Immer mehr Ärzte berichten von Kindern mit schweren Entzündungsreaktionen. Die Symptome der schwer kranken Kinder ähneln jenen des Kawasaki-Syndroms. Was hat es damit auf sich? Und: Könnte ein Zusammenhang mit dem Coronavirus bestehen?

Tübingen/München - Es sind nur einzelne Fälle, doch die Meldungen häufen sich: Ärzte aus verschiedenen Ländern berichten über schwere Krankheitssymptome bei Kindern, die im Zusammenhang stehen könnten mit dem neuartigen Coronavirus. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu im Überblick.

 

Was für Fälle sind bekannt?

So meldete die Gesundheitsbehörde im US-Bundesstaat New York vor wenigen Tagen, dass 64 dort behandelte Kinder Symptome wie entzündete Gefäße, Fieber und Hautausschlag zeigten. Auch aus anderen Bundesstaaten in den USA wurden solche Fälle gemeldet, ebenso wie zuletzt aus einigen europäischen Ländern wie Großbritannien, Frankreich, der Schweiz, Spanien und Italien. In Deutschland sind nach Auskünften der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) bislang zehn solcher Fälle erfasst.

Besteht ein Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie?

Das ist noch nicht klar. „Bei einigen dieser Kinder wurde Covid-19 diagnostiziert, bei anderen nicht“, sagt Johannes Hübner, Abteilungsleiter der Infektiologie am Universitätsklinikum München. In manchen Fällen habe es nur im Umfeld der Kinder mit den schweren Symptomen auch Corona-Infektionen gegeben. Zudem müsse auch ein Zusammenfallen nicht zwingend eine Kausalität beweisen, sagt Hübner – dazu müsse erst noch weitergeforscht werden. „Insgesamt ist ein Zusammenhang aber schon denkbar, wir wissen bei Erwachsenen, dass das neue Coronavirus mit einer erhöhten Entzündungsantwort einhergeht – und das liegt offenbar auch bei den beschriebenen Fällen vor.“

Warum ist dabei die Rede vom Kawasaki-Syndrom?

Die schweren Symptome, die sich bei den Kindern zeigen, ähneln Gesundheitsexperten zufolge dem sogenannten Kawasaki-Syndrom: einer Gefäßentzündung der kleinen und mittleren Arterien. Das Syndrom zählt zu den sogenannten Hyperinflammationssyndromen, also einer überschießenden Entzündungsreaktion des Körpers auf bestimmte Auslöser – etwa auf Virusinfektionen. Typischerweise geht diese Überreaktion des Immunsystems einher mit hohem Fieber, Hautausschlägen oder Schwellungen etwa der Lymphknoten. Ohne Behandlung kann dies sogar tödlich verlaufen, mit Immunglobulinenen und Aspirin ist das Syndrom Kinderärzten zufolge aber gut behandelbar.

Wie häufig ist das Syndrom?

Das Kawasaki-Syndrom ist bereits seit Längerem bekannt, aber sehr selten: Im Schnitt kommt es laut DGPI hierzulande jährlich zu 430 bis 500 Fällen bei Kindern unter fünf Jahren. Die Ursache für die Überreaktion des Immunsystems ist bislang jedoch nicht ganz klar. „Als Auslöser werden virale oder bakterielle Erkrankungen angenommen“, sagt Inge Krägeloh-Mann, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. „Dass Covid-19, als viraler Erreger, ein Kawasaki-Syndrom auslösen könnte, war damit eigentlich naheliegend“, so die Fachärztin aus der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Tübingen. Auch andere Coronaviren seien in der Vergangenheit bereits beschuldigt worden, so der Münchener Infektiologe Johannes Hübner. „Insofern ist es nicht ausgeschlossen, dass das neue Sars-CoV-2 ebenfalls ein solcher Auslöser sein kann.“

Wie schätzen Mediziner die Situation in Deutschland ein?

Den medizinischen Fachgesellschaften zufolge müsse man die Entwicklung beobachten. Doch dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass die absoluten Fallzahlen sehr gering seien, zu einer generellen Sorge bei Eltern sollte dies nicht führen, sagt die Tübinger Kinderärztin Krägeloh-Mann. Ärzteverbände und die Weltgesundheitsorganisation WHO warnten Eltern bereits vor Panik – die überwiegende Zahl der Kinder, die sich mit dem Coronavirus infiziere, habe einen sehr milden Verlauf und erhole sich komplett.

Auch Infektiologe Johannes Hübner beruhigt: „Wir haben bisher keinen Hinweis darauf, dass das dieses Jahr mehr Fälle sind.“ Bisher habe er auch aus anderen Universitätskliniken keine Berichte von einem gehäuften Auftreten des Kawasaki-Syndroms oder von schweren Verläufen gehört, sagt Hübner, der auch Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie ist. „Auch die Kollegen aus England, wo die Meldung von Kawasaki-Fällen über eine eigene Kawasaki-Gesellschaft erfolgt, gehen derzeit nicht von einer Erhöhung der Fallzahlen aus.“

Wie verlaufen Infektionen mit dem Coronavirus bei Kindern?

Hübner weist darauf hin, dass eine solche Infektion bei Kindern in den allermeisten Fällen deutlich milder verläuft als bei Erwachsenen. Auch gibt es insgesamt sehr viel weniger Fälle von Kindern, die tatsächlich an Covid-19 erkranken und behandelt werden müssen. Laut dem Melderegister der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie wurden in den vergangenen Wochen bis zum 10. Mai deutschlandweit lediglich 130 Kinder mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt. Krankenhäuser sind allerdings nicht verpflichtet, solche Fälle zu melden – einige könnten also bei der Erhebung unberücksichtigt bleiben.

In der Regel gilt jedoch: „Kinder haben nur einen leichten, oberen Atemwegsinfekt, einige Kinder sind auch ganz ohne Symptome“, sagt Johannes Hübner. Einige wenige Todesfälle bei Kindern im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 seien beschrieben, sagt Hübner, „aber das steht in überhaupt keinem Verhältnis zu den Zahlen bei Erwachsenen.“

Warum sind Kinder weniger betroffen?

Woran genau es liegt, dass Kinder weniger stark und weniger häufig an Covid-19 erkranken als Erwachsene, ist bislang noch unklar. Erste Studien haben gezeigt, dass Kinder im Falle einer Infektion in etwa die gleiche Viruslast haben wie Erwachsene – und damit wahrscheinlich gleichermaßen ansteckend sind. Eine These zu den milden, teils symptomlosen Verläufen einer Infektion: Ein bei Kindern anders ausgerichtetes Immunsystem könnte dahinter stecken. So erkläret Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München zuletzt in einer Online-Pressekonferenz, dass das kindliche Immunsystem sich mit vielen Erregern noch nicht auseinandergesetzt habe – und deshalb deshalb auf breiter Basis wirksame Antikörper bilden müsse. So gebe es auch eine ganze Reihe anderer Infektionskrankheiten, die im Kindesalter weniger dramatisch verliefen als bei Erwachsenen, sagte Protzer – etwa beim Epstein-Barr-Virus. Klar ist aber, dass dies bislang nur einer von mehreren Erklärungsansätzen ist.