Erst Ridmueller im Fluxus, dann Kraftpaule, jetzt die Bierothek in den Königsbaupassagen: Mehr und mehr Craft-Beer-Shops buhlen in Stuttgart um Biertrinker und Hopfenfreunde. Die Frage ist jedoch: Wie viel Craft-Stoff braucht die Stadt?

Stuttgart - Quo vadis, Bier? Intime Kenner der Hopfenmaterie raunen sich heimlich zu, uns stehe ein Schisma bevor. Eine Spaltung der Gesellschaft nicht unähnlich dem Graben, der zwischen selbsternannten Gin-Tonic-Experten und Gelegenheitstrinkern entstanden ist. Oder zwischen Pepsi und Coca-Cola, Marvel und DC, dem VfB und dem KSC. Oettinger hier, Craft da? Ja, Craft Beer hat die Welt der goldgelben Köstlichkeit verändert, hat dafür gesorgt, dass man über Bier urplötzlich so sprach wie über Wein oder Whisky. Auf Partys reicht es schon lang nicht mehr, zu sagen, man trinke gerne Bier. Nein, es muss schon ein amerikanisches IPA sein, ein belgisches Trappistenbier oder doch zumindest eines mit einem echt fancy Etikett. Das ist ja sowieso besonders wichtig.

 

 

Altes Handwerk, neu entdeckt

 

Biertrinken, früher so ziemlich die einfachste Sache der Welt, ist kompliziert geworden. Aber auch spannender. Bunter. Hochwertiger. Und bewusster. Wo man früher die Wahl zwischen dem spottbilligen Oettinger-Kasten, Hofbräu und vielleicht noch Beck's hatte, gibt es selbst in Supermärkten längst ganze Regalmeter voller Craft-Stoff. Der Handel hat den Markt entdeckt und die Chance erkannt, aus einem viel zu lange stiefmütterlich, äh, stiefväterlich behandelten Produkt eine angesagte Marke zu machen. Dagegen ist, so will ich deutlich sagen, rein gar nichts einzuwenden! Es ist toll, dass es Alternativen zu Hofbräu, Warsteiner und Radeberger gibt, es ist toll, dass junge Menschen ein altes Handwerk für sich entdecken, es ist toll, dass viele hochwertige Restaurants mittlerweile eine Bierbegleitung als Alternative zur Weinbegleitung bei Menüs anbieten. Allein, wie bei jedem Trend wird oft versucht, mittelmäßige Produkte hinter einem Modevorhang zu verstecken und darauf zu hoffen, dass niemand merkt, wie austauschbar das Bier dahinter eigentlich ist. Denn eines muss klar sein: Nur weil wir mittlerweile aus deutlich mehr Bieren wählen können, heißt das noch lange nicht, dass wir alle über Nacht zu Bier-Sommeliers geworden sind.

 

Probiert mehr!

 

Dennoch ist sich Herrn Hans-Walter Janitz, der Geschäftsführer des Baden-Württembergischen Brauerbundes sicher: „Craft Beer tut der Gattung Bier gut und bringt Bewegung in die Bierwelt – auch regional.“ Er begrüßt die immer stärker werdende Craft-Beer-Szene. „Bier wird bei den Verbrauchern als besonderes Getränk deutlicher wahrgenommen“, steht für ihn fest. Ob Craft Beer automatisch das bessere Bier ist, soll jeder selbst entscheiden, sagt er – und fügt einen ganz zentralen Punkt an: „Probieren geht über Studieren.“ Nicht jeder muss die bittere Hopfennote eines Pale Ales mögen, nicht jeder mag die sämige, sirupartige Textur eines stark eingebrauten Bockbiers. Manche wollen eben weiterhin einfach ein Pils trinken, ein Helles oder ein Weizen. Auch das ist längst zu den Nachwuchsbrauereien, Gypsy-Brauern und Mikrobrauereien durchgedrungen: Viele haben ein bewusst schlichtes und süffiges Pils im Angebot, um auch diese Geschmäcker zu bedienen.

 

Bärtige und tätowierte Glatzköpfe

 

Überhaupt ist der Name Craft Beer reichlich irreführend und wird auch nicht einheitlich benutzt, weil er nicht geschützt ist. „Legt man die amerikanische Definition zugrunde“, so Janitz, „darf man sich der Szene zuwenden, wenn der Ausstoß nicht über sieben Millionen Hektoliter liegt. So gesehen sind alle Brauer aus Baden-Württemberg Craft Beer Brauer!“ Auch mal eine tolle Nachricht, oder? Vielleicht aber schon wieder zu wenig exklusiv für manche. „Klar, wenn man einzig bärtige und tätowierte Glatzköpfe als Maßstab nimmt, wird die Craft-Szene natürlich deutlich kleiner“; schmunzelt Janitz. Die können ja aber immer noch zu den obskuren und experimentierfreudigen Produkten greifen, die auch in Stuttgart problemlos zu bekommen sind. Musste man einst noch in das Kornwestheimer Bier-Elysium Heinrich 3000 fahren, um aus einer großen Auswahl schöpfen zu können, gibt es mittlerweile drei Craft-Beer-Shops in der Stadt. Den Anfang machte Ridmueller im Fluxus, gefolgt von Thorsten Schwämmles Kraftpaule-Bastion und, in Kürze, der Bierothek in den Königsbaupassagen.

