200.000 Menschen schauen dem Christopher Street Day zu. Der Stuttgarter OB Kuhn ruft als Schirmherr die Regierung in Berlin auf, die Ehe für Schwule und Lesben zu öffnen.

Stuttgart - Wenn große Trucks wie Schnecken durch die Eberhardstraße tuckern, Bonbons zu den Zuschauern am Straßenrand fliegen und laute Partymusik aus Boxen wummert, kann das nur zwei Sachen bedeuten: Es ist Fasching oder Christopher Street Day.

 

Bei genauerem Hinschauen gibt es dann doch einige Unterschiede: Bei der Schwulen- und Lesbenparade sind inzwischen mehr Menschen verkleidet als an Fasching, trotzdem geht es hier nicht nur um Party, sondern auch um Politik. Das merkt man auch daran, dass mehr Prominenz dabei ist als an Fasching: Oberbürgermeister Fritz Kuhn läuft als Schirmherr mit, auf dem Wagen der Grünen sind seine Parteifreunde Claudia Roth und Cem Özdemir.

Von der SPD sind Finanzminister Nils Schmid und Sozialministerin Katrin Altpeter dabei, von der CDU Stefan Kaufmann, zudem sieht man viele Stuttgarter Stadträte. Mittendrin zwischen schrillen Drag Queens, halbnackten Männerpopos, aber auch Verwaltungsangestellten, Ingenieuren, VfB-Fans und Polizisten, die für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben demonstrieren.

Den Organisator Christoph Michl freut die Unterstützung aus der Politik. Insgesamt war der Zuspruch bei diesem CSD so groß wie noch nie zuvor in Stuttgart. 4500 Menschen haben sich an 72 Laufgruppen beteiligt und laut Polizei waren 200.000 Zuschauer am Straßenrand.

Michl: "Jetzt wollen wir Akzeptanz"

Einerseits ist die Parade in der Gesellschaft schon so verankert, dass Firmen wie Daimler und Bosch große Wägen stellen und damit zeigen, dass sie Gleichberechtigung ernst nehmen, andererseits gebe es noch immer viel zu tun, sagt Christoph Michl. „Früher haben wir für Toleranz gekämpft. Das haben wir erreicht. Jetzt wollen wir Akzeptanz.“

Unter dem Motto „Akzeptanz! Was sonst?“ sollte der CSD noch politischer werden, als in den vergangenen Jahren. Zu den Forderungen gehören eine Öffnung der Ehe, Zugang zum Adoptionsverfahren, die Verankerung der Lebensrealitäten in Bildungsplänen der Schulen und die Aufhebung des Blutspendeverbots für homosexuelle Männer. Zudem sei es ein Unding, so Michl bei der Abschlusskundgebung, dass es wegen des inzwischen abgeschafften Paragrafen 175 noch immer Männer gebe, die wegen ihrer Homosexualität als vorbestraft gelten.

Fritz Kuhn hat bei der Kundgebung auf dem Schlossplatz deutliche Worte gewählt und die Bundesregierung dazu aufgerufen, die Ehe zu öffnen. „Das muss die liebe Angie endlich kapieren!“, rief er. Ebenso klar forderte er eine Änderung der Adoptionsgesetze: „Manchmal muss die Politik springen, sonst macht man sich lächerlich.“ Dass es längst schon so genannte Regenbogenfamilien gibt, hat die Parade eindrücklich zur Schau gestellt.

Erstmals ist zwischen den Partytrucks eine Bimmelbahn mitgefahren, in der Kinder mit ihren gleich geschlechtlichen Eltern gesessen sind. „Ich bin noch nie angefeindet worden“, sagt Jessica Fluhr, die eine Tochter hat und Landesvorstand vom baden-württembergischen Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ist.

Der CSD als Demo, Gedenk- und Feiertag

Eine CSD-Institution dagegen ist Laura Halding-Hoppenheit, die sich seit mehr als dreißig Jahren für Schwule einsetzt. „Wir kämpfen hier auch für die vielen Menschen, die in anderen Ländern wegen ihrer Sexualität angefeindet werden“, sagt die Szene-Wirtin.

Ein anderes Anliegen wiederum hat Marianne Müller, die bei der Selbsthilfegruppe für Eltern homosexueller Kinder mitläuft. „Mein Sohn ist stolz wie Harry“, sagt Marianne Müller, die ihrem Sohn zeigt, dass sie zu ihm steht. Als er sich mit 18 geoutet hat, sei sie nur in Sorge gewesen, welche Ressentiments ihm entgegenschlagen würden. Dass es nicht soweit kommt und wegen der schönen Stimmung, sind die Gründe, warum sie bei der Parade mitläuft. Das passt zu der Aussage von Christoph Michl: „So lange wir noch keine komplette Gleichstellung haben, ist der CSD Demonstration, Gedenktag und Feiertag“, sagt Michl. „Irgendwann ist er hoffentlich nur noch Feiertag.“