Das junge Freiburger Unternehmen Leaserad überträgt das Dienstwagen-Konzept dank vieler Kleininvestoren aufs Rad. Auch die Stadt Stuttgart zählt zu ihren Kunden.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Freiburg - Angefangen hat alles mit einer Gesetzeslücke. Ulrich Prediger wollte 2008 statt eines Dienstwagens, den ihm sein Arbeitgeber anbot, ein Dienstfahrrad. „Geht nicht“, sagte der Arbeitgeber. Das Finanzamt schlug Prediger vor, ein Fahrtenbuch zu führen. Der ärgerte sich erst und erkannte dann, dass die Gesetzeslücke auch eine Marktlücke ist. Die Idee für Leaserad war geboren.

 

Die folgende, bislang fünfjährige Geschichte des Freiburger Unternehmens mit seinen inzwischen zehn Festangestellten und drei freien Mitarbeitern hält mehrere Besonderheiten bereit. Dazu zählen unter anderem zwei bemerkenswerte Finanzierungsrunden mit Hilfe der Crowd sowie politisches Lobbying, das dem Freiburger Start-up so schnell keiner nachmacht.

Dienstrad kommt Arbeitgeber günstiger als Gehaltserhöhung

Der Durchbruch für Leaserad war ein Erlass der Länderfinanzministerien von 2012, der Dienstfahrräder mit Dienstwagen steuerlich gleichstellt. Damit können Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern auch Fahrräder als Lohnbestandteil überlassen; das kommt sie billiger als eine Gehaltserhöhung. Diese Subvention (beziehungsweise Gleichbehandlung) hat sich Leaserad selbst erkämpft. Nachdem eine Gesetzesinitiative des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann im Bundesrat gescheitert war, ging das Unternehmen gemeinsam mit Verbänden wie dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub und dem Verkehrsclub Deutschland den Weg über die Finanzverwaltung. Im November 2012 hatten sie den Erlass. Für Leaserad, das bis dahin als Dienstleister für unternehmenseigene Fahrradflotten tätig war, tat sich ein neues Geschäftsfeld auf – eines, auf dem die Freiburger viel Vorerfahrung mitbringen und zunächst keine Konkurrenz zu fürchten hatten.

Dank weniger Zeilen Bürokratendeutsch wurde so aus einer preisgekrönten, vom Markt aber nicht frenetisch aufgenommenen Geschäftsidee ein attraktives Investment für Kleinanleger. Zumindest zeigte sich das, als Leaserad das für den Aufbau des Dienstradgeschäfts nötige Geld aus der Crowd holte – also von einer über das Internet organisierten Masse an Kleininvestoren einsammelte.

In den ersten Jahren vermietete Leaserad als Full-Service-Dienstleister Fahrradflotten an kleine und mittelgroße Unternehmen oder auch die Stadt Stuttgart. 20 Pedelecs bestellte die Stadtverwaltung; sie sind noch heute im Einsatz. In dieser Zeit finanzierte sich Leaserad klassisch mit Hilfe der Hausbank zusammen mit der Bürgschaftsbank Baden-Württemberg sowie über die Ausgabe von Genussrechten.

Zwei Runden Crowdfinanzierung waren äußerst erfolgreich

Um das Geschäft bundesweit auszurichten, reichte das nicht mehr aus. Leaserad entschied sich für eine Crowdfinanzierung. 100 000 Euro sammelte die Firma im August 2012 über die Internetplattform Seedmatch ein; wegen der guten Erfahrungen entschied sich Leaserad im Winter für eine zweite Finanzierungsrunde mit der Crowd. Im Januar 2013 sammelten die Freiburger so weitere 220 000 Euro ein. In beiden Fällen erreichte Leaserad die vorab festgelegte maximale Investitionssumme. Das lässt auf hohes Anlegerinteresse schließen.

Insgesamt rund 400 Investoren brachten in den beiden Finanzierungsrunden diese Summe auf; die große Mehrzahl von ihnen legte zwischen 250 Euro (der Mindestbetrag für Anleger) und 1000 Euro an. Keiner legte mehr als 10 000 Euro an. Bei dieser zweiten Finanzierungsrunde konnte Leaserad mit dem selbst erkämpften Steuervorteil werben – und dem Geschäftsmodell, das im Trend liegende Themen wie nachhaltige Mobilität und Gesundheitsförderung sowie ein günstiges Rad für die Arbeitnehmer betont. Wegen der finanziellen Vorteile ist das Dienstradmodell auch für Arbeitgeber attraktiv.

Leaserad war nicht für klassische Bankenfinanzierung geeignet

Holger Tumat ist 2011 bei Leaserad eingestiegen. Der Wirtschaftsingenieur war bis dahin ebenfalls bei einem Start-up in der Radbranche aktiv, setzte dann aber auf Ulrich Predigers Firma und kümmert sich seither an dessen Seite als geschäftsführender Gesellschafter schwerpunktmäßig um steuerliche und rechtliche Dinge; er organisierte maßgeblich die Crowdfinanzierung des Start-ups.

