Zum letzten Mal lädt die CSU-Landesgruppe zu ihrer Klausurtagung nach Wildbad Kreuth – und zelebriert noch einmal genüsslich das bekannte Ritual. Dazu zählen markige Sprüche, christsoziales Selbstbewusstsein und bühnenreife Auf- und Abgänge.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Leise murmelt der Bach, auf den hier nie jemand schaut, hinter dem Alten Bad in Wildbad Kreuth, wo der Weg zackig zum Blauberg hochgeht, fünfeinhalb Stunden dauert der Anstieg. Vergleichsweise kommod ist der kleine Marsch des Parteivorsitzenden der CSU zum Tagungsgebäude der Hanns-Seidel-Stiftung, hundert Schritte maximal, Jahr für Jahr wird er um Dreikönig herum bei der Klausurtagung in Szene gesetzt fürs Fernsehen. Mal mit Schneemassen im Hintergrund, mal, wie heuer, vor eher dürftigem Weiß arrangiert.

 

Edmund Stoiber musste auf dieser Strecke, an deren Ende stets eine Reporterschar wartet, immer an sich halten, um nicht wie ein nervöses Rennpferd direkt in den Tagungskeller zu stürmen: hinab zur angereisten Landesgruppe, neuen Taten entgegen. Horst Seehofer hingegen, sein Nachnachfolger, schlappt eher sinnend das Terrain ab, ein vorerst letztes Mal nun in Kreuth, wo die Vermieter in Gestalt der bayerischen Wittelsbachererben die Preise derart erhöht haben, dass die CSU demnächst mythoslos dasteht. Denn ein Mythos, heißt es, sei die Tagungsstätte ewig gewesen, definitiv seit Franz Josef Strauß 1976, damals im November, aus einem bierseligen Grundgrant heraus über den unfähigen Kanzlerkandidaten Helmut Kohl die CDU gewissermaßen zu Kreuth kriechen lassen wollte. Aus war’s seinerzeit für ein paar Wochen (bis Strauß kleinlaut beigab) mit der Unionsehe zwischen CDU und CSU. Von heute aus gesehen darf man sagen: Die hatten Probleme . . .

Markige Sprüche gehören dazu

Vierzig Jahre Kreuth und Klausur dort begeht die CSU dennoch unverdrossen mit einem bunten Abend, an dem dann aber die Kanzlerin doch nicht teilnehmen will, lieber kommt sie zum Auftakt, am späten Nachmittag, nicht eben gesprächig. Schließlich hat sie es schon wieder zu tun mit einer seitens der CSU geforderten Zahl (200 000 Flüchtlinge maximal pro Jahr), von der sie bereits mehrmals gesagt hat, dass eine solche Hausnummer ihr nicht behage. Gerda Hasselfeldt, Landesgruppenchefin der CSU in Berlin, packt die Ziffer deswegen noch einmal rhetorisch in Watte: Es handle sich um eine „Orientierungsgröße“. Kreuth war immer Kulisse, vor allem aber Drohkulisse: vom Bruch unter Schwesterparteien bis hin zu „Wer betrügt, der fliegt!“. Wer zählt die markigen Sprüche, ob sie nun vorausschauend alltagspolitiktauglich waren (eher selten) oder einfach nur rausgehauen?

Seehofer nun bewegt sich seit dem CSU-Parteitag im November, als er die Kanzlerin zu deren Missfallen in der Flüchtlingsproblematik ungeschickterweise von oben herab dauerbelehrte, auf einem quasi doppelten Boden. Bayern hat sich ohne Frage als vorbildliches Willkommensland erwiesen, andererseits aber auch die ersten Ernüchterungen schon hinter sich. Und der Andrang ist ungebrochen: zwischen 3000 und 4000 Menschen kommen trotz anhaltender Kontrollen seit dem Jahreswechsel wieder über die Grenzen, und die Kommunalpolitiker liegen der CSU seit Monaten in den Ohren, dass es „so nicht weitergehen“ könne, wie Gerda Hasselfeldt wiederholt. Gleichzeitig sind sie und Seehofer sich bewusst, dass man auch nach dem Treffen mit der Kanzlerin, deren Besuch in Kreuth der CSU-Chef als „Ehre“ betrachtet, weil er die „Bedeutung der CSU“ unterstreiche, „keine neue Flüchtlingspolitik“ zustande bringen werde. Wem also nützt das Gehakel, wo man doch zusammen regiert, wobei es ja bleiben soll? Im Zweifel Seehofer, der immer sagen kann, wenn die Probleme noch größer werden, er hab es ja gesagt.

Die Ereignisse in Köln blendet Seehofer vorerst aus

Erfolgreiche Politik, doziert Seehofer weiter vor dem Tagungsgebäude, werde „nun mal nur an der Realität“ gemessen. Wenn man die Realitäten gerade aber nicht ändern kann – weil die europäischen Partner größtenteils nicht mitspielen und die Kanzlerin gänzlich anderer Meinung ist –, reicht der CSU in diesen Tagen auch die übergeordnete Symbolik. Angela Merkel ist da (keine Selbstverständlichkeit nach den Parteitagsszenen), man redet, die CSU lehnt sich aus dem Fenster, vor dem die AfD protestiert, und die Regierungschefin schaut zu. Die Zeit und die Umstände arbeiten dabei eher in Seehofers Richtung, der sich gleichwohl sorgsam hütet, die Ereignisse von Köln in einen ursächlichen Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik zu bringen. Von „Ausweisung“ der mutmaßlichen Straftäter, so man sie dingfest machen könne, redet in Kreuth nur der Generalsekretär Andreas Scheuer, während der Parteichef sich der Unentbehrlichkeit der CSU in der Union widmet.

Man brauche, sagt Seehofer, nun mal ihn und die Seinen, „um einen Kanzler zu stellen“, weswegen die CSU der Schwesterpartei nicht nur „gut“ (Gerda Hasselfeldt), sondern eben „sehr gut“ (Seehofer) tue. Es reißt in diesem Moment der ansonsten sich bedeckt zeigende Kreuther Himmel auf, und Seehofer darf, mit einem Blinzeln sagen: „Die Sonne steht über uns!“