Der Stuttgarter Eckart Seith und zwei Whistleblower müssen sich von diesem Dienstag an vor einem Schweizer Gericht wegen des Vorwurfs des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes verantworten. Der Anwalt des Drogerieunternehmers Erwin Müller ahnt ein politisches Urteil voraus.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart/Zürich - Es sei möglich, sagt der Rechtsanwalt Eckart Seith, dass sein Prozesserfolg gegen die Schweizer Privatbank Sarasin im Namen des Drogerieunternehmers Erwin Müller in Teilen der Schweizer Justiz als „Erniedrigung“ eines ganzen Bankenplatzes wahrgenommen wurde. Und dass es deshalb vor dem Bezirksgericht Zürich nun zur Abrechnung kommen solle, zur Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe – eine Warnung zugleich an plauderfreudige Mitarbeiter in anderen Schweizer Geldinstituten. Seith fürchtet das Schlimmste. „Uns stünde der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte offen. Das ist der Weg, von dem ich ausgehe, dass ich ihn gehen muss.“

 

Der wuchtigste Anklagevorwurf gegen den Stuttgarter, erhoben von der Staatsanwaltschaft Zürich und verbunden mit der Forderung nach einer dreieinhalbjährigen Gefängnisstrafe, lautet auf „wirtschaftlichen Nachrichtendienst“ in einem „schweren Fall“. Nur mit illegal beschafften internen Bankdokumenten sei es gelungen, so die Ankläger, im Mai 2017 vor dem Landgericht Ulm für Erwin Müller 45 Millionen Euro zurückzuerkämpfen – mit Zinsen letztlich 56 Millionen. Diesen Betrag hatte Müller der Sarasin-Bank im Jahr 2010 zur Vermehrung anvertraut. Das Geld, von der Bank an den Luxemburger Sheridan Fund weitergeleitet, verschwand im Strudel von Cum-Ex-Geschäften, über deren Art und Risiken Müller nie aufgeklärt worden war. Das Ulmer Urteil auf Schadenersatz ist im September 2018 vom Oberlandesgericht Stuttgart bestätigt worden.

Vielsagende Freshfields-Papiere

Mit Anwalt Seith sind die beiden Deutschen Volker S., von 2009 bis 2014 bei der Sarasin Bank angestellt als „Head Legal & Compliance, Products & Services“, sowie der damalige Bankkundenberater Bernhard V. der Spionage angeklagt. Auch sie sollen länger als drei Jahre ins Gefängnis. Die beiden Banker sollen zu Seith Kontakt aufgenommen haben, um mit vertraulichen Unterlagen Kasse zu machen. Vor allem ging es um juristische und steuerliche Gutachten der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, aus denen hervorging, dass die Sarasin-Bank früh gewusst haben muss, dass Cum-Ex-Geschäfte, bei denen eine einmal abgeführte Kapitalertragsteuer auf Aktiengeschäfte über Jahre hinweg mehrfach vom deutschen Fiskus zurückgefordert wurde, mit hoher Wahrscheinlichkeit illegal waren. Eine Niederlage vor deutschen Gerichten, legten die Freshfields-Papiere zudem nahe, sei wohl auch wegen der Falschberatung Müllers nicht zu verhindern. Unter anderem war dem Unternehmer in Ulm durch Sarasin-Berater vorgegaukelt worden, seine Millioneneinlage sei durch eine Allianz-Versicherung vor Verlust geschützt.

Für die Züricher Staatsanwaltschaft sind die brisanten Gutachten, wie sie schreibt, im Kern nicht mehr als „unzählige persönliche Annahmen, Wertungen, Subsumptionen und Abschätzungen“. Im Gegenzug sollen aber die drei Angeklagten einen konkreten erpresserischen Plan verfolgt haben. Sie hätten „in gleich massgeblichem, arbeitsteiligem Zusammenwirken bei der Tatausführung“ gehandelt, steht in der Anklageschrift. Durch Seiths Vermittlung hätten die Bankmitarbeiter erfahren, „Erwin Müller sei bereit, eine Partizipation von 1 Prozent am Prozesserlös zu zahlen“. Das Geld hätte zwischen S. und V. geteilt werden sollen. Seith bestreitet nicht, dass über eine Belohnung für die vertraulichen Papiere geredet wurde. Das halte er für in Ordnung.