 

Sebastian Riedmüller, sozusagen der Stuttgarter Pionier, sieht diese Entwicklung gelassen. „Ich denke, da gibt es noch Luft nach oben“, sagt er zur gegenwärtigen Situation und betont: „Die Menschen sind meiner Meinung nach immer neugierig auf neue Dinge. Bei Wein, Gin oder Whisky ist diese Entwicklung schon länger zu verfolgen, jetzt ist sie eben endlich beim Bier angekommen.“

 

Es gibt gutes und schlechtes Craft Beer

 

Und mit ihr auch die Leute, die sich urplötzlich als große Kenner zu erkennen geben und ihr im Internet angelesenes Wissen bei jeder Gelegenheit preisgeben. Die tun keinem was und sind weitgehend harmlos; sie nerven jedoch kolossal, weil sie jedem das Gefühl geben wollen, dass nur sie den tieferen Sinn hinter diesem oder jenem IPA verstanden haben. Gern wird vergessen: Letztlich ist es ein Bier. Nicht mehr und nicht weniger.

 

Das sieht Christian Klemenz ein wenig anders. Der ausgebildete Bier-Sommelier eröffnet demnächst eine weitere Dependance seiner Bierothek in den Königsbaupassagen, in Bayern führt er er bereits einige Läden. „Das Besondere an Craft-Bier ist ja, dass sich die Anzahl der Bierstile und damit auch der unterschiedlichen Aromen auf einmal nahezu exponentiell erhöht hat“, zeigt er sich begeistert. „Bier ist so viel facettenreicher als man vielleicht gemeinhin glaubt – und das steht nicht im Widerspruch zur Liebe zu traditionellem Bier.“ Vielfalt ist für ihn das Zauberwort, einen Widerspruch zwischen Craft Beer und klassischem Bier sieht er nicht. „Es gibt gutes und schlechtes Craftbier genauso wie es gutes und schlechtes Industriebier gibt. Eine Existenzberechtigung hat alles, was sich am Ende am Markt durchsetzt und einen Käufer findet. So einfach ist das.“

 

Regional oder Craft?

 

Auch er sieht in Baden-Württemberg oder in Stuttgart Bedarf für weitere Aufklärungsarbeit auf dem bierigen Gebiet. „Eine Stadt wie Stuttgart braucht weitere qualitative Locations und Events, um in Sachen Bier den Stellenwert zu bekommen, den es verdient. Baden-Württemberg“, so Klemenz, „ist immerhin nach Bayern das Land mit den meisten Brauereien."

 

Regionalität ist auch für Janitz vom Brauerbund ein wichtiger Punkt. Ähnlich wie die Tatsache, dass es doch manchmal besser ist, die Äpfel vom Bauernhof nebenan zu kaufen, als Bio-Ware aus Neuseeland einfliegen zu lassen, muss es doch nicht immer Craft Beer aus den USA, Australien oder Norwegen sein. „Mit 179 Braustätten bietet Baden-Württemberg definitiv für jeden Geschmack das passende Bier.“ Seit einiger Zeit beobachtete er einen erfreulichen Trend zur Regionalität. „Man könnte sagen, regional ist das neue Bio. Im Übrigen besteht kein Widerspruch zwischen regionalen Biersorten und der Craft-Beer-Szene. Viele kleine Brauereien stellen Bierspezialitäten her, die in der Craft Beer-Szene sehr geschätzt werden.“ Man denke nur an die Berg-Brauerei in Ehingen, selbst die relativ große Schönbuch-Brauerei hat einen guten Namen unter Craft-Fans und lässt sogar junge Brauer auf ihrer Anlage arbeiten und abfüllen.

 

Das Reinheitsgebot feiert seinen 500. Geburtstag

 

Wie bei jeder Entwicklung, fragt man sich aber unweigerlich auch beim Gerstensaft, wohin die Reise gehen soll. Ein Bier soll ja immer auch nur das bleiben: Ein ehrliches, frisch gezapftes und schnell getrunkenes Getränk für den Feierabend, die Stunden davor oder danach. Und eben nicht plötzlich eine Wissenschaft, der sich vorrangig Hauptstadt-Hipster mit Fixi und Vollbart verantwortlich sehen.

 

„Wie in jedem Bereich gibt es natürlich auch im Craft-Bier-Bereich Enthusiasten, die die Sache manchmal zu bierernst nehmen“, meint Klemenz, „Ein echter Bierliebhaber versucht, seine Freunde von tollen neuen Bieren zu begeistern, sollte ihnen aber nicht ständig erklären, dass das, was sie bisher getrunken haben, von minderer Qualität ist.“ Und dann ist da ja auch noch die Sache mit dem Reinheitsgebot, das dieses Jahr seinen 500. Geburtstag feiert – dieses Jahr auch bekannt als: Endlich ein ganzjähriger Grund zum Saufen.

 

Das älteste Lebensmittelgesetzt legt die Zutaten fest, die im Bier sein dürfen – Hopfen, Malz, Hefe und Wasser. „Die Lebensmittelsicherheit wird vom Verbraucher hochgeachtet und schafft Vertrauen“, so Janitz. Es bedeutet aber eben auch, dass viele Craft-Biere gar nicht als Bier gehandelt werden dürfen, weil sie Früchte, sonstiges Getreide oder Honig mit einbrauen. „Wer glaubt, nur mit außergewöhnlichen Zutaten ein besonderes Bier brauen zu können, der irrt. Es bestehen weltweit über 200 verschiedene Hopfensorten. Kombiniert mit der richtigen Malzsorte, ergibt das rechnerisch über eine Millionen mögliche Biersorten.“ Es gibt viel zu probieren...