Senioren sind besonders gefährdet in der Corona-Krise. Deshalb haben sie seit dieser Woche jeden Morgen eine Stunde den Edeka-Markt in Stuttgart-Fasanenhof für sich. Wie gut funktioniert das Experiment, das im Netz bereits mit Lob überhäuft wurde?

Fasanenhof - Der feuchte Händedruck war gestern. Wer in Zeiten von Corona nach einer Grußformel sucht, kann sich vom ehrenamtlichen Begrüßungskommando des Edeka-Markts Fleck so manches abschauen: Wenn man den Laden auf dem Fasanenhof betritt, wird einem zunächst ein ordentlicher Spritzer aus der Desinfektionsflasche genehmigt. Der etwas andere Gruß kommt bei den Kunden gut an: Die meisten reiben ihre Hände sorgfältig damit ein, ehe sie an den Handlauf eines ebenfalls desinfizierten Einkaufswagens greifen und sich auf den Weg durch den Markt machen.

 

Diese neue Begrüßung gibt es jeden Morgen zwischen 7 und 8 Uhr als Schutzmaßnahme für die besonders Gefährdeten, die in der Filiale am Europaplatz dann Vorrang genießen. Vergangene Woche verkündete die Marktleitung, für Senioren künftig eine Stunde früher zu öffnen. Durch das Angebot können sich ältere Menschen nun dem Einkaufstrubel entziehen. Das dürfte bitter nötig sein: Laut Robert-Koch-Institut sind Senioren die größte Risikogruppe der Epidemie, bei ihnen kann eine Infektion mit dem Coronavirus besonders schwere Folgen hervorrufen. Dem möchte man im Edeka-Markt Fleck nicht nur mit einer Sonderöffnung Rechnung tragen – auch das desinfizierende Begrüßungskommando, die Helfer im Markt und ein Lieferservice gehören zu den Maßnahmen. Im Netz löste die Aktion bereits Begeisterungsstürme aus, der Edeka-Markt wurde mit Lob überhäuft.

Manche Kunden kommen extra von weiter weg

Den Zusatzaufwand stemmen die 50 Mitarbeiter von Inhaber Reinhold Fleck allerdings nicht allein: Neun ehrenamtliche Helfer tummeln sich beim Ortstermin am Donnerstagmorgen zwischen den Regalen. Die zahlreichen Senioren, die das Einkaufsangebot seit Montag nutzen, danken es ihnen mit Worten und einem Lächeln. So entspannt könne sie während den normalen Öffnungszeiten kaum einkaufen, sagt eine Kundin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Meine Tochter hat mir von diesem Projekt erzählt, heute bin ich zum ersten Mal hier und finde es richtig gut“, sagt sie.

Mit ihrem Urteil ist die Fasanenhoferin nicht allein, weiß Daniela Bieneck. Die Quartiersmanagerin der Paritätischen Sozialdienste im Fasanenhof koordiniert gemeinsam mit dem Erzieher Martin Hubrich den Einsatz der Ehrenamtlichen und zeigt sich überwältigt von der Resonanz. Sogar aus dem Stuttgarter Osten würden Kunden bis auf die Filder hinauf pilgern, um der Ansteckungsgefahr in anderen Märkten zu entgehen, sagt sie.

Mehr Helfer werden gesucht

Trubelig wird es deswegen aber nicht: Anders als zu Spitzenzeiten bildet sich nirgendwo im Markt eine Schlange. Die Kundschaft kann in aller Ruhe ihre Einkaufszettel abarbeiten, ohne um die eigene Gesundheit fürchten zu müssen. Das ist auch das oberste Ziel der Organisatoren. „Uns ist ganz wichtig, dass wir durch diese Aktion die Risikogruppe nicht weiter gefährden. Optimal wäre natürlich, wenn sich mehr ältere Leute für unseren Lieferdienst interessieren würden, den wir auch anbieten“, sagt Bieneck. Gleichzeitig sei der Einkauf im Supermarkt für viele der letzte soziale Schutzraum und die einzige Ausbruchsmöglichkeit aus der Einsamkeit in Zeiten von Corona. „Unser Wohncafé hat geschlossen, die anderen Begegnungsstätten sind auch zu. Viel mehr Kontaktmöglichkeiten haben die alten Leute jetzt nicht mehr. Je länger die Krise andauert, desto kritischer kann das werden.“ Ein Plausch zwischen Wursttheke und Kasse, ein höflicher Gruß an den Nachbarn und etwas Ablenkung von den Meldungen aus den Epizentren der Krise – auch das verspricht die Sonderöffnung für Senioren.

Begrüßt werden die Kunden am Eingang von Martin Hubrich, der ebenfalls seit der ersten Stunde an der Aktion mitwirkt. Über Facebook habe er vergangene Woche die ersten ehrenamtlichen Helfer anwerben können, berichtet er: „Wir haben schon ein etwas größeres Netzwerk im Stadtteil, der Rest hat sich auf den sozialen Netzwerken ergeben.“ Mittlerweile organisiert sich das eingeschworene Team über eine digitale Plattform, mindestens fünf Helfer sind jeden Morgen dabei. Der Kreis der Ehrenamtlichen dürfe sich gerne vergrößern, betont Hubrich. „Wir werden hier wirklich gebraucht.“

Marktleiter hatte die Idee

Das bestätigt Marktleiter Christian Thellmann, der mit seiner Belegschaft als erstes auf die Idee gekommen war. „Wir wollten unsere Unterstützung anbieten und haben es uns dann zum Ziel gesetzt, die Schwächsten in den Fokus unserer Arbeit zu rücken.“ Ohne die Helfer wäre die Belastung für sein Team kaum zu schultern. Wer derzeit ein Gespräch mit dem Marktleiter führen möchte, muss fix sein: Noch während er spricht, eilt Thellmann mit seinem Rollbehälter an Frischware durch den Laden, stapelt Salatköpfe aufeinander und begutachtet die Auslage.

Wer in die dankbaren Augen der Kunden an diesem Morgen blickt, entdeckt trotz der Hektik aber etwas Erstaunliches: Es scheint sie auch in der Krise noch zu geben; die kleinen Momente des Glücks.