Pünktlich zum Internationalen Museumstag hat Waiblingen die Wiedereröffnung der Csávolyer Heimatstube im Beinsteiner Tor gefeiert. Die Ausstellungsmacher haben mit Fingerspitzengefühl die altbekannte Schau grundlegend modernisiert.

Waiblingen - Wehrturm, Stadttor, Gefängnis, Heimatstube: das Beinsteiner Tor in Waiblingen hat eine bewegte Geschichte – und erinnert an die bewegende Geschichte der Heimatvertriebenen aus dem südungarischen Dorf Csávoly. Denn am Wochenende hat pünktlich zum Internationalen Museumstag im uralten Wahrzeichen der Stadt eine Außenstelle des Stadtmuseums eröffnet. Sie erzählt in einem Raum die Historie des Turms, zeigt Ansichten des Bauwerks auf einem Monitor und ein Turmmodell aus Acryl, das den Aufbau des denkmalgeschützten Bauwerks erklärt, in dem zeitweise auch Häftlinge einsaßen.

 

Die Ausstellung setzt aber einen deutlichen Schwerpunkt auf eine andere, im Bewusstsein häufig nicht so präsente Facette der städtischen Geschichte: die der Csávolyer. Denn die sei, so formulierte es der Oberbürgermeister Andreas Hesky bei der Eröffnung am Samstagabend, ein Teil der Waiblinger Stadtgeschichte geworden.

Rund 16 000 Besucher

Im Jahr 1973 hatte Waiblingen die Patenschaft für diese Gruppe übernommen und ihr ermöglicht, in städtischen Räumen eine Heimatstube einzurichten. „In den Heimatstuben, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet wurden, sollten sich eigentlich Einheimische und Vertriebene treffen, aber das hat nur selten geklappt“, erzählt Tanja Wolf, die Stadtarchiv- und Museumsleiterin. Die als Ort der Integration gedachte Heimatstube war letztlich eher eine Anlaufstelle für die Mitglieder des Csávolyer Heimatvereins, welche die von ihnen liebevoll ausgestatteten Räume aber regelmäßig für Besucher öffneten. „Im Besuchsbuch, das bis zum Jahr 2016 geführt worden ist, haben sich immerhin 16 000 Gäste eingetragen“, sagt Tanja Wolf.

Lange war die Zeit in der Heimatstube stehen geblieben – bis sich in jüngster Vergangenheit, nach der Auflösung des Vereins, die Stadt Waiblingen der Erinnerungsstätte angenommen und ihr das Schicksal vieler anderer Heimatstuben im Land – die endgültige Schließung – erspart hat. „Viele Städte stehen vor der Frage, wie sie mit ihrer Heimatstube umgehen sollen“, sagt Tanja Wolf. Eine Möglichkeit sei, die Objekte zum Beispiel an das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm abzugeben. „Aber das wollten wir nicht, denn es ist ja auch unsere Geschichte. Im Jahr 1950 war jeder vierte Waiblinger Einwohner Heimatvertriebener.“

Also haben sich die Ausstellungsmacher dazu entschieden, die Heimatstube im Turm zu belassen – samt vieler Exponate. „Wir wollten nicht alles ausräumen, haben die Ausstellung aber etwas entzerrt“, berichtet Tanja Wolf. Manches Objekt wanderte daher ins Museumsdepot. Doch wer die Heimatstube mit ihrer neu konzipierten Ausstellung besucht, kann viele Dinge aus der vorigen Schau wiederfinden, zum Beispiel die beeindruckende „Paradestube“ mit ihren schweren, handgeschnitzten Möbeln aus dunklem Holz. „Manchmal wurden unter abenteuerlichsten Umständen aus Csávoly Möbel, Hausrat, Bücher, Bilder und sogar sakrale Gegenstände nach Waiblingen mitgebracht“, berichtete Andreas Hesky.

Die prächtige Wandbemalung ist noch da

Auch die prächtigen Wandbemalungen in Schablonentechnik sind erhalten geblieben, ebenso die Küche mit Büffet, Sparherd und allerlei Utensilien für den täglichen Gebrauch. Nichts fehlt dem Betrachter – und dennoch wirken die Räume luftiger und größer, die noch vorhandenen Exponate kommen besser zur Wirkung.

Aus welchen Ländern und Regionen Vertriebene und Flüchtlinge am Ende des Zweiten Weltkriegs in den Westen strömten, zeigt eine große Landkarte zu Beginn der Ausstellung. Daneben steht eine alte Schreibmaschine. Tanja Wolf zeigt auf historische Dokumente, Anordnungen und Plakate, die verdeutlichen: „Die Vertreibung war Teil eines bürokratischen Akts.“ Ein Plakat mit der Überschrift „Kundmachung“, datiert auf den 8. Juni 1946, verkündet in ungewöhnlich anmutendem Deutsch die „Rücksiedlung der Deutschen nach ihrem Mutterland“.

„Die Csávolyer hatten die ungarische Staatsangehörigkeit“, sagt Tanja Wolf über die deutschstämmigen Kolonisten, die Anfang des 18. Jahrhunderts gen Osten ausgewandert waren. „1729 voller Hoffnung in ein neues Land – 1946 voller Trauer aus Ungarn fort“, lautet der Schriftzug auf einem Bild aus den 1970er-Jahren, welches das Trauma illustriert. Im „Geschichtsraum“ geht die Ausstellung verschiedenen Geschichtsbildern und Vorstellungen auf den Grund, ein weiterer Raum beschäftigt sich mit dem Thema Religion. Prozessionsbanner, Weihrauchgefäße, Rosenkränze sind zu sehen – nach dem Zweiten Weltkrieg wohl äußerst exotisch anmutende Gegenstände für Einheimische im pietistischen Württemberg.

Aus zwei Trachtenstuben ist eine geworden, das einst komplett mit landwirtschaftlichen Geräten gefüllte Dachgeschoss ist nun leer geräumt und dient als letzte Station der Führungen durch den Turm, der nicht auf eigene Faust erkundet werden kann. Hier sollen die Besucher sich auf Hockern niederlassen, reflektieren, was sie gesehen haben, ankommen. Manch einer erzählt vielleicht auch seine eigene Familiengeschichte, hofft Tanja Wolf – das Thema Migration wird sicher in vielen Lebensläufen eine Rolle spielen.

Das Beinsteiner Tor

Baudenkmal:
Das mittelalterliche Beinsteiner Tor, Waiblingens einziges noch erhaltenes Stadttor, hatte seit 1980 als Versammlungs- und Ausstellungsort der Heimatvertriebenen aus dem ungarischen Dorf Csàvoly gedient. Weil deren Heimatverein sich vor rund fünf Jahren aufgelöst hat, übernahm die Stadt Waiblingen wieder die Regie und erarbeitete ein Nutzungskonzept für die Räume im Turm. Dieser ist in den vergangenen Monaten innen aufwendig saniert worden.

Ausstellung:
Die Außenstelle des Stadtmuseums im Beinsteiner Torturm hat zwar keine festen Öffnungszeiten, kann aber auf Anfrage im Rahmen einer Führung mit maximal 15 Personen besichtigt werden. Auskünfte und Anmeldung sind möglich unter Telefon 0 71 51/50 01 17 01 oder per E-Mail an kunstvermittlung@waiblingen.de.