Die CSU hat einen Europa-Wahlkämpfer der ganz besonderen Art: der allzeit-unbequeme und unberechenbare Peter Gauweiler. Seine Mission ist klar. Er sammelt als Querkopf an den Rändern für die CSU ein, was an Wählern vielleicht verloren geht.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - War’n jetzt Sie schon mal hier?“, fragt Peter Gauweiler ins Publikum in der Gaszählerwerkstatt München-Moosach hinein. Freitagabend an der Peripherie, und es geht um Europa. Achtzig Mal Kopfschütteln. „I aa ned“, sagt Gauweiler, und verfällt in dieses leicht singende Münchnerisch, das man nicht mehr so häufig hört in der Stadt, ein eigener Dialekt, weniger krachert. Mehr so ein Isarwellenmurmeln. Gauweiler schaut hoch ins denkmalgeschützte Gebälk und schürzt die Lippen unterm Silberschnurrbart. Doch, Respekt, schöner Saal, diese ehemalige Montagehalle der Stadtwerke von 1906. Dass sie unter „Eventlocations“ für Firmenfeste rubriziert wird, sagt man Gauweiler lieber nicht. Denglish kann er nicht ausstehen. Und in Brüssel, er kann das emphatisch vorrechnen, sei der Status, den das Deutsche als Sprache habe, „absurd“.

 

Peter Gauweiler könnte viel erzählen und er erzählt auch viel. Von seiner Schwester, die im Münchner Norden gewohnt hat, bevor sie heiratete, vom Vater, der nach dem Krieg mit den Kindern hier entlang ging und die Gaskessel bewunderte. „Die alten Münchner wissen das“, sagt der alte Münchner Gauweiler, und hat in wenigen Minuten mehr interessierte Menschen hinter sich versammelt als manch anderer Politiker in ein paar Phrasenjahren. Das ist Gauweilers Mission. Er sammelt als Querkopf an den Rändern für die CSU ein, was an Wählern vielleicht verloren ginge. Also zur AfD. Oder nicht wählen.

Gauweiler kann mehr als nur Dschingderassabumm

In gewisser Hinsicht arbeitet der Redner Gauweiler seit einiger Zeit ähnlich wie die venezolanische Pianistin Gabriela Montero bei den Zugaben. Dann dürfen die Leute im Publikum aufstehen und einen Titel sagen, oder eine Melodie summen. Montero improvisiert dann Minuten darüber, um am Ende wieder zum Thema zu kommen. Gauweiler spielt sich die Gedanken allerdings selber zu, aber er ahnt auch, was das Auditorium beschäftigt. In Moosach sieht er sich Besuch gegenüber, dem man jetzt wahrscheinlich auch mehrheitlich ein Streichquartett, vorzugsweise 18. Jahrhundert, zumuten könnte. Gauweiler weiß, was zu tun ist: „Heute also mal Kammerton“, sagt er, „gut, kein Dschingderassabumm.“ Obwohl er auch Dschingderassabumm kann, man braucht nur an den heurigen Politischen Aschermittwoch in Passau denken, wo Gauweiler die Vorgruppe für den CSU-Parteivorsitzenden Horst Seehofer sein sollte, am Ende aber den Hauptteil der Show bestritt. Seitdem ist Gauweiler noch einmal im Frühling.

Oder an letzte Woche, als er erhebliches Dschingderassabum nicht zuletzt in der eigenen Partei auslöste, weil er fand, die deutsche OSZE-Mission in der Ukraine sei „überflüssig“ – und dann, via „Spiegel“-Interview nicht mehr zu schimpfen aufhörte. Dem Vernehmen nach war die Kanzlerin Angela Merkel relativ sauer und die Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt (MdB ist Gauweiler seit 2002) ziemlich entsetzt. Horst Seehofer indes redete sich damit heraus, Gauweilers Meinung sei lediglich seine „persönliche“. Was zeigte, dass selbst Seehofer, der ja sehr persönliche Meinungen pflegt, Gauweiler bis heute nicht immer ganz versteht. Dabei ist das ganz einfach: Gauweiler sagt immer seine persönliche Meinung. Und dann ist es auch wieder gut. Für ihn.

