Ein Passant wird mit einer Flasche beworfen, ein Zwölfjähriger krankenhausreif geprügelt. Das ist nur zwei Beispiele für die Aggressionen, die sich in Zeiten des Coronavirus im Einwanderungsland USA breitmacht.

Los Angeles - Es ist eine Geschichte aus einem kalifornischen Supermarkt, erzählt von einer Amerikanerin asiatischer Abstammung, die ihren Namen lieber für sich behält. Sie habe andere Kunden gebeten, sich in der Warteschlange an der Kasse doch bitte an die Abstandsregeln zu halten, schreibt die Frau. Dann sei sie angepöbelt worden: „Ihr Chinesen bringt uns das Virus, und dann traut ihr euch noch, den Leuten zu sagen, dass sie Abstand halten sollen.“

 

Ein Passant wird mit einer Flasche beworfen

Andere berichten von deprimierenden Erfahrungen mit Fahrdiensten wie Uber oder Lyft. In einem Fall lehnten es zwei Uber-Chauffeure in Folge ab, einen Mann mit ostasiatischen Gesichtszügen aufzunehmen. „Der eine hielt, schaute mich an und raste davon. Der Nächste fuhr langsam heran, schüttelte den Kopf und ließ mich stehen.“ Dann wäre da noch der Passant, der aus einem vorbeifahrenden Auto mit einer Flasche beworfen wurde. Was Amerikanern asiatischer Herkunft in der Corona-Krise widerfährt, vertrauen manche einem Netzwerk von Bürgerrechtlern an, der Asian American Pacific Islander Civil Rights Organization (AAPI).

Die hat am 19. März ein Internetportal eingerichtet, auf dem Betroffene ihre Erlebnisse schildern. Seitdem, sagt Manjusha Kulkarni, die in Los Angeles ansässige Initiatorin, in einem Telefoninterview mit unserer Zeitung, hätten sich mehr als 1100 Menschen zu Wort gemeldet. Natürlich wisse man, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handle, da Tausende ihren Frust still in sich hineinfräßen, statt ihn sich von der Seele zu schreiben.

Das Klischee von der „gelben Gefahr“ feiert Urstände

Dann erzählt Kulkarni von einem Fall aus Los Angeles, aus einer Zeit, in der sich das Virus bereits ausbreitete, die Schulen aber noch nicht geschlossen waren. Ein Zwölfjähriger wird von einem Schulhoftyrannen beschimpft. Er trage die Krankheit in sich, er möge schnellstens nach China verschwinden, wo er hergekommen sei. Als der Junge erwidert, dass er gar nicht aus China komme, prasseln Faustschläge auf ihn ein. Der Arzt schickt ihn ins Krankenhaus. Was ihr Sorgen mache, so Kulkarni, sei das Tempo, mit dem alte Klischees neu aufgewärmt würden. Die „gelbe Gefahr“, die man im 19. Jahrhundert beschwor, ein 1882 verhängter und bis 1943 geltender Einwanderungsstopp für Chinesen, im Zweiten Weltkrieg die Internierung von Bürgern mit japanischen Wurzeln: „Die Geschichte der Stereotype ist lang“, fasst es die Rechtsanwältin zusammen. „Unter der Oberfläche waren die Vorurteile immer vorhanden. Jetzt, in der Krise, bricht alles wieder auf.“

Andrew Yang, ein Hightechunternehmer, dessen Eltern aus Taiwan in die USA kamen, hat bis Februar fürs Oval Office kandidiert. In der Demokratischen Partei gilt er als Mann der Zukunft, auch wenn er diesmal keine Chance auf den Sieg hatte. Auch Yang schilderte neulich, in einem Gastbeitrag der „Washington Post“, welche Erfahrungen er derzeit macht. Am Eingang eines Supermarkts unterhielten sich drei Männer in Kapuzenpullovern, und als er sich näherte, musterte ihn einer mit finsteren Blicken. „In seinen Augen lag etwas Anklagendes“, schreibt Yang. „Und zum ersten Mal seit Jahren habe ich mich wieder ganz bewusst, sogar ein wenig beschämt, als Asiate gefühlt.“ Bei der Crisis Text Line, einer Telefonberatung für Menschen in Lebenskrisen, sei der Anteil von Anrufern mit asiatischem Hintergrund in den vergangenen Wochen von fünf auf 13 Prozent gestiegen, fügt der Ex-Präsidentschaftsbewerber hinzu.

„Die Suche nach Südenböcken bleibt sich immer gleich“

Manjusha Kulkarni, in Indien geboren, fühlt sich bei alledem an die Zeit nach dem 11. September 2001 erinnert, als nach den Terroranschlägen amerikanische Muslime zu Zielscheiben wurden – Migranten aus der arabischen Welt ebenso wie Einwanderer aus Südasien, etwa Sikhs mit Turban. „Die Suche nach Sündenböcken, es ist immer das Gleiche“, sagt sie. Nur habe Präsident George W. Bush damals ausdrücklich Toleranz gegenüber Muslimen angemahnt, während Donald Trump die Ressentiments noch schüre. Lange sprach er vom „China-Virus“, bis er sich in der vierten Märzwoche endlich entschloss, auf den Begriff zu verzichten.