Auf der Stuttgarter CSD-Kundgebung machten Redner klar, warum ihre Anliegen so relevant sind wie eh und je. Pandemiebedingt durften an der Kundgebung nur ausgewählte Stellvertreter verschiedener Gruppen der Regenbogen-Community teilnehmen.

Stuttgart - Der Marktplatz am Samstagnachmittag: Die Bässe wummern, Regenbogenfahnen wehen, Menschen tanzen ausgelassen zu ohrenbetäubender elektronischer Musik. Einen Hauch der üblichen Straßenparade konnten die Initiatoren des Stuttgarter Christopher Street Day selbst in diesem Jahr bewahren. Und doch war alles anders. Denn pandemiebedingt durften an der Kundgebung direkt auf dem Marktplatz nur ausgewählte Stellvertreter verschiedener Gruppen der Regenbogen-Community teilnehmen.

 

Die Veranstaltung war Teil der Online-Pride, einer Art virtuellen Straßenfests, das am Samstag und Sonntag zum Abschluss des CSD-Kulturfestivals stattfand. Dennoch ließen es sich viele andere Menschen nicht nehmen, an der Veranstaltung teilzunehmen, und hörten sich die Redebeiträge als Zaungäste vor dem mit Regenbogenfahnen beflaggten Rathaus an. Natürlich sei man sich bewusst, dass das CSD-Format in diesem Jahr allenfalls eine „lahme Krücke“ sein könne, sagte der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft CSD Stuttgart, Christoph Michl.

Redner blicken auf bereits Erreichtes zurück

Eins machten er und seine Mitstreiter jedoch unmissverständlich klar: die gesellschaftspolitischen Anliegen der Regenbogen-Community sind so relevant wie eh und je. „Corona ist nichts, was unsere Thematik untergraben darf“, so Michl. Diskriminierung gehört für viele Schwule, Lesben und Transgender noch zum Alltag. Beispiel Blutspende: hier unterstelle der Gesetzgeber Homosexuellen pauschal ein größeres Ansteckungsrisiko, so Michl. Eine Schikane, die man heterosexuellen Männern nie zumuten würde.

Beispiel gewalttätige Übergriffe gegen Homo- und Transsexuelle: diese würden in der baden-württembergischen Polizeistatistik nicht einmal erfasst. Beispiel Gleichberechtigung: das Grundgesetz unterscheide in Artikel 3 noch immer nur zwischen Mann und Frau, sagte Michl. Soziale Identität und sexuelle Orientierung müssten aber auch ins Gesetz, „und zwar schnell.“

Doch auch auf bereits Erreichtes blickten die Redner zurück. Katharina Binder vom Landesverband des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD) berichtete, dass immer mehr Schwule und Lesben Familien gründen würden. Mit positiven Folgen: „Studien zeigen, dass die Rollenverteilung in Regenbogenfamilien egalitärer ist und Kinder offener und toleranter erzogen werden“, sagte Binder. Vorurteile schlagen ihnen gleichwohl entgegen. Deshalb freute sich Binder darüber, dass die Stadt Stuttgart eine Beratungsstelle für Regenbogenfamilien fördere, ein Schutzraum, in denen sich die Familien nicht anderen gegenüber erklären müssten.

Diversität innerhalb der LGBT-Community

Auch transsexuelle Menschen sind noch weit von einem selbstbestimmten Leben entfernt. Das kritisierte Alexander Häfner von der Mission Trans, einer Selbsthilfegruppe. Das Transsexuellen-Gesetz in seiner aktuellen Form sei eine Schmach. So müssten sich Trans-Menschen von Gutachtern bewerten lassen, statt selbst über ihre Geschlechtsidentität zu entscheiden. Viele Parteien im Bundestag fordern ebenfalls, ein Selbstbestimmungsgesetz einzuführen, das keine unbegründeten Hürden für die Änderung des Vornamens und die Berichtigung des Geschlechtseintrags beinhaltet. Ebenso kritisierte Häfner, dass Transsexuelle im Internet ohne ihre Einwilligung geoutet würden, der Gesetzgeber die Täter aber nicht belange.

Um Diversität innerhalb der LGBT-Community selbst ging es am Samstag auf dem Marktplatz ebenfalls. So sagte Karimael Buledi von der Stuttgarter Initiativgruppe Homosexualität, er fühle sich in der Bewegung oft nicht vertreten. Das sei ihm bei den Kundgebungen gegen Rassismus und Polizeigewalt klar geworden, als er so viele queere und schwarze Menschen wie nie zuvor getroffen habe. „Wir müssen auch über eigene Vorurteile sprechen“, sagte Buledi. In Bezug auf das Motto des diesjährigen CSD „Vielfalt braucht Verstärkung“ mahnte er deshalb an, nicht immer nur mit seinesgleichen zu sprechen. „Wir müssen auf die Stimmen achten, die still sind“.

Die Stuttgarter LGBT-Ikone Laura Halding-Hoppenheit gab sich kämpferisch: Man müsse das bislang Erkämpfte weitertragen wie die olympische Flamme, sagte sie. Viel habe man bislang schon erreicht: „Wir sind überall präsent, die Bevölkerung kann nicht mehr an uns vorbeischauen.“