Das SWR Symphonieorchester unter Teodor Currentzis hat im Stuttgarter Beethovensaal Werke von Crumb und Mahler interpretiert.

Stuttgart - Seinen Kopf umwolkt feines dunkles Haar, das immer ein bisschen elektrisiert absteht. Der dünne, große Mann in Schwarz bevorzugt eine dem Orchester zugewandte Schräglage. Die langen Arme dirigieren Emotionen, Spannungen und Lösungen, die Mimik tut ihr übriges. Wenn der Chefdirigent Teodor Currentzis am Pult steht, sind die Konzerte des SWR Symphonieorchesters immer ausverkauft. Die Menschen dürsten offenbar danach: Aus der Wiederholungsschleifenprogrammatik der Klassikkultur für kurze Zeit hinausgeschleudert und ein bisschen überrascht zu werden. Das kann Currentzis. Dabei geht er mit Bedacht vor, und er hat hörbar zeitaufwendig geprobt.

 

Ein großer Unbekannter

So verfinstert sich der Beethovensaal zu Beginn des Konzerts, nur auf der Bühne leuchten ein paar Lämpchen. Lediglich sieben Mitglieder des Orchesters betreten die Szene. Denn der Liederzyklus „Ancient voices of Children“ von George Crumb – Vertonungen von Lyrik des spanischen, 1936 von Faschisten ermordeten Dichters Federico Garcia Lorca – ist ein Werk für kleines Ensemble. Eine zerbrechliche Klangwelt tut sich auf: aus Stille, düsteren Klangwolken, Oboenmelancholie, nervösem Schlagwerk, klirrenden Harfenzupfern und der Sopranstimme von Sophia Burgos, die, flankiert vom Knabensopran Johannes Rempp, zunächst in den Flügel hineinsingt.

Geisterhaft hallen die Saiten zurück. Später erhebt sie ihre Stimme exaltiert zur berührenden Anklage. Es geht um verlorene Kindheiten, um frühe Tode. Bilder von kriegsverstörten und verletzten Kindern werden an die Betonwand des Beethovensaals gebeamt.

Ein ungeheuerlicher Großer

Ein größtmöglicher Kontrast zur vierten Sinfonie Gustav Mahlers: Die ungeheure Spannung und Konzentration, die nötig ist, um Crumbs Klangwelt zusammenzuhalten, überträgt sich nun auf den schier unendlich weiten Mahler-Kosmos. Phänomenal, wie tiefenscharf das Klangbild ist, wie es Currentzis im Stuttgarter Beethovensaal gelingt, das Riesenorchester nicht nur zum engagierten Spielen zu bringen, sondern tatsächlich zur Darstellung.

Mahlers Welt giert nach der genauen, theatralen Formung. Schauspielerei auf höchstem Niveau bieten da etwa der Klarinettist Sebastian Manz, der für die intellektuellen, bissig-ironischen Kommentare zuständig ist, oder der Oboist Philippe Tondre, der für seelenvolle, tief empfindende Herzensergießungen sorgt.

Solch plastische Darstellung gelingt dann auch der Sopranistin Christina Gansch im Finale des Konzerts, im „Wunderhorn“-Lied von den „Himmlischen Freuden“. Das geht unter die Haut: diese intensiven, unmittelbar wirkenden unterschiedlichen Stimmfarben, mit denen Gansch Ironie, Erschrecken, Naivität gleichermaßen zu differenzieren weiß und jene Brüchigkeit und Widersprüchlichkeit menschlicher Existenz zum Ausdruck bringt, von denen alle Mahler-Sinfonien handeln.