Das Trio Czichowsky, Petrocca & Kühn hat im Theaterhaus in Stuttgart mit Stimmakrobatik und leichtfüßigem Gitarrenjazz für einen entspannten Sommerabend gesorgt. Wer nicht dabei war, hat etwas verpasst.

Stuttgart - Nicht jede Jazzsängerin liebt das Scatten. Der nicht wortgebundene Improvisationsgesang rückt die eigene Persönlichkeit voll ins Zentrum des Geschehens, lässt keinen Platz, um sich hinter der Melodie, dem Text einer Komposition zu verstecken – diese auf explizite Selbstdarstellung ausgerichtete Gangart schätzt nicht jeder Künstler. Anne Czichowsky hingegen ist bei dieser Disziplin voll in ihrem Element.

 

Die Freude am spontanen Spiel mit den Vokalen, die Lust des Jonglieren mit Tönen ist das bestimmende Element ihrer Kunst. Das Scatten machte sie zur Gewinnerin zahlreicher Gesangswettbewerbe und 2011 zur Jazzpreisträgerin des Landes Baden-Württemberg, und natürlich prägt diese Gesangstechnik am Samstagabend auch ihren Auftritt im Innenhof des Theaterhauses: kaum ein Song, den sich nicht dazu nutzen würde, um lustvoll und nonverbal die Tonleiter hinauf und hinunter zu turnen.

Anne Czichowsky kommt aus der Schweiz

Sie indes nur auf vokale Akrobatik zu reduzieren, würde der im schweizerischen Schaffhausen geborenen Sängerin nicht gerecht werden. Souverän meistert sie im Theaterhaus beispielsweise die Vocalise „Jackie“ – eine Komposition, bei der man sich wundert, wo sie ob der endlosen Wortkaskaden eigentlich die Luft zum Atmen herholt.

Zudem kann Czichowsky ihr Timbre voluminös klingen lassen, im nächsten Takt aber auch spielerisch leicht verschlanken. Und sie bringt ihr Repertoire mit nicht zu viel Tremolo und nicht zu wenig Humor auf die Bühne – die leichte Muse klingt bei ihr, wie sie sein soll: heiter, unangestrengt, ein wenig melancholisch, aber nie zu schwermütig. Im Theaterhaus hat sie mit dem Gitarristen Lorenzo Petrocca und dem Bassisten Axel Kühn die idealen Partner für einen entspannten Sommerabend an ihrer Seite.

Der Gitarrist boxte früher

Petrocca, gebürtiger Italiener, war einmal Boxer; heute ist er ein Ästhet an der Gitarre, ein Feingeist, der romantisch-elegante Linien spielt, dessen Töne quecksilbrig von den Saiten tropfen und der einem Wes Montgomery gründlich auf die Finger geschaut hat.

Dieser sanftmütigen Gangart schließt sich auch Axel Kühn an. Das Bass-As aus Tübingen ist ein uneitler, zurückhaltender Begleiter, der seinen Kontrabass mangels Raum für kühne Attacken meist leichtfüßig swingen und gemütlich brummeln lässt – und dennoch kleine Geschichten auf seinem Instrument erzählt. So geht es durch Klassiker des Great American Songbook von George Gershwin bis Hoagy Carmichael über Bossa-Novas von Antonio Carlos Jobim bis hin zu Balladen von Nord- bis Südamerika, vorgetragen mit dem nötigen Augenzwinkern, aber auch mit Seele und Kontemplation.

Über die kleinen Katastrophen des Lebens

Heiteres steht hier neben Traurigem, und wie Anna Czichowsky das eine wie das andere angeht, verrät viel über sie. Geht es um die kleinen Katastrophen des Lebens, etwa in „Everything Happens To Me“, das Tommy Dorsey einst mit dem jungen Frank Sinatra zum Broadway-Standard gemacht hat, so spornt sie ihre Begleiter zu einem Hauch mehr Dramatik an. Genau umgekehrt verfährt sie mit dem durch Mercedes Sosa bekanntgewordenen „Alfonsina y el mar“: Diese Tragödie über den Freitod der argentinische Schriftstellerin und Poetin Alfonsina Storni bewahrt sie mit wohldosierter Emotion vor zu viel Schwermut.

So feiern die Theaterhaus-Gäste Anna Czichowsky nach rund neunzig Minuten für beides: mal als temperamentvolle Scat-Könnerin, mal als einfühlsame Geschichtenerzählerin.