Migration als „Mutter aller Probleme“? Die SPD hat genug vom CSU-Chef Horst Seehofer, der auch die CDU nervt. Wie lange hält der Burgfrieden noch?

Berlin - Nach dem Sommer ist vor dem Sommer: Rechtzeitig zur ersten Bundestagssitzungswoche nach den Parlamentsferien erzeugt Bundesinnenminister Horst Seehofer in der Regierungskoalition Ärger und Unverständnis – wieder mit Aussagen zur Asyl- und Zuwanderungspolitik. So hat der CSU-Chef bei einer Klausurtagung seiner Abgeordneten am Mittwoch übereinstimmenden Berichten zufolge „die Migration“ als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet – in einem kurz darauf erschienenen Interview äußerte er sich nur geringfügig anders, indem er sagte, der Erfolg der AfD und die Schwäche der Volksparteinen habe „nicht nur“ mit der Einwanderung zu tun: „Aber die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land.“

 

Sogar Rücktrittsforderungen werden laut

Der Koalitionspartner SPD reagierte angesichts der Erfahrungen aus dem Frühsommer nicht überrascht, der Frust, dass der CSU-Chef damit – ausgerechnet nach den Ereignissen in Chemnitz – den Koalitionsstreit über die Flüchtlingspolitik wieder anheizte, saß deshalb nicht minder tief. Generalsekretär Lars Klingbeil kritisierte: „Ich habe auf dieses rechtspopulistische Gequatsche echt keinen Bock mehr“, teilte er via Twitter mit. Seehofer bezeichnete er als „Vater von reichlich Problemen“. Der Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby, der im Senegal geboren wurde, forderte: „Mindestens 19,7 Millionen Menschen, deren Mütter oder Väter aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen sind, haben eine Nachricht an Seehofer: Bitte tritt zurück, wenn Du nicht der Innenminister aller Deutschen sein kannst.“

Als ranghöchste Genossin forderte die in Bayern auf verlorenem Posten wahlkämpfende SPD-Vizechefin Natascha Kohnen, dass Seehofer seinen Hut nehmen solle. Burkhard Lischka, Innenpolitiker der SPD-Fraktion, sagte unserer Zeitung, Seehofer habe in 177 Tagen Amtszeit „kein einziges Problem gelöst, dafür aber jede Menge neue Probleme bis hin zur Regierungskrise geschaffen“. Er lebe „in einer Blase, die ausschließlich mit dem Thema Migration angefüllt ist“, und sei „der Großvater der Schlagwortdebatte“. Dabei hätte Seehofer, so Lischka, eigentlich alle Hände voll zu tun, etwa bei der Bekämpfung von Alltagskriminalität. Geleistet habe er nichts, „was ihn in meinen Augen nur bedingt regierungstauglich macht“.

SPD-Chefin: „Das muss aufhören“

Auch SPD-Chefin Andrea Nahles knöpfte sich den Innenminister vor. Eigentlich wollte sie auf der Klausur ihrer Bundestagsfraktion einen „sozialpolitischen Herbst“ einläuten. Über Rente, Mieten, gute Kitas will die SPD mit der Union streiten. Aber jetzt droht wieder das Flüchtlingsthema alles zu dominieren – dank Seehofer. Wenn dieser von der „Mutter aller Probleme“ spreche, „meint er in Wahrheit Frau Merkel“, sagte Nahles. Und weiter: „Das muss aufhören.“ Auf die Frage an Nahles, was passiere, wenn nicht, lautete ihre Antwort: „Das werden wir ja mal sehen.“ Mutig klingt anders, weil angesichts der katastrophalen Umfragewerte die Neigung zu Neuwahlen in der SPD gen null tendiert.

Dennoch birgt das Zündeln Seehofers für die Koalition ein Risiko, wie führende SPD-Vertreter am Donnerstag hinter vorgehaltener Hand berichteten: Viele Spitzengenossen funken an die Zentrale, dass der Geduldsfaden bei den Genossen eigentlich schon gerissen sei, dass man dort dann eben lieber im edlen Wettstreit untergehen wolle, als weiter diese Regierung zu stützen, in die man sich ja eh nur unter großen Schmerzen geschleppt habe.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ist genert

Entsprechend verärgert sind Seehofers Aussagen auch in der CDU und im Kanzleramt aufgenommen worden. Von „genervtem Augenrollen“ war die Rede, weil er nach mehrwöchiger Ruhe wieder das Thema aufrufe und den Burgfrieden von Anfang Juli gefährden könne. „Wir haben kein Interesse daran, die Dinge wieder eskalieren zu lassen“, hieß es aus der Regierungszentrale. Daher grenzte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag in einem Fernsehinterview zwar von Seehofers Satz ab, ohne ihren Innenminister jedoch direkt anzugehen: „Ich sage, die Migrationsfrage stellt uns vor Herausforderungen. Und dabei gibt es auch Probleme.“ Ähnlich äußerte sich die Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz: „Deutschland hat in der Vergangenheit von Zuwanderung profitiert und braucht auch künftig Zuwanderung“, sagte die Staatsministerin von der CDU unserer Zeitung: „Natürlich stellt uns die Migration auch vor Herausforderungen, die wir weiterhin entschlossen anpacken müssen.“ Doch wäre das Land „ohne Migration nicht so erfolgreich, wie es heute ist“.

Der Landesgruppenchef der baden-württembergischen CDU-Bundestagsabgeordneten, Andreas Jung, rügte Seehofer ebenfalls: „Der Satz ist falsch – das zeigt schon der Umkehrschluss, wonach es ohne Migration in Deutschland keine Probleme gäbe, was schon angesichts des Handlungsbedarfs wegen Demografie, Fachkräftemangel und Klimawandel einfach nicht stimmt.“ Jung forderte ihn zur Mäßigung auf.