Start-up-Geist im etablierten Unternehmen – das symbolisiert der unternehmensinterne Gründer. Doch ein Unternehmer ist er nur eingeschränkt, eher ein Kultur-Botschafter.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Am Corporate Entrepreneur scheiden sich die Geister. Und das ist wohl unvermeidlich, wenn man über ein Zwitterwesen spricht. Denn eigentlich stehen die Stichworte „Etablierte Firma“ („Corporate“) sowie „Gründer und Unternehmer“ („Entrepreneur“) in einem Spannungsverhältnis.

 

Immer öfter wird der Begriff heute so verstanden, dass ein Corporate Entrepreneur ein unternehmensinterner Gründer ist. Corporate Entrepreneurship ist allerdings ursprünglich ein viel weiter gefasster Begriff, der eine kreative und bewegliche Unternehmenskultur insgesamt beschreibt.

Der unternehmensinterne Gründer erhält in der Regel eine Rückkehrgarantie in seinen früheren Job. Dennoch soll er mit der ganzen Leidenschaft und dem Freiraum eines Gründers eine Idee entwickeln. Er agiert meist in einer Sonderstruktur mit eigener Entscheidungsgewalt und eigenem Budget. So weit die Theorie. Doch in der Praxis haben diese Gründer sozusagen zwei Hüte auf.

Bei echten Start-ups gilt der unternehmensinterne Gründer nicht als gleichwertig

Gründer, die ihr Start-up aus eigener Kraft etabliert haben, betrachten die – aus ihrer Sicht - Pseudo-Unternehmer oft nicht als gleichwertig. Gründen mit Rückfallebene? Freiraum per Vorstandsbeschluss? Das widerspricht der Lebenserfahrung des echten Start-up-Gründers fundamental.

Start-up-Berater, Wirtschaftsförderer oder Betreiber von Start-up-Zentren haben hingegen alles Interesse, die Zwitter-Gründer zu umwerben und zu päppeln. Dadurch dass etablierte Firmen hinter ihnen stehen, sind sie gern gesehene, solide Kunden und Aushängeschilder für das Start-up-Biotop. Natürlich gerät auch ein regulärer Start-up-Gründer viel schneller in Abhängigkeiten, als es der Mythos vom freien Unternehmer widerspiegelt. Vor allem wenn er das erste externe Geld einsammelt und Risikokapitalinvestoren im Nacken hat, dann hat er mächtige Partner im Rücken, die auch bei ihm kräftig mitreden wollen.

Doch die Visionen eines etablierten Unternehmens und eines Investors sind radikal unterschiedlich: Der Investor blickt auf das Start-up als solches. Ihm kann das Wachstum nicht schnell genug gehen, er muss keine Rücksichten nehmen, sondern will mit aller Kraft den Durchbruch.

Die volle Freiheit ist Utopie

Für den unternehmensinternen Gründer ist eine solche Freiheit Utopie. Es ist das eine, die so genannte Kannibalisierung bestehender Geschäftsmodelle zumindest rhetorisch in Kauf zu nehmen. Es ist etwas anderes, sie mit maximaler Aggressivität auch betreiben zu können – ohne dass das intern auf Widerstand stößt.

Die Versuchung ist deshalb groß, diesen Gründer aus dem eigenen Stall irgendwann einmal wieder unter die Fittiche zu nehmen, bevor der zu sehr abhebt. Natürlich erleben auch andere Start-up-Gründer, dass ihr Unternehmen aufgekauft. Dieser so genannte Exit ist ja auch eine finanziell lukrative Vision. Doch im Konzept des unternehmensinternen Gründers ist die Absorption oft von vorne herein angelegt.

Neben dem Markt und den Kunden bestimmen über sein Schicksal strategische Entscheidungen des Unternehmens, aus dem er stammt – und auf die er meist keinerlei Einfluss hat. Wenn die Führung die Weichen anders stellt, dann ist er schneller weg vom Fenster als ihn je der Markt wegfegen kann.

Zentral ist die Entscheidungsfreiheit über Ressourcen

Wie ernst es mit dem Unternehmertum tatsächlich gemeint ist, lässt sich an der Entscheidungsfreiheit über Ressourcen ablesen. Es ist das eine, kreative Mitarbeiter vorübergehend „freizustellen“- mit dem Wissen, dass sie mit Ihrem Elan mehr Arbeitsstunden schrubben werden als im Tarifvertrag steht erlaubt. Es ist etwas anderes, Ihnen eine Budgetfreiheit in größeren Dimensionen zu geben oder den Freiraum, sich externe Geldquellen zu holen. In der Entwicklungsphase kann das noch funktionieren.

Die Stunde der Wahrheit kommt, wenn das Wachstumspotenzial exponentiell steigt und es nicht mehr nur um das Budget für den Prototypenbau geht. Intern hat ein Unternehmen oft nicht genügend große Töpfe; externe Investoren wollen hingegen manchmal mehr Freiraum als das Mutterunternehmen gewähren will. Reicht es dann, das Vertriebsnetz des Mutterunternehmens nutzen zu können? Für den Anfang ist das sicher eine enorme Erleichterung, weil es den Marketingetat entlastet. Ein ganz eigener Auftritt entsteht so eher nicht.

Vom Mythos des kreativen Gründers profitieren

Mit dem neu definierten Corporate Entrepreneur versuchen Firmen vom Mythos des kreativen Gründers zu profitieren – und sourcen damit aber den Kulturwandel ein Stückweit aus. Den wenn Mitarbeiter in einen (scheinbar) freien Orbit entlassen werden, sind sie auch ein wenig auf Abstand. Sie basteln in ihren eigenen Arbeitsgruppen und Büroräumen an ihren Ideen, mit denen sich der Vorgesetzte im Fall des Falles schmücken kann – ohne dass gleichzeitig dessen Rolle und Position infrage gestellt wird. So lange es Design-Thinking-Seminare gibt, und so lange Besuchergruppen das coole Kreativteam in seinen eigenen Arbeitsräumen besichtigen kann man Kulturwandel spielen, ohne dass die vorhandenen Machtstrukturen berührt werden.

Die Stunde der Wahrheit kommt dann, wenn die interne Start-up-Idee wirklich funktioniert. Der häufigste Fall ist, dass sie in irgendeiner Form von der Organisation aufgesogen und integriert wird – und damit einen Teil ihres disruptiven Potenzials verliert. Gelegentlich gibt es tatsächlich den Fall, dass die Idee tatsächlich flügge wird und ein eigenes Unternehmen entsteht. Es gibt auch Fälle, wo das Ursprungsunternehmen die Gründer loslässt und eher wie ein Finanzinvestor agiert. Erst dann wird es mit dem Unternehmertum beim unternehmensinternen Gründer wirklich ernst.

Der unternehmensinterne Gründer kann zum Kulturwandel beitragen

Das Konzept, das unter den tendenziell missverständlichen Begriff „Corporate Entrepreneur“ gefasst wird, ist sinnvoll: Es lohnt sich immer, in einem Unternehmen nach Wegen zu mehr Beweglichkeit zu suchen und von Start-ups zu lernen. Aber man muss auch ehrlich sein, was die eigentliche Aufgabe solcher Projekte ist. Sie sollen eben nicht einen gefährlichen Rivalen für das Bestehende hochpäppeln.

Wenn ein eigenständiges, dynamisches Unternehmen aus solchen Programmen entsteht, dann ist das ein Glücksfall. Aber eigentlich geht es um den Impuls für das Unternehmen als Ganzes. Der unternehmensinterne Gründer kann Katalysator eines Kulturwandels werden. Doch das kann nur gelingen, wenn er sich nicht, möglichst abgeschottet, nur um seine eigene Idee kümmert, sondern wenn sein Denken ausstrahlt, wenn er Machtstrukturen und Abläufe in seinem Unternehmen verändert. Das lässt sich nicht delegieren. Auch nicht an noch so pfiffige „Start-ups“ im Orbit des Unternehmens.