingeführt gewesen, noch hätte es weitere Anleitung gegeben. „Das ganze Kapitel soll in den nächsten drei Wochen bearbeitet sein und ich vermute mal, dass nicht alle Eltern dabei helfen können“, sagt Kathrin Grix, die Mutter des Neuntklässlers. „Dass die Kinder jetzt allein zu Hause dasselbe und so viel wie zu Unterrichtszeiten erarbeiten können, ist einfach nicht machbar.“

Stapelweise Aufgaben

Nicht nur das Kind der Gesamtelternbeiratsvorsitzenden der Stuttgarter Schulen (GEB) steht vor großen Herausforderungen, denn auch an vielen anderen Schulen haben viele Fachlehrer das Füllhorn ausgeschüttet. Referate für Gemeinschaftskunde, Textinterpretationen für Musik, Vokabeln seitenweise und in mehreren Fremdsprachen lernen, Texte abschreiben (!), Begriffserörterungen – „auch die Besten aus ihrer Klasse fühlen sich, als würden sie in den Aufgaben ersticken“, sagt die Mutter einer 13-jährigen Gymnasiastin, die nicht namentlich genannt werden will. Dabei habe sie noch das Glück, dass das Mädchen ihre Aufgaben selbst in die Hand nehme.

Grundschüler brauchen da schon mehr Anleitung. „Ich mache deshalb zurzeit keine Überstunden“, sagt Stefan Hoss. Der Vater einer Grundschülerin und eines Kindergartenkinds ist Projektmanager und arbeitet jetzt von zu Hause aus. „Das geht relativ gut, weil unsere Tochter uns nur gelegentlich für Rückfragen braucht. Nur unseren Jüngsten müssen wir bremsen, wenn er wieder Fangen spielen will in der Wohnung.“ Deshalb habe die Familie einen Plan aufgestellt: „Nach dem Frühstück macht sie Deutsch, nach dem Mittagessen Mathe und nachmittags noch mal Deutsch. In den Pausen schauen wir, dass die Kinder zusammen spielen können. Das einzige was nervt, ist das langsame Internet.“

Problem mit digitalen Instrumenten

Ein Problem, das auch Schüler haben: Eine Klasse klagt über Moodle, eine Internetplattform für registrierte Nutzer, „mal war’s da, mal war’s weg“, sagt die Elternbeirätin. Grundschullehrer hätten Videokonferenzen zu festen Zeiten über das Programm Teams angekündigt und den Kindern empfohlen, ihre Fragen im Chat zu schreiben. Eine Mutter: „Das ist mit neun Jahren doch illusorisch, und ich selbst hatte noch gar nicht die Zeit, mich mit dem Programm zu befassen.“ Höhere Klassen tauschen sich über Whatsapp aus, was aus datenschutzrechtlichen Gründen eigentlich verboten ist – aber ohne Alternative: Die landesweite Kommunikationsplattform für Schulen ist bis dato nicht zustande gekommen.

Thomas Schenk, der Leiter des Staatlichen Schulamts Stuttgart, sieht die Zwänge, in denen Eltern momentan stecken. „Die Lehrer haben übers vergangene Wochenende auf die Schnelle die Arbeitsmaterialien zusammengestellt, da kann es schon sein, dass ein bisschen zu viel zusammenkam. Eltern sollten damit besonnen umgehen, die Kinder müssen das nicht alles abgearbeitet haben.“ Als Kommunikationsmittel habe das Regierungspräsidium Videokonferenzen vorgeschlagen, aber auch die würden Schwierigkeiten bereiten, wenn Nutzer das vorher noch nie hätten machen müssen.

Lehrer an Betreuung beteiligt

Laut Schulamt werden rund 150 Schüler in kleinen Gruppen in Schulen betreut, weil ihre Eltern in der so genannten kritischen Infrastruktur arbeiten. Sie können die technische Infrastruktur der Schule nutzen, außerdem sind am Vormittag Lehrkräfte im Haus: „Wir beteiligen uns an der Betreuung und garantieren diese von 7 bis 12 Uhr“, sagt Schulamtsleiter Thomas Schenk. Es finde allerdings keinerlei Unterricht statt. Bis zum Beginn der Osterferien, also bis einschließlich Freitag, 3. April, sei täglich ein Lehrer pro Schule im Einsatz, die Schulleiter hätten ohnehin Präsenzpflicht, die Sekretariate seien besetzt und auch die Hausmeister im Einsatz. Von 12 Uhr an würden die freien Träger die Betreuung übernehmen.

„Ich bin froh, dass meine beiden Kinder betreut sind“, sagt Alice Hass. Sie ist Leiterin der katholischen Sozialstation in Weilimdorf und dort unabkömmlich. Die kleine Tochter darf deshalb in ihren angestammten Kindergarten kommen, der Sohn an seine Schule. In den ersten Betreuungstagen hätten die Kinder „ausschließlich Spiel und Spaß gehabt“, was es nicht leicht mache, nachmittags noch effektiv zu lernen, aber Alice Hass glaubt, dass sich das noch einspielt: „Jetzt muss man erst mal den neuen Rhythmus finden.“

Dem stimmt die GEB-Vorsitzende Kathrin Grix zu. Eltern, Lehrer, Schüler und Schulbehörden sollten gegenseitiges Verständnis aufbringen und Augenmaß wahren, „jetzt sind Ruhe in der Kommunikation und Solidarität gefragt“.