Ein Geständnis während der Beugehaft

Die Staatsanwaltschaft Zürich stützt sich auch auf ein Geständnis des Volker S. im Sinn der Anklage, abgelegt im Zuge einer mehrmonatigen Untersuchungshaft, während die Familie des Verdächtigen bis zu ihrer Ausweisung nach Deutschland ohne Einkommen zu leben hatte. Zum verdeckten Bandenplan will allerdings nicht recht passen, dass Jurist Seith die brisanten Bankpapiere im August 2013 zum Zweck der Strafverfolgung erst an die in Bonn beheimatete Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) sandte und dann auch an die Staatsanwaltschaft Zürich. Doch die Züricher Ankläger, die den Spieß bald umdrehen sollten, präsentieren jetzt beim Bezirksgericht eine passende Erklärung. Seith, wird postuliert, habe nur deswegen Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden erstattet, „um den Druck auf die Bank Sarasin und deren Vertreter zu erhöhen, wodurch unter anderem die Wahrscheinlichkeit eines Vergleichs mit der Bank Sarasin erhöht wurde“.

Seit Monaten bereitet Erwin Müllers Anwalt seine Verteidigung vor. Dazu gehört ein Auftragsgutachten zum Fall, verfasst von Mark Pieth, Professor für Strafrecht an der Universität Basel, Ingeborg Zerbes, Professorin für Strafrecht an der Uni Bremen, und Anton Schnyder, emeritierter Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Uni Zürich. Zu den Kernsätzen des 52-seitigen Gutachtens gehört, dass Papiere, die einen Wirtschaftsbetrug aufdecken, keinen staatlichen Geheimnischarakter haben können. Dies, so die Gutachter, „käme hinsichtlich dieser Papiere nur infrage, wenn der Schweizer Staat ein eigenständiges Interesse an ihrer Abschirmung hätte. Das ist allerdings auszuschließen: Der Schweiz ist es kein Anliegen, Schweizer Banken vor einer (zivil-)gerichtlichen Aufarbeitung ihrer allfälligen Beratungsfehler zu schützen.“

Der Züricher Richter legt auf weitere Zeugen keinen Wert

Seith hat nicht vor, im Prozess klein beizugeben. Er werde laut fragen, kündigt er an, ob die Anklage gegen ihn bedeuten solle, „dass das Schweizer Recht der Bank Sarasin das Privileg gibt, ihre ausländischen Bankkunden mit falschen Angaben betrügerisch um Millionen zu schädigen“. Und er wird mit Verweis auf die Freshfield-Papiere wissen wollen: „Weist die Schweizer Rechtsordnung das Dispositionsrecht über Beweismittel der organisierten Kriminalität ausschließlich den Tätern zu – und schließt sie die Tatopfer davon aus?“

Das Bezirksgericht Zürich plant offenbar einen kurzen Prozess. Zeugen, heißt es auf Anfrage, seien nicht geladen. Damit treten weder Verantwortliche der Sarasin-Bank noch Polizeiermittler, noch andere deutsche, durch den Sheridan Fund geschädigte Anleger auf. Schon am Donnerstag, so sieht es der Prozessplan vor, könnte ein Urteil fallen. Nur eines müssen Seith und seine Mitangeklagten derzeit wohl nicht fürchten: dass nach dem Richterspruch gleich die Handschellen klicken könnten. „Den Beschuldigten wurde von unserem Gericht freies Geleit zugesichert“, teilt eine Sprecherin mit.