Firmen wie Leaserad seien für die klassische Bankenfinanzierung nicht wirklich geeignet. Vielen Banken sei das Ausfallrisiko bei Start-ups zu hoch; Tumat beziffert es auf 50 Prozent. Diese Lücke kann die Crowdfinanzierung füllen.

Dass Leaserad die Banken nur mühsam überzeugen konnte, bei der Crowd hingegen den maximalen Investitionsrahmen ausschöpfte, überrascht Tumat daher nicht. Welche Start-ups können bei der Crowd erfolgreich Geld einsammeln? Wichtig sei zunächst, so Tumat, dass die Kleininvestoren das Geschäftsmodell verstehen. Bei dem Dienstradmodell war das wegen der Analogie zum etablierten Dienstwagengeschäft gegeben. Die Geschäftsidee bedient außerdem bei Netznutzern beliebte Trends wie umweltfreundliche Mobilität oder einen gesunden Lebensstil. In solchen Fällen, sagt Tumat, sei die Crowdfinanzierung für einen Bedarf zwischen 100 000 und 500 000 Euro optimal.

Investoren können mit hohen Wachstumsraten rechnen

„Wichtig ist, dass die Investoren auf lange Sicht mit hohen Wachstumsraten rechnen können“, sagt Holger Tumat. Nur so können sie das hohe Risiko eines Totalverlusts ausgleichen. Vor allem muss das um Investorengeld werbende Unternehmen die Karten auf den Tisch legen: Jedes Start-up muss einen ausführlichen, für Interessenten einsehbaren Businessplan hinterlegen, der klare Wachstumsprognosen formuliert. Zudem müssen die Unternehmen ausführlich über Chancen und Risiken des Investments aufklären, und die Regeln für die Rückzahlung des von der Crowd gewährten Kredits sind fixiert.

Wo kommt für den Einzelnen die Rendite her? Im Falle von Investments bei der Plattform Seedmatch schreibt die Bankenaufsicht Bafin eine Mindestverzinsung von einem Prozent vor. „Der Hebel ist aber die Entwicklung des Unternehmenswerts“, sagt Holger Tumat. Der Anleger erwirbt mit seiner Einlage einen (fiktiven) Anteil am Unternehmen; fiktiv deshalb, weil seine Einlage nicht zum Stammkapital zählt. Der Wert des Unternehmens wird dann nach einem vorher festgelegten Verhältnis mit Hilfe vom Vielfachen des Ebit (Gewinn vor Zinsen und Steuern) sowie des Umsatzes ermittelt. Daran bemisst sich der Preis, den das Unternehmen zahlen muss, wenn es nach frühestens fünf Jahren seine Anteile von den Investoren zurückkauft.

Der Break-Even ist im zweiten Quartal 2013 gelungen

Leaserad ist zuversichtlich, dass es seine Investoren nicht enttäuscht. So gelang im zweiten Quartal 2013 wie im Winter angekündigt der Break-Even. Trotzdem ist das Diensträder-Geschäft kein Selbstläufer. Die Stadt Stuttgart, ein Kunde der ersten Stunde, ist trotz laufender Gespräche zurückhaltend. Sie gewährt städtischen Mitarbeitern bereits jetzt ein günstiges Ticket für Bus und Bahn; ein zusätzliches Dienstrad-Modell könnte den Rahmen der steuerlichen Möglichkeiten sprengen, heißt es aus dem Rathaus. Auf solche und ähnliche Bedenken stoße Leaserad immer wieder, berichtet Holger Tumat – bei Kleinunternehmen wie Dax-Konzernen. Dennoch will die Firma weiteres Wachstum aus dem Cash-Flow oder aus nichtöffentlichen Finanzierungsrunden bezahlen.

Für die jüngste Wachstumsphase war freilich Crowdfinanzierung die richtige Finanzierungsart, glaubt Tumat. Zwar sei der Aufwand für die Informationen, die man im Internet präsentiert, immens, aber vieles von dem, etwa das Werbevideo, könne man auch an anderer Stelle verwenden. Auch die vielen Fragen von potenziellen Investoren mit höchst unterschiedlichem Hintergrund – vom Banker bis zum Fahrradenthusiasten – habe man gern beantwortet: „Da kommt viel zurück, auch der Kontakt zu potenziellen Kunden“, sagt Tumat. Mancher Kleininvestor habe zur Beschaffungs- oder Personalabteilung seines Unternehmens vermittelt.

Ganz am Anfang des Lebenszyklus eines Start-ups hält Holger Tumat die Crowdfinanzierung für wenig sinnvoll. „Da muss man viele Fragen kompetent beantworten, braucht ein Produkt und Referenzen – man muss eine erste Machbarkeit vorweisen“, sagt der 39-Jährige. Leaserad konnte das bei seinen Crowdfinanzierungen tun – und ist ihnen jetzt entwachsen. Das Freiburger Unternehmen hat damit seinen Teil dazu beigetragen, die Crowdfinanzierung in Deutschland weiter in den Mainstream hineinzutragen.