Das Leben von Cyrus Ghanai spielt sich oft auf Baustellen ab. „Hier hatten wir einen Wasserschaden“, sagt der 58-Jährige und zeigt an die Decke. Er steht im neuen Ableger des Shobu in der denkmalgeschützten Calwer Passage, die im Oktober neu eröffnen soll. Ausschließlich Handwerker, Architekten und neue Mieter dürfen hinter das Gitter. Ein erster, neugieriger Blick geht natürlich nach oben, die begrünte Fassade ist jetzt schon ein Hingucker, sorgt auf diversen sozialen Bilderkanälen für viele virtuelle Herzchen. Der erste Mieter, die angesagte Hipster-Bäckerei-Kette Zeit für Brot, hat schon geöffnet. Und während man in Berlin sehr lange Schlange stehen muss für die zu Recht sehr beliebten Backwaren, ist hier in der Stadtmitte wenig los. Aber es ist eben auch noch eine vielversprechende Baustelle.
Ein Besuch auf der Baustelle
Wo interimsmäßig das Cape Collins beheimatet war, wird der Feinkost-Böhm eine kleine Filiale mit Tagesbar eröffnen. In die Passage werden unter anderem kleine Interior-Läden, ein skandinavischer Klamottenshop, eine Sushibar vom Origami-Restaurant und eben ein Deli der Shobubar, die im Gerber beheimatet ist, einziehen.
„Hier erkennt man schon das Konzept der zwei Hälften“, sagt Ghanai, es soll auf der einen Seite Poke – eine Art Fischsalat, der ursprünglich aus Hawaii stammt – geben, auf der anderen funktioniert das Lokal als modernes Deli. Ghanai arbeitet mit zwei Farbgebungen, mit Rot- und Grüntönen. Der Wasserschaden konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen. „Das passiert eben“, so Ghanai. Er ist es gewohnt, auf Baustellen flexibel zu reagieren, arbeitet sich an Denkmalschutzregeln, Brandschutzvorschriften oder anstrengenden Auftraggebern ab.
Das meiste Geld verdient er mit Privathäusern
Die Hauptarbeit findet aber mit anderen Kunden statt: Derzeit richtet er drei große Privathäuser ein. Das mache um die 80 Prozent seines Umsatzes aus, der Rest setzt sich aus ganz unterschiedlichen Projekten zusammen: mal ein Friseurgeschäft, die Gastronomie, die ihm am Herzen liegt, und inzwischen auch mobile Bauten wie etwa das Festzelt des Göckelesmaier auf dem Wasen oder die Weindorf-Laube Zum Zullo.
Die Gastronomie spielte schon früh eine Rolle in Ghanais Leben. 1986 kommt der Sohn iranischer Eltern – mit Schreinerausbildung im Gepäck – von Leverkusen nach Stuttgart, um bei einem Restaurator zu arbeiten, dann an der Fachhochschule Innenarchitektur zu studieren, und fängt währenddessen als Türsteher im Perkins Park an. Er arbeitet im Muhammed Ali in der Schlossstraße an der Theke, wirkt am Konzept der „36 Kammern der Shaolin“ von Thomas Labusch mit. Seine erste Gastronomie, die von ihm erdacht wurde, war die Rote Kapelle am Feuersee. Aber eigentlich spezialisierte sich Ghanai nach dem Studium viele Jahre auf Badplanung. „Das ist heute immer noch mein Brot-und-Butter-Geschäft“, so Ghanai, der immer mehr auch komplette Interieur-Planung bei Privathäusern übernimmt. „Das macht mir nach wie vor wahnsinnig viel Freude.“
Lokale sind seine Visitenkarte
Cyrus Ghanai kennt viele Entscheider der Stadt, mit den einen spielt er Fußball, mit den anderen geht er aus. Seine Arbeit lebt vor allem von den Läden, die er gestaltet hat. Die sind seine Visitenkarte. Und die gastronomische Vita liest sich mittlerweile beachtlich: Hegel 1, das grau-rote Schmuckstück Italo Disco im Stuttgarter Westen, die Kaffeebar Lang, das BRT, die Sandwichbar San’s, das Akeno in Ludwigsburg, den Club People, das Natan von Stelp, die Alte Kanzlei und auch einige Lokalitäten wie die Gastronomie namens Oben und Unten im Fernsehturm, das Kaiser und Schmarrn, Woody’s, die Suppenbar Irma La Douce oder die Rizotteria in der Calwer Straße, die es mittlerweile nicht mehr gibt. Man könnte nicht sagen – „ah, ein echter Ghanai“. Kein Ort gleicht dem anderen. Nichts verabscheut er mehr als die Wiederholung. Was aber alle Lokalitäten eint, sind eine gewisse Geradlinigkeit und Detailversessenheit.
Design spielt in allen Lebensbereichen eine immer wichtigere Rolle
Restaurants und ihr Design sind einem steten Wandel unterworfen. Manche gehen mit dem Trend, manche suchen ihr Glück in bürgerlicher Spießigkeit, manche versuchen etwas Neues zu wagen. Was alle gemein haben, ist aber: Restaurants setzen immer mehr auf individuelle Innenarchitektur. Es reicht kaum mehr, wenn Wirt und Wirtin ein paar Tische und Stühle in den Raum stellen. Restaurants wollen besonders sein, auffallen und gefallen. Es ist nämlich wie überall: Design spielt in allen Lebensbereichen eine immer wichtigere Rolle. Und wer essen geht, will nicht nur auf dem Teller etwas geboten bekommen.
Was macht ein gutes Restaurant aus?
