Das strenge Besuchsverbot seit März hat die Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen zunächst vor allem entlastet. Inzwischen ist der Blick der Verantwortlichen allerdings auf die langsame Öffnung der Einrichtungen gerichtet.

Waldenbuch/Möhringen - Der Schnitt war hart und hatte massive Folgen. Als Mitte März die Altenpflegeheime abgeschottet worden sind, begann für Mitarbeiter, Heimleitung, Bewohner und Angehörige ein emotionaler Spagat zwischen dem Verständnis für die Schutzmaßnahmen und dem Bewusstsein um die Zumutungen, die für alle Beteiligten daraus entstehen. Doch wie haben sie die Herausforderungen gemeistert? Welche Probleme gibt es? Und welche Lockerungen sind jetzt geplant?

 

Die dramatischen Bilder aus Italien ließen das Schlimmste vermuten

Seit zwei Monaten sind die Bewohner im Waldenbucher „Haus an der Aich“ von der Außenwelt abgeschnitten. Kein Angehöriger, kein Therapeut, kein Friseur betritt das Gebäude. Über allem steht die Sorge, dass sich das Virus ausbreiten könnte. „Jeder Besucher kam mir vor wie ein trojanisches Pferd, von dem man nicht weiß, was es in sich trägt“, beschreibt Hausdirektorin Ramona Neidlein die ersten Wochen der kritischen Phase, als die dramatischen Bilder aus Italien das Schlimmste befürchten ließen.

Das Besuchsverbot brachte für das Team des Pflegeheims deshalb zunächst Erleichterung. „Es war wichtig, Ruhe ins System zu bringen“, sagt Neidlein. Die Bewohner der beiden Stockwerke wurden strikt getrennt. Notfall-Besetzungspläne sichern die Handlungsfähigkeit, und an Schutzbekleidung herrscht kein Mangel. Die Hausdirektorin hatte rechtzeitig vorgesorgt.

Im Landkreis Böblingen gab es flächendeckende Tests in Heimen

In unzähligen Gesprächen wurden Ängste und Sorgen der 44 Mitarbeiter und 45 Bewohner aufgearbeitet. „Die Verunsicherung war groß“, erzählt Neidlein. Das sei jetzt anders. „Man ist sicherer geworden“, stellt sie fest. Im täglichen Umgang mit dem unsichtbaren Feind habe sich ein familiäres Miteinander entwickelt, das vieles einfacher machen würden. Außerdem hat der im Landkreis Böblingen durchgeführte flächendeckende Corona-Test für Pflegeheime Klarheit über die aktuelle Zahl der Infizierten gebracht. „Zwei Bewohner waren schwach positiv, hatten aber keine Symptome“, berichtet die Hausdirektorin. Sie waren in Quarantäne und sind inzwischen negativ testet.

Für Ramona Neidlein und den Träger der Einrichtung, die Evangelische Heimstiftung, ist damit der Startschuss für die Rückkehr in die „neue Normalität“ gefallen. Das Haus wird Schritt für Schritt wieder geöffnet. „Die Entscheidung, die Heime zu schließen, war absolut richtig, genauso wie es jetzt richtig ist, über eine vorsichtige und verantwortungsvolle Öffnung nachzudenken“, betont der Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung Bernhard Schneider.

Das Risiko an den Infektionszahlen abgeschätzt

Diese Ansicht teilt er mit Florian Bommas, der als Geschäftsführer der Diak Altenhilfe Stuttgart das Pflegezentrum Bethanien in Möhringen leitet. „Wir können Menschen, die nicht mehr die längste Lebenserwartung haben, nicht auf Dauer ihre sozialen Beziehungen und ihre Lebensqualität nehmen.“ Mit den Einschränkungen war er zu Beginn der Pandemie deshalb weniger restriktiv: „Wir haben das Risiko anhand der aktuellen Infektionszahlen abgeschätzt. Am 13. März gab es erst 40 nachgewiesene Fälle in Stuttgart. Deshalb haben wir uns zunächst auf die Mitarbeiter konzentriert. Sie sind jung, haben Familie und reisen.“ Auch als die Anordnung zur Schließung kam, betrachtete er den Einzelfall. „Sterbebegleitung mit entsprechenden Schutzmaßnahmen war immer möglich“, bekräftigt er.

Doch die Verantwortung wiegt schwer. Bei rund 200 Mitarbeitern und 218 Bewohnern sei es schwierig, Infektionen aufzuspüren. Durch viele Tests sei es gelungen, das Virus in Schach zu halten. „Wir haben etwa 50 Tests bei Mitarbeitern und 30 Tests bei Bewohnern durchgeführt“, berichtet Florian Bommas. Seine Bilanz nach zwei Monaten: „Wir hatten drei Corona-Ereignisse im Haus, die wir begrenzen konnten. Auf diesen Erfahrungen kann man aufbauen.“

Die alle Angehörigen würden sich vernünftig verhalten

Bereits in vergangene Woche hat man im Möhringer Pflegezentrum damit begonnen, Besuche zu organisieren. Bei schönem Wetter wurden im Hof Tische und Stühle aufgestellt – für Bewohner und Angehörige mit Schutzmaske. Das wurde gut angenommen, dient aber nicht als Modell für Begegnungen im Gebäude. Bommas hat beobachtet: „Nicht alle Angehörige verhalten sich vernünftig. Da müssen wir uns etwas anderes überlegen.“

Im Haus an der Aich beginnt Ramona Neidlein am 11. Mai mit dem Öffnungskonzept. Der Andachtsraum wird Besucherzimmer. Plexiglasscheibe, Mund-Nasen-Schutz und der Mindestabstand sind obligatorisch. Wer bettlägerige Angehörige besucht, darf mit voller Schutzmontur ins Zimmer. Am 25. Mai soll Stufe zwei beginnen, die wieder kleinere Veranstaltungen in den Wohnbereichen erlaubt.