Manche Arbeitgeber verzweifeln fast: Sie haben Stellen zu vergeben, aber keiner bewirbt sich. Besonders groß ist der Nachwuchsmangel beim Dachdeckerhandwerk. Einsteiger haben hervorragende Karrierechancen.

Salach - Schwindelfrei muss er sein. Wenn Sebastian Roffeis hoch über dem Boden auf einem Dach steht und drei bis fünf Kilogramm schwere Ziegel in der Hand hält, ist ein gutes Gleichgewichtsgefühl gefragt. Der 28-Jährige hat nach der Schule eine Lehre als Dachdecker begonnen und arbeitet gerne in seinem Beruf. Vor einem Jahr hat er die Meisterprüfung bestanden. An der Arbeit schätzt er vor allem die Zusammenarbeit mit den Kollegen auf den Baustellen und die Tradition des Handwerks. „Wir schaffen etwas, das bestehen bleibt“, erklärt der Dachdeckermeister. Hinzu komme, dass die Arbeit sehr vielseitig sei. Am einen Tag könne er auf einem Flachdach arbeiten, am nächsten Tag sei der Ausbau eines Dachgeschosses mit Wärmedämmung, eine Solaranlage oder eine Dachbegrünung gefragt.

 

Los geht es in jedem Fall früh, um 6.45 Uhr besprechen sich die Mitarbeiter der Firma Dach Werkstatt Küpper in Salach. Die Handwerker werden in Teams eingeteilt und die Firmenfahrzeuge mit Material beladen, bevor es zur Baustelle geht. Dass die Branche kaum noch Nachwuchs findet, weiß die Geschäftsführerin Barbara Küpper nur allzu gut. In den vergangenen zwei Jahren wurden von vier Lehrstellen nur zwei besetzt. „Viele wollen nach der Schule studieren. Die wenigsten denken ans Handwerk“, sagt sie. Die Arbeit sei körperlich anstrengend, und in der Industrie würden höhere Gehälter bezahlt. Laut der Bundesagentur für Arbeit verdient ein Dachdecker in Baden-Württemberg durchschnittlich 3000 Euro brutto im Monat.

Wichtig ist ein guter persönlicher Eindruck

Der Beruf hat laut Küpper kein gutes Image. Sie wisse das aus eigener Erfahrung. Als ihr Sohn seine Ausbildung im elterlichen Betrieb begonnen habe, seien die Kommentare aus dem Freundes- und Bekanntenkreis nicht nur positiv gewesen. „Man hat keine saubere Hose an“, wie Küpper sagt. Dabei biete eine Arbeit als Dachdecker gerade jetzt hervorragende Job- und Karrierechancen bei einer vergleichsweise geringen Einstiegshürde. Wer mindestens einen Hauptschulabschluss habe, könne eine Lehre beginnen. „Die Noten sind zweitrangig“, sagt sie. Der Betrieb habe auch gar nicht die Auswahl: „Man muss froh sein, wenn überhaupt jemand kommt. Es gibt einen extremen Bewerbermangel.“

