Beleidigungen auf Nachrichtenplattformen, Hassgruppen auf Facebook und Nacktbilder im Netz – was Jugendliche sich gegenseitig im Internet antun, kann Existenzen zerstören. Den meisten ist nicht bewusst, dass sie Straftaten begehen.

Berlin - „Du stinkst.“ „Du siehst heute echt beschissen aus.“ „Ich bekomme Augenkrebs, wenn ich dein Bild sehe.“ Bereits nach ein paar Klicks auf der sozialen Plattform ask.fm hat der Besucher eine Handvoll Beleidigungen gelesen – und das waren nur die halbwegs zitierfähigen. Auf dem Online-Portal kann man anonym Fragen an die registrierten Benutzer stellen. Mit 3,4 Millionen Besuchern in Deutschland ist ask.fm auf Platz 6 der beliebtesten sozialen Netzwerke. In England geriet das Portal im vergangenen Monat in die Schlagzeilen, weil eine 14-jährige, dort registrierte Schülerin sich das Leben nahm und der Vater Cybermobbing als Grund vermutete. Ein Kongress in Berlin befasste sich am Mittwoch mit dem Phänomen.

 

„Die Opfer von Cybermobbing leiden psychosomatisch darunter“, sagt Melanie Wegel, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Zürich. Bauch- und Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Fehlzeiten in der Schule seien die Folge. Besonders verbreitete Formen von Cybermobbing seien Lügen und Lästereien, die über die Nachrichtenplattform WhatsApp oder per Internettelefonie Skype verschickt werden. Das Smartphone macht es möglich: Jeder zweite Jugendliche in Deutschland im Alter von zwölf bis 19 Jahren hat ein internetfähiges Telefon.

Die Folgen sind für die Opfer verheerend

Die besonders öffentlichkeitswirksame Mobbingmethode, peinliche Bilder und Videos ins Netz zu stellen, komme laut Wesel dagegen eher selten vor. Die Folgen für das Opfer sind dann aber verheerender: Der bekannteste Fall ereignete sich in Kanada. Von der Schülerin Amanda Todd gelangte ein Foto mit entblößtem Oberkörper ins Netz. Dafür wurde sie jahrelang gehänselt. Sie wechselte mehrmals die Schule, mit 15 Jahren nahm sie sich dann 2012 das Leben. Ein Video von ihr wurde weltweit zum Symbol gegen Cybermobbing.

So weit ist es in Deutschland bisher nicht gekommen. Aber auch hierzulande waren je nach Studie zwischen 15 und 33 Prozent der Jugendlichen schon einmal mit Cybermobbing konfrontiert, sei es als Täter oder als Opfer. Doch Cybermobbing ist nicht nur die Fortsetzung des Mobbings im virtuellen Raum, es wirft mehr Probleme auf als sein analoges Pendant – juristisch, pädagogisch, gesellschaftlich. Da ist zum einen seine Vielfältigkeit: Flamen, Haten, Happy Slapping oder Nacktbilder verflossener Liebschaften posten – im Grunde bedeuten sie alle eins: absichtliches, dauerhaftes Fertigmachen einer Person durch viele und die Perspektivlosigkeit des Opfers, dass diese Belastung je wieder aufhört.

Das Internet vergisst nicht und man kann ihm nicht ausweichen

Die ist beim Mobbing im Web noch größer als beim herkömmlichen, denn das Internet vergisst nicht, und ausweichen kann man ihm auch nicht. „Wer früher gemobbt wurde, hatte wenigstens zu Hause Ruhe“, sagt Günther Bubenitschek, Kriminalhauptkommissar in Heidelberg und Geschäftsführer des Vereins Prävention Rhein-Neckar. Dem Sog von Facebook, Smartphones und Co. könne man sich als Jugendlicher heute aber nicht entziehen. „Wer das nicht hat, ist ohnehin ausgegrenzt.“ Dazu komme ein „Online-Enthemmungseffekt“. In der scheinbaren Anonymität des Internets traue man sich eher, den anderen zu beleidigen oder bloßzustellen.

Auf ihr Fehlverhalten angesprochen, käme von vielen Jugendlichen der Satz „Das war doch nur Spaß“. Für Bubenitschek der Hinweis, dass es hier an Unrechtsbewusstsein fehlt. Hier seien die Pädagogen gefragt, denn Medienkompetenz sei die beste Prävention. Die Polizei trete erst auf den Plan, „wenn es schon zu spät ist“, sagt der Kriminalexperte. „Wir sind quasi der Blauhelm-Einsatz: Wir sorgen dafür, dass es aufhört und schauen dann, dass es besser wird.“ So könne nach richterlichem Beschluss das Smartphone des Täters als Beweismittel eingezogen werden. „Das ist das Schlimmste für die Täter“, sagt Bubenitschek. Viele von ihnen seien unter 14 Jahren und damit noch nicht strafmündig.

Die Schamgrenze bei den Opfern ist sehr groß

Mobbing selbst ist keine Straftat – Beleidigung, üble Nachrede oder die Verletzung der Persönlichkeitsrechte hingegen schon. Auf Cybermobbing-Fälle spezialisiert hat sich Anwalt Jan Morgenstern aus Speyer. „Das ist in den vergangenen Jahren mehr geworden“, sagt er. Die Opfer fühlten sich isoliert, wollten die Schule nicht mehr besuchen oder wegziehen. „Aber Weglaufen hat im Internet keinen Sinn. Da wird virtuell richtig nachgetreten.“

Die Schamgrenze, sich zu melden, sei bei den Opfern sehr groß. Dabei sei es besonders wichtig, schnell auf die Attacken zu reagieren, denn eine einstweilige Verfügung, die bloßstellenden Inhalte zu löschen, könne gegen den Betreiber eines sozialen Netzwerks nur erwirkt werden, wenn das Gericht eine Dringlichkeit anerkennt. Für den Prozess bedeute das „einen Unterschied von Tagen oder Jahren“. Die meisten Fälle würden aber außergerichtlich per Unterlassungserklärung gelöst. „Allein dass ein Anwalt eingeschaltet wird, bewirkt bei den Tätern schon einen Aha-Effekt.“