Ausbreitung des Coronavirus Warum Stuttgart vergleichsweise glimpflich davongekommen ist

Schon zwei Wochen bevor die Politik Kontaktbeschränkungen erlassen hat, haben die Menschen in Stuttgart auf die Coronakrise mit Verhaltensänderungen reagiert. Das sei ein wichtiger Grund für die günstige Entwicklung der Infektionszahlen, meinen Statistiker.
Stuttgart - Die eigenverantwortlichen und frühzeitigen Verhaltensänderungen der Stuttgarter in der Coronakrise haben wesentlich dazu beigetragen, dass in der Landeshauptstadt die Verbreitung des neuartigen Virus vergleichsweise schnell und deutlich begrenzt werden konnte. Zu diesem Schluss kommt das Statistische Amt der Stadt bei einer Auswertung von Mobilitätsdaten.
Das Amt hat anonymisierte Benutzerdaten des amerikanischen Unternehmens Apple für Stuttgart unter die Lupe genommen, welche der US-Konzern der öffentlichen Hand zeitlich begrenzt zur besseren Bekämpfung der Corona-Pandemie bereitstellt. Es handelt sich um die zusammengetragenen täglichen Anfragen nach Wegbeschreibungen in Apple-Karten, getrennt nach Beförderungsmitteln (ÖPNV, Gehen, Fahren), die auch für einzelne Städte abrufbar seien, so Till Heinsohn, der Sachgebietsleiter Sozialstatistik.
Früh ist die Reproduktionszahl gesunken
Das Ergebnis: „Die Bürgerinnen und Bürger in Stuttgart haben ihr Mobilitätsverhalten in Eigenverantwortung bereits zwei Wochen vor der eigentlichen Kontaktbeschränkung angepasst“, erklärt Heinsohn. Dadurch lasse sich auch „das Absinken der Reproduktionszahl vor dem eigentlichen Lockdown erklären“.
Denn die Mobilität habe in Stuttgart bereits vor der eigentlichen Beschränkung sozialer Kontakte am 23. März „deutlich abgenommen“. Dies gelte für alle drei Beförderungsmittel. Der stetige Rückgang der Mobilität habe bereits vom 7. auf den 8. März eingesetzt. Diese frühzeitige Entwicklung sei nur von der Austragung des Fußballspiels zwischen dem VfB Stuttgart und Arminia Bielefeld mit rund 54 000 Zuschauern am Abend des 9. März im Stadion unterbrochen worden.
Absage von Großveranstaltungen
Der vorläufige Tiefpunkt der Mobilität sei am 21. März erreicht worden. In der darauffolgenden Phase der Beschränkung sozialer Kontakte habe das Mobilitätsverhalten der Menschen auf niedrigem Niveau stagniert. Erst ab der zweiten Aprilwoche habe die Mobilität der Bürger wieder leicht zugenommen, allerdings weit entfernt vom vorherigen Ausgangswert. Bis in den Mai hinein sei das auch so geblieben.
Es sei „unstrittig“, schreibt Till Heinsohn, dass die Reproduktionszahl R, die beschreibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Mittel ansteckt, „bereits vor der Beschränkung sozialer Kontakte auf einen Wert nahe eins gesenkt werden konnte“. Dies sei zum einen auf Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zurückzuführen, also etwa auf die Absage von Großveranstaltungen am 9. März und die Schließung von Schulen und Kitas am 16. März. Ganz wesentlich hierfür aber sei auch die Selbstbeschränkung des Mobilitätsverhaltens der Menschen gewesen.
Warum dann überhaupt Kontaktbeschränkungen?
In Anbetracht der vorbildlichen, eigenverantwortlichen Verhaltensanpassung der Bevölkerung stellten sich aber immer mehr Menschen „die Frage nach der Notwendigkeit der Kontaktbeschränkung“, warum man diese überhaupt benötigt habe, so das Amt. An dieser Stelle zitiert der städtische Statistiker Heinsohn das Robert-Koch-Institut (RKI): Nur dank des umfangreichen Kontaktverbots habe man die Reproduktionszahl auf einem Niveau nahe eins halten können. Ohne das Kontaktverbot „wäre die Reproduktionszahl wieder angestiegen“, ist man auch beim Statistischen Amt der Stadt überzeugt.
Dieses Ergebnis erklärt auch, warum der Ausnahmezustand in der Innenstadt schon vor dem Shutdown begonnen hat. Laut Zahlen des Datenportals Hystreet war der 11. März, ein Mittwoch, der letzte normale Tag im Handel auf der Königstraße mit einer für den Monat März üblichen Frequenz von bis zu 4800 Passanten pro Stunde. Am folgenden Samstag waren die Passantenströme noch etwa halb so stark.
Nur eine Näherung
Bei den Daten von Apple, der US-Konzern hat mit seinem iPhone in Deutschland einen Marktanteil von etwa 30 Prozent, handle es sich um eine „empirisch belastbare, ausgesprochen hilfreiche Quelle“, die aber nur eine Näherung zulasse und nicht repräsentativ sei, heißt es in der Auswertung durch das Statistische Amt. Schließlich erfassten diese nicht alle tatsächlich gemachten Wege in Stuttgart.
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