CSD-Parade in Stuttgart Fröhlich vereint unter dem Regenbogen

Die CSD-Parade ist am Samstag durch Stuttgart gezogen. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Frech, bunt, laut: Stuttgart erstrahlt in den Farben des Regenbogens. Mit 131 Formationen und geschätzten 400.000 Menschen hat die Stadt den größten CSD aller Zeiten erlebt. Nach einer friedlichen Parade ist der CSD-Sprecher angegriffen worden.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Wer kann die vielen Regenbogenfahnen zählen, die am Samstag in der Stadt als Zeichen der Vielfalt wehen? Aber noch viel schwieriger ist es, die Zahl der Menschen zu schätzen. Vor dem Start der größten Parade aller Zeiten in Stuttgart hat die Interessengemeinschaft CSD erklärt, sie rechne mit 300.000 Teilnehmenden. Die Polizei nannte gar als Zahl bis zu 500.000. Wie viele es nun in der City geworden sind, da sich der Himmel nicht von seiner Sonnenseite zeigt? Das bleibt vorerst Spekulation. Jedenfalls ist es voll, sehr voll!

 

Viele haben bunte Regenschirme mitgebracht, weil sie sich nicht bremsen lassen im Kampf für Gleichheit, auch nicht von schlechtem Wetter. „Ohne Regen kein Regenbogen“, steht auf CSD-Jacken – doch es regnet während der gesamten Parade überhaupt nicht. Am Abend erklären die Veranstalter, es seien geschätzte 400.000 Menschen dabei gewesen.

„Happy pride“, hört man immer wieder. Nur im deutschsprachigen Raum Europas spricht man vom CSD. Im Rest der Welt gilt der Begriff Pride, der sich immer mehr in Stuttgart durchsetzt. Die Stadt ist in Partylaune. Man sieht viele fröhliche Gesichter. Schrill Gekleidete und unauffällige Normalos säumen die neue Route, die vom Feuersee zur Planie führt. Die Bandbreite am Straßenrand ist so groß wie im wahren Leben. Nicht jeder queere Mensch ist ein Paradiesvogel. Und der Anteil der Heterosexuellen, die mitfeiern und sich solidarisch zeigen, wird immer größer. Die Botschaft lautet: Wir sind eins – und alle dürfen so sein, wie sie sind.

Die körperlichen Wunden sind geheilt, die seelischen nicht

Auch wenn die Stimmung kaum besser sein könnte, stellt CSD-Sprecher Detlef Raasch klar, dass es nicht darum gehe, an diesem Tag möglichst viel Spaß zu haben. Denn auf den Erfolg ausruhen könne sich die Community nicht. Das Motto „Nicht mit uns! Gemeinsam sicher und stark“ sei eine Reaktion auf den Anstieg von Übergriffen und Hasskriminalität gegen Menschen, die schwul, lesbisch, bisexuell, trans, intergeschlechtlich oder nicht-binär sind, sagt er. Diese Menschen, die sich lange Zeit verstecken mussten, sind sichtbarer geworden – und würden deshalb verstärkt zu Opfern von Gewaltdelikten, ausgeübt von Tätern, die meinen, in einem anderen Jahrhundert zu leben, weit entfernt von Toleranz.

Detlef Raasch hat auf den Wagen der CSD-Organisatoren den Abiturienten Paul (Name geändert) eingeladen, der im vergangenen Jahr nach der Stuttgarter Parade auf dem Heimweg zusammengeschlagen worden ist. „Scheiß Schwuchtel“, so wurde er beschimpft. Ein Ehepaar, das inzwischen verurteilt worden ist, hat Paul so schwer verletzt, dass er in ein Krankenhaus kam. Die körperlichen Wunden sind verheilt, die seelischen nicht. Darüber spricht der 18-Jährige bei der Abschlusskundgebung auf der Planie, bei der auch die iranische Aktivistin Shadi Amin das Wort ergreift. Sie klagt an, dass bei gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen nach dem Strafgesetz ihrer Heimat immer noch Peitschenhieben und die Todesstrafe drohen.

Für die aus Berlin angereiste SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken, die Schirmfrau des CSD, ist es „nicht hinzunehmen, dass queere Menschen in unserer Gesellschaft irgend eine Art von Verletzung und Ausgrenzung erfahren“. Begeistert ist sie in Stuttgart, „wie viele Menschen auf die Straße gehen, um das Leben und die Liebe zu feiern“. Die bösartigen Beleidigungen, von denen ihr berichtet wird, lassen sie „vor Scham und Zorn erröten“.

Warum hat die Antifa den Stuttgarter CSD angegriffen?