Was in den Augen von Ghanai ein gutes Restaurant ausmacht? „Das sind drei Faktoren für mich“, sagt Ghanai. „Erstens: der Look, der Standort und das Interieur. Zweiter Punkt ist der Gastgeber und der Service. Drittens natürlich die Qualität des Essens.“ Wenn ein Laden nicht gut aussehe, dann könne man bei einem tollen Wirt und gutem Essen trotzdem hingehen. Doch das Interieur könne noch so toll sein, wenn das Essen unterirdisch ist, dann kommt er nicht wieder.
Stippvisite im Classic Rock Café
Zweite Station ist das Classic Rock Café. Einer der Wirte mit dem wohlklingenden Namen David Blanco del Rio schließt die Türen auf. Wahrscheinlich erkennen selbst Stammgäste so leer die Lokalität am Börsenplatz im ehemaligen Cantina kaum wieder.
Blanco del Rio, der mit seinem Bruder Juan, unter anderem auch das Deli, das spanische Restaurant Jose y Josefina und den Schwabengarten in Leinfelden betreibt, hat zum ersten Mal mit einem Innenarchitekten zusammengearbeitet. „Da haben die Gäste dann so einen Wow-Effekt. So ein Konzept kann man als Gastronom nicht selbst entwickeln“, sagt David Rio del Blanco.
Cyrus Ghanai kann sich die gastronomischen Projekte mittlerweile aussuchen. Das Thema müsse ihn ansprechen. Sein Ansporn: „Ich will nichts Ähnliches schon mal gemacht haben“, sagt der Innenarchitekt. Und: Ist da eine Empathie vorhanden? Wie ist das Budget?
Die Discokugel ist ein riesiger Totenkopf
Ghanai erzählt, nippt an seiner Apfelschorle, was für ihn das beste Getränk der Welt ist. Als Innenarchitekt muss er alles auf null drehen. Er stellt sich Fragen wie: Von welchem Bodenbelag lassen sich Pastasoße und Pizzabelag gut entfernen? Wie sieht es mit der Dämmung aus? Wie werden die Speisen lichttechnisch perfekt in Szene gesetzt? Welche Wege legen Kellnerinnen und Kellner zurück? Ist der Blick in die Spülküche verborgen?
Beim Classic Rock Café war das große Thema über allem „Rock ’n’ Roll“. Für Ghanai sind das Materialien wie glänzendes Kupfer, schwarzer Stahl, derbes Leder. Der klassische Classic-Rock-Café-Gänger ist kein Szenehippster, will gerne feiern, die alten Lieder hören. Das muss auch der Innenarchitekt mitdenken: Die Lampen etwa können hochgefahren werden, damit sie nicht beim Feiern stören. Die Fläche von 320 Quadratmetern ist durch Podeste gegliedert, über der Bar hängen die alten Kupfertrichter, die Ghanai liebevoll „Schildkröten“ nennt, aus dem rustikalen, alten Classic Rock Café. Die Discokugel ist ein Unikat und hat die Form eines Totenkopfs, der mit 35 000 kleinen Spiegelplättchen von Hand beklebt wurde. Groß leuchten Buchstaben mit „I love Rock ’n’ Roll“ an der Wand, wenn das Joan-Jett-Lied am Abend erklingt, markiert es den Partystart. Etwas genauer muss man bei der Tapete hinschauen: in bekannten Bandschriftzügen steht da Bon Jour statt Bon Jovi oder Margarita statt Metallica. Und aus den Boxen kommt Kate Bushs „Running Up The Hill“.
„Meine größte Freude ist es, wenn die Bauherren am Ende zufrieden sind“, sagt Ghanai, der zusammen mit den Blancos gut zweieinhalb Jahre am Konzept des Classic Rock Cafés gearbeitet hat. Und es war wie immer: „Nach der Eröffnung fällt die Anspannung ab und ich in ein Loch.“
Die Gastronomie ist nicht immer einfach
Es war eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Natürlich erzählt Ghanai gerne von solchen gelungenen Projekten, bei denen am Ende alle glücklich sind. Aber es gab auch Restaurants, in denen nicht nur ein Wasserschaden aufhielt, sondern am Ende mit verschleppter Insolvenz kein Geld floss. „Es gab mehrere Momente, bei denen ich am Ende gesagt hatte, dass ich keine Gastro mehr machen will“, so Ghanai.
Ein Glück, dass es doch immer wieder anders kam – und nicht nur Privatmenschen die Ideen von ihm bestaunen können. 2009 war es, als er anfing, das Zelt vom Göckelesmaier umzugestalten, immer wieder etwas verändert. Um heute sagen zu können, dass es so gut wie fertig sei.
Auch dem Thema Festzelt nahm er sich an
Natürlich wurde Ghanai zuerst belächelt, wie er sich um ein Festzelt kümmern könnte. Er konnte und entstaubte es gewaltig. Am Ende zählen immer die Zahlen – und mit dem ansprechenden Design kommen die entsprechenden Gäste: da wird dann in der Loge eben kein Wein, sondern Champagner bestellt. „Innenarchitektur kann da viel mehr bewegen, als man denkt“, so Ghanai. Auch auf dem Weindorf hat er mit der Laube Zum Zullo Akzente gesetzt: „Natürlich ist der Aufwand mit einem Innenarchitekten größer“, so Ghanai. „Wer einen Sinn für Design hat, kann das vielleicht schon selbst machen.“
Doch auf einiges kommt der Laie natürlich nicht. Auf gewobenes PVC etwa als Bodenbelag. Diese 50 mal 50 Zentimeter großen Platten hat er in der Augustenstraße im Italo Disco verwendet. Das sieht natürlich sehr cool aus, aber er ist so robust, dass sich Pizzakäse und Tomatensoße mit der Bürste gut entfernen lassen.