Coronavirus Region Stuttgart Auch Jugendliche werden jetzt geimpft

Der Weg zur Impfung ist für Jugendliche deutlich leichter geworden. Foto: dpa/Oliver Berg

Wer sein 12 bis 17 Jahre altes Kind gegen das Coronavirus impfen lassen will, kann das jetzt fast überall in der Region tun – unbürokratisch. Denn die Vorgaben wurden – quasi durch die Hintertür – stark gelockert.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Stuttgart - Er fühle sich manchmal ein wenig wie ein Bergführer, der seine Patienten durch unsicheres Terrain führen müsse, sagt Till Reckert, der Sprecher des baden-württembergischen Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Die Ständige Impfkommission (Stiko) gebe dabei zwar den Weg zum Gipfel vor, sagt Reckert, selber Kinderarzt in Reutlingen: „Wer sich aber in dem Gelände ein bisschen auskennt, kann auch einen etwas anderen Weg wählen.“

 

Den etwas anderen Weg wählen mittlerweile – in ganz unterschiedlichen Ausprägungen – nicht nur Reckert und viele seiner Kollegen in den rund 800 Kinderarztpraxen im Land. Auch viele Kreisimpfzentren in Baden-Württemberg und in der Region Stuttgart sind in den vergangenen Tagen dazu übergegangen, die Stiko-Empfehlung zur Impfung von Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren ein wenig anders als anfangs zu interpretieren – und haben damit quasi durch die Hintertür den Weg zur Impfung von Jugendlichen freigemacht.

Verboten hat die Stiko das Impfen nicht

Zwar empfiehlt die Stiko nach wie vor, Jugendliche nur dann zu impfen, wenn sie einer Risikogruppe angehören oder wenn sie mit Menschen zusammenleben, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Aber – und das ist das Schlupfloch, durch das nun immer mehr Mediziner gehen: „Die Stiko verbietet Impfungen von Zwölf- bis 17-Jährigen nicht“, sagt der baden-württembergische BVKJ-Vorsitzende Roland Fressle.

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Die streng wissenschaftlich arbeitende Kommission gebe – und das vollkommen zu Recht – nur zu bedenken, dass das vorliegende Zahlenmaterial nicht ausreiche, um unzweideutig festzustellen, dass der Nutzen einer Impfung von Jugendlichen gegen Corona größer ist als die Gefahr, die nun einmal von jeder Impfung ausgehe. Die Tatsache, dass vor allem bei Jungen – allerdings dort nur in sehr seltenen Fällen – Herzmuskelentzündungen nach Impfungen aufgetreten seien, mache den Abwägungsprozess für alle Beteiligten schwierig. Denn bei der Gesamtbetrachtung spielten auch die soziale Ausgrenzung durch Nichtimpfen oder die psychischen Belastungen durch die Shutdowns gerade für Jugendliche eine Rolle. Die Entscheidung liege letztlich beim Arzt.

Jugendliche ab 12 Jahren werden fast überall geimpft

Der Fall einer 17-Jährigen, die vor rund zwei Wochen beim Versuch gescheitert war, im Impfzentrum des Klinikums Stuttgart im Hegelsaal der Liederhalle eine erste Spritze gegen das Coronavirus zu bekommen und abgewiesen wurde, würde sich heute zumindest in Stuttgart nicht wiederholen. „Inzwischen können sowohl über die zentrale Buchungsplattform als auch über die Homepage des Klinikums Stuttgart Termine für Jugendliche ab zwölf Jahren für den zugelassenen Impfstoff gebucht werden“, erklärt Stefan Möbius, Sprecher des Klinikums Stuttgart. Gleiches gilt für die Impfzentren des Robert-Bosch-Krankenhauses. Auch die Kreisimpfzentren in Göppingen, Böblingen, Ludwigsburg, Reutlingen – und von diesem Mittwoch an auch Esslingen – bieten nach Beratungsgesprächen mittlerweile Impfungen für Jugendliche ab zwölf Jahren an.

Nicht ganz so weit geht bisher das Impfzentrum im Rems-Murr-Kreis. Immerhin werden aber auch dort in einer Sonderaktion vom 16. bis 18. Juli Impfungen mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff für Jugendliche angeboten. Unterstützt wird die Aktion von Kinderärzten und den Rems-Murr-Kliniken. Erst nach einem intensiven Aufklärungsgespräch und wenn beide Elternteile zustimmen, können Zwölf- bis 15-Jährige geimpft werden. Zudem muss zwingend entweder die Mutter oder der Vater anwesend sein. Bei 16- und 17-Jährigen reicht hingegen das mündliche Einverständnis der Jugendlichen. Die Zweitimpfung findet dann drei Wochen später am gleichen Wochentag und zur gleichen Uhrzeit statt. Termine können über die Landratsamtswebseite gebucht werden.

Das Sozialministerium befürwortet die Impfungen

Das Sozialministerium begrüßt die neue Entwicklung. In einer Stellungnahme heißt es: „Aufgrund der sich weiter ausbreitenden Delta-Variante wäre sicherlich zu überlegen, einen Impfstoff wie Biontech/Pfizer, der für Menschen ab zwölf Jahren international zugelassen ist, auch ohne Vorbehalte einzusetzen. Wir erwarten hier mit Spannung die weiteren Auswertungen der Daten geimpfter zwölf- bis 15-jähriger Jugendlicher in Kanada und den USA, um dann weitere Schlüsse für unsere Impfkampagne zu ziehen.“ In den Zahlen schlagen sich die neuen Impfmöglichkeiten übrigens noch nicht nieder: Bundesweit sind aktuell erst etwa vier Prozent der unter 18-Jährigen einmal geimpft.

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