Fassungslosigkeit herrscht nach einer friedlichen, fröhlichen und sehr lauten Parade am Abend, weil eine Antifa-Gruppe den Truck des CSD-Vereins angreift und CSD-Sprecher Detlef Raasch verletzt. Wollten die Demonstrierenden aus dem linken Spektrum damit dagegen demonstrieren, dass die CDU beim CSD mitfährt, wie zu hören ist? Oder war es eine Reaktion auf den Streit um das Antifa-Plakat beim CSD in Freiburg, auf dem eine Vermummte mit Bollenhut zu sehen war? Detlef Raasch hatte Kritik an dem Motiv geübt und erklärt: „Wir lehnen jede Art von Radikalismus strikt ab.“

Die 131 Formationen der Parade – vor einem Jahr waren es 100 – zeichnen ein buntes Bild der Stadtgesellschaft. Viele Trucks sind neu dabei: der VfB Stuttgart etwa mit dem schwulen Fanclub Stuttgarter Junxx, die Deutsche Bahn, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, die Outletcity Metzingen, Hitradio Antenne 1, die Host City Stuttgart mit Fußball-EM-Botschaft, das Warenhaus Breuninger. Wieder mit dabei sind unter anderem Mercedes, Porsche, die Staatstheater, die SSB, die Allianz, die EnBW und Hewlett Packard. Fast alle Parteien – mit Ausnahme der AfD – reihen sich ein.

Die Community ist mit Formationen reichlich vertreten

Den Kern der Parade bildet die Community, die vorführt, womit alles angefangen hat, bevor die breite Masse hinzugekommen ist. Man sieht Fetisch-Gruppen in Leder und mit Hundemasken, die Mission Trans*, das Projekt 100 Prozent Mensch, die Initiative Bunt für das Leben und viele andere. Die junge katholischen Gemeinde zeigt, dass nicht alle so denken wie der Vatikan. Mit der Rikscha ist der Deutsche Journalistenverband unterwegs, und Clublegende Laura Halding-Hoppenheit lässt sich wie seit vielen Jahren in der Mitte des Zuges, Rainbow-Fähnchen schwenkend, auf einem roten Motorrad chauffieren.

So viele wie nie zuvor versammeln sich unter dem Regenbogen. Ist die hohe Anzahl der Firmen, die mitfahren, ein Zeichen dafür, dass die Anliegen der queeren Community mitten in der Gesellschaft angekommen sind? Oder nur ein Beweis, dass der CSD zum Geschäft geworden ist und Unternehmen die Parade als Werbefahrt sehen? Claudius Desanti vom Instagram-Channel Sissy That Talk, ein Experte für queeres Marketing, findet es gut, dass so viele mitmachen, sagt aber auch, eine einmalige Sache dürfe das nicht sein. Die Nutzung des Regenbogens müsse, um glaubhaft zu sein, „mit ganzjähriger Unterstützung für die Community“ einhergehen, fordert er und betont: „Die Firmen sollten als Arbeitgeber ein sicheres Umfeld bieten, in dem queere Mitarbeitende sich frei entfalten können.“

Chris Fleischhauer, Moderator bei Hitradio Antenne 1, der sich schon vor Jahren geoutet hat, fährt mit 50 Hörerinnen und Hörer auf dem ersten Truck aus dem Stuttgarter Pressehaus bei der Parade mit. „Ich bin stolz, dass wir in diesem Jahr Teil des CSD sind“, sagt er. Damit zeige das Radioteam, „dass wir ein diverses, weltoffenes und modernes Unternehmen“ sind. Die Karten für den Wagen wurden verlost. „Es sind so viele Anmeldungen gekommen, dass wir locker 20 Trucks hätten füllen können“, freut sich Fleischhauer.

Die CDU ist dabei – OB Frank Nopper aber wieder nicht

Während in Berlin vor einer Woche der Regierende Bürgermeister Kai Wegner von der CDU auf einen CSD-Truck gestiegen ist, lehnt dies in Stuttgart sein Amts- und Parteikollege Frank Nopper weiterhin ab. Dabei ist die Partei des OB zum zweiten Mal mit einem eigenen Wagen vertreten. Der CDU-Kreisvorsitzende Thrasivoulos Malliaras, der bis vor kurzem der Persönliche Referent von Nopper war, erklärt, warum für ihn die Teilnahme am CSD wichtig ist. „Liebe ist Liebe, und jeder soll nach seiner Façon glücklich werden“, betont er, „dazu bekennt sich die Stuttgarter CDU glasklar.“ In Berlin habe Kai Wegner wohl viel Spaß gehabt und viel Applaus erhalten, sagt Mailliaras, aber Stuttgart sei „viel schöner als Berlin“. Beim CSD treffe sich die ganze Stadt. Er freue sich, wenn im nächsten Jahr „der OB mitfährt und mitfeiern würde“.

Angesichts der erneut gestiegenen Zahl der Formationen hat die Polizei ihre Sicherheitskräfte für den CSD deutlich aufgestockt. Damit alles friedlich bleibt und geregelt ablaufen kann, sind mehr freiwillige Helfer unterwegs als je zuvor. Ohne die Begeisterung der Ehrenamtlichen wäre der CSD nicht so schön, wie er ist.

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