Vor Jahren zum Beispiel war er wirklich vehement gegen die so genannte Wehrmachtsausstellung in München, die dann eröffnet wurde vom Oberbürgermeister Christian Ude, SPD. Später fingen die beiden an, sich im Münchner „Merkur“ wöchentlich Briefe zu schreiben. Das geht bis heute: „Lieber Christian“, „Lieber Peter“. Gegen die SPD hat Gauweiler im Kern nichts, solange er einen Funken Freigeist spürt auf der anderen Seite, Freigeist, wie er ihn versteht. Sein Studium hat er beim Juristen Wilhelm Hoegner begonnen, dem ersten (und einzigen) sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in Bayern, und er verehrt Hoegner noch heute.

Der Mann mit den Eichhörnchenaugen

Gauweiler, der Mann mit den Eichhörnchenaugen und den weichen Gesichtszügen, ist aus hartem Holz geschnitzt: als einziger seiner Fraktion (und mit der Linken) stimmte er gegen die Privatisierung der Wasserversorgung, später – ziemlich allein auf weiter Bundestagsflur – gegen Rettungsschirme, den Lissabon-Vertrag, den Fiskalpakt und noch so allerhand. Am Ende klagte der Jurist Gauweiler, der zum gelegentlichen Missfallen seiner Bundestagskollegen eine gut gehende Kanzlei in München unterhält und bei Hochbetrieb auch mal eine Sitzung im Reichstag ausfallen lässt, in den meisten Fällen bis hin zum Bundesverfassungsgericht.

Er hat dadurch nichts außer Kraft gesetzt, wohl aber Energie aus seiner Rolle als Mann im Widerstand gezogen. So viel, dass Seehofer dachte, den ehemaligen Stadtrat und bayerischen Landesminister doch noch einmal in Verantwortung brauchen zu können. Sozusagen als Sonderbotschafter, ein bisschen undercover. Dass dies funktionieren könnte, signalisierte der Zuspruch, den Gauweiler beim Parteitag in Nürnberg 2011 erhielt, wo er nach ein paar rhetorischen Improvisationen, mit denen er den europakritischen Nerv der CSU traf, fast den damaligen Verkehrsminister Peter Ramsauer aus dem Vorstand gekegelt hätte. Erschrocken hielten die regionalen Oberbayern um Ilse Aigner nochmal zusammen. Gauweiler scheint etlichen in der CSU bis heute nicht geheuer. Schwer einzuordnen, wenn nicht unberechenbar, Einzelkämpfer. Trotzdem ist Gauweiler seit letztem Jahr wieder einer der stellvertretenden Vorsitzenden – und als Repräsentant mit besonderen Aufgaben unterwegs, obwohl er mit Europa nicht viel zu tun hat.

Ein bisschen in Blickrichtung der AfD-Klientel

Er selbst sieht sich kokett als „alten Nörgler“, und ein bisschen was ist dran, wenn er an der Seite des gebürtigen Sudeten Wilfried Scharnagl, ehemals Chefredakteur des „Bayernkurier“ in die Arena geht. Scharnagl hat ein Buch über Brüssel geschrieben, und er paraphrasiert den Inhalt auf Tournee in Kurhallen, fränkischen Schlössern, Tegernseer Lounges oder eben in Moosach ein bisschen in Blickrichtung der AfD-Klientel, wenn er Urteile und Vorurteile zu Europa bis hin zur Glühbirnenverordnung beleuchtet. Allerdings betont Scharnagl, ein entschiedener, höflicher Mann alter Schule, immer mit Einstecktuch, ausdrücklich zu Anfang, gegen Europa könne „nur ein Narr sein“. Und dann geht es nur noch um die CSU.

Der Beifall für Gauweiler spricht Bände

Je öfter Scharnagl CSU sagt, desto mehr fällt natürlich auf, dass Gauweiler im Folgenden eigentlich nie CSU sagt, eine Stunde lang nicht. Aber darauf kommt es vielleicht auch nicht an. Es ist, im Gegenteil, womöglich sogar wichtig, dass der Parteijargon einfach mal draußen bleibt, so lange Gauweiler Themen virtuos variiert: von der städtebaulichen Leistung beim Untergraben des Münchner Luise-Kiesselbach-Platzes bis hin zum Weisheitsvorrat des Bischofs von Canterbury ist es dabei nur ein kleiner Schritt. Wer Gauweiler zuhört, denkt sich (bei einer vorhandenen Grundsympathie für die CSU) wahrscheinlich: Oha, so einen haben Sie also auch noch! Der Beifall spricht Bände. Am Ende weiß keiner, wie viele Prozentpunkte so gesammelt werden, aber zumindest erweckt Gauweiler den Anschein, als würde nicht nur taktiert in der CSU, sondern auch wirklich was gedacht. Er thematisiert das Problem im Übrigen selber: als die Rede auf den ein wenig kümmerlichen geratenen 12-Punkte-Plan der Partei zu Europa kommt, sagt Gauweiler mit Bedauern in der Stimme: „Geschrieben ohne großes theoretisches Gedöns, das ist ja unsere Schwäche.“ Generalpause. „Manche sagen, unsere Stärke.“ Kein Zweifel aber auch bei ihm, dass er die alte Idee von Europa schätzt (im Sinne von Franz Josef Strauß, es geht nie ohne Strauß! Andererseits: mit Strauß sammelt man auch immer Punkte). Was Gauweiler fürchtet, sagt er hingegen mit Max Weber: „das stahlharte Gewölbe der Bürokratie über Europa“. Wer fürchtete es nicht?

Im Festtagsjanker in der ersten Reihe

Tags drauf, beim kleinen Parteitag der CSU in der Nürnberger Frankenhalle, der nur noch dem flüchtig-entschiedenen Abnicken des „Europlans“ dient, sitzt Gauweiler im Festtagsjanker in der ersten Reihe, wird aber selbstredend nicht zu einer der Talkereien mit Europaabgeordneten auf die Bühne geholt. So mutig ist die CSU dann wieder nicht. Gauweiler als Stimmenfänger beim wackeligen Bürgertum geht, Gauweiler beim Friede-Freude-Eierkuchen-Konvent weniger. Als er dann doch persönlich auf der Leinwand in einem Spot redet, wird es fast unheimlich still. Aber Gauweiler ist brav. Er sagt nur, dass Europa weder Bahnhofshalle noch Wühltisch sein dürfe, und dass es auf die kulturellen Unterschiede ankäme.

Als der Parteitag in Nürnberg schon lange vorbei ist und die Helfer die Halle fegen, hocken vorn noch drei Männer zusammen und strecken die Beine von sich. Die CSU steht vor der vierten Wahl in diesem Jahr, und bis auf die im Kommunalen, die man so oder so sehen kann, hat sie ordentlich abgeräumt. „Wir sind wieder da“, sagt der Vorsitzende gerne. Horst Seehofer, der auch schon mal fast raus aus dem Betrieb war, als er sich gerade noch so zum Chef beim VdK rettete, sitzt zwischen Alfred Sauter und Peter Gauweiler. Drei Außenseiter, genau betrachtet. Sauter wurde, wie Gauweiler zehn Jahre zuvor, von Edmund Stoiber als Minister entlassen. Stoiber ist CSU-Geschichte mit etwas Edelrost. Sauter hingegen ist integraler Bestandteil an der Spitze der Fraktion. Seehofer ist Seehofer. Und Peter Gauweiler, der Allzeit-Unbequeme, ein Evangele mit altkatholischer Priestergestik beim Reden, erzählt eine Anekdote, jedenfalls wirkt es so, wenn man aus zwanzig Meter Entfernung auf das Trio schaut. Am Ende lachen alle drei. In der bayerischen CSU ist in diesem Jahr, trotz Großer Koalition im Bund, auch schon zwei Wochen vor der Europawahl mehr als eine Rechnung aufgegangen.