Zweieinhalb Jahre nach der Havarie ist die Costa Concordia unterwegs von der Insel Giglio nach Genua, wo das Wrack verschrottet werden soll. Das ist der letzte Akt der am Ende wohl 1,5 Milliarden Euro teuren Aktion.

Giglio/Toskana - Schöner könnte dieser Tag nicht sein. Mild lacht die Sonne, das friedliche Meer strahlt azurblau, am Ufer fallen sich Menschen um den Hals, schwenken Schals und klatschen und lachen und weinen: Die Costa Concordia geht wieder auf große Fahrt. Zweieinhalb Jahre hat das einstige Traumschiff in bejammernswertem Zustand vor der Insel Giglio gelegen. An diesem Mittwoch setzt es seinen Kurs fort: Richtung Riviera wie einst, diesmal aber zum Verschrotten. Alles auf und vor Giglio, was eine Schiffssirene hat, tutet aus Leibeskräften. Und weil der Ortspfarrer dem Konvoi noch seinen Reisesegen geben will, sprüht ein Löschboot da draußen zwei himmelhohe Wasserfontänen.

 

„Da, schauen Sie“, sagt ein Inselbewohner, der mit vielen hundert anderen die Ausfahrt der Concordia an der Mole verfolgt. Auf dem Monitor seiner Kamera zeigt er ein verzittertes Nachtfoto mit wirren Lichtern – und dem Datumsaufdruck: 13. Januar 2012. „Da war ich auch hier am Hafen und 4000 Schiffbrüchige um mich herum. Diese Schreie, diese allgemeine Verwirrung, dieses Chaos mit den ganzen Rettungsbooten . . .“ Schweigend schaut der Mann, der sich als Giovanni vorstellt, dem Schiff hinterher. Ob’s die Costa Concordia wohl diesmal bis Genua schafft?

Dieselbe Route wie in jenem Winter 2012

„Alles läuft perfekt.“ Gleich dreimal sagt Franco Porcellacchia, der für die Bergung zuständige Chefingenieur der Reederei Costa, diesen Satz. Um 13 Uhr sollte, eine Pressekonferenz stattfinden, doch schon eineinhalb Stunden früher sind sie alle so weit. Die Costa Concordia befindet sich um diese Zeit bereits sechs Seemeilen vor der Küste, von einem Schwimmreifen aus 30 Stahlcontainern über Wasser gehalten, von vier Schleppern auf praktisch dieselbe Hochseeroute gezogen, die sie auch an jenem 13. Januar 2012 hätte fahren sollen, und flankiert von etwas, das Italiens Medien einen „Leichenzug“ nennen: 14 Schiffe geben dem Wrack für die vier, fünf Tage bis Genua das letzte Geleit. Zur Sicherheit, falls doch noch Treibstoff ausläuft. Oder zu Reparaturzwecken, falls was kaputtgehen sollte. Oder als Schlafstätte für die Mannschaft um den Südafrikaner Nick Sloane, den „Helden von Giglio“, unter dessen Leitung das fast 300 Meter lange Wrack in 30 Monaten Arbeit flott gemacht wurde.

Und vor dem Konvoi kreuzt die Kidan hin und her, ein Segelboot. Das haben sich die Umweltschützer auserbeten. Denn die Route der Costa Concordia führt durch das „Heiligtum der Wale“, ein französisch-italienisches Meeresschutzgebiet im Viereck von Korsika, Cote d’Azur, Ligurien und Toskana, wo es vor Delfinen verschiedenster Sorten, an Finn- und Grauwalen nur so wimmelt. Die Kidan soll alle tendenziell neugierigen Wesen dieser Art auf die womöglich lebensgefährliche Durchfahrt eines Extra-Schwertransports hinweisen.

Überlebende haben Albträume

Ein anderes Segelboot indessen hat an diesem Mittwochmorgen keine Chance, auch wenn’s noch so gut gemeint war. Ein alter Matrose aus Giglio machte sich zum Sprecher seiner Inselgenossen, als er mit seiner Mini-Jolle und der eigenhändig beschriebenen Fahne „Herzlichen Dank an alle Bergungsfirmen!“ mitten in den Konvoi hineinfuhr. Die Küstenwache zog den enttäuschten Mann schnell aus dem Verkehr; schließlich war um das Schiff eine Sperrzone von drei Meilen verhängt worden.

Weniger Aufsehen erregt einer der 3216 Passagiere von einst: Pablo Lazaro Juan aus Alicante in Spanien ist eigens gekommen, um die Abfahrt der Costa Concordia zu sehen. Sie lässt ihm seit dem Unglück keine Ruhe: „Ich habe immer noch Angst, wie damals. Ich träume schlecht, und auch wenn die Geschichte für die Inselbewohner von Giglio jetzt zu Ende ist, in meinem Kopf geht sie weiter.“ Die Bordkarte von damals trägt der 63-Jährige immer noch bei sich: Einschiffung 9. Januar in Barcelona, nach einer Woche Mittelmeer-Rundfahrt – Costa-Motto: „Duft der Südfrüchte“ – wollte er wieder zu Hause sein. Doch in jener Freitagnacht fand er sich auf einmal im Nirgendwo wieder, „und weil ich auf der Meerseite der Costa Concordia war, habe ich auch die nahe Insel überhaupt nicht gesehen. Es war alles so dunkel. Gerettet haben sie mich dann mit dem Hubschrauber.“

Die Leiche des letzten Vermissten wird immer noch gesucht

Unter der Marmormadonna auf der Hafenmauer von Giglio hängt eine graue Metallplatte „zu ewigem Gedenken“. In sie sind die Namen der 32 Passagiere und Besatzungsmitglieder eingraviert, die bei der Havarie ihr Leben verloren haben, unter ihnen zwölf Deutsche. Das 33. Opfer fehlt noch: Israel Franco Moreno, jener 40-jährige spanische Taucher, der vor einem halben Jahr bei den Bergungsarbeiten unter Wasser verblutet ist. Und einen der Toten hat weder Wrack noch Meer bis jetzt zurückgegeben: den indischen Schiffskellner Russel Terence Rebello. Eine Gruppe von Feuerwehrtauchern steht oben auf der Mole: „Das Schiff ist weg, aber wir müssen hier noch drei Tage weiterarbeiten. Auch wenn wir nach zweieinhalb Jahren keine Hoffnung mehr haben, wir müssen die Leiche irgendwie finden.“

Aber was war die Meldung, die an diesem so schönen Mittwochmorgen als allererste aus den Computern aufgeploppt ist? Genau: ein gewisser Francesco Schettino „zeigt sich zuversichtlich, dass der Transport der Costa Concordia gelingen wird. ,Ich vertraue darauf‘, sagte der einstige Kapitän.“ Na also: Dann kann ja gar nichts mehr schief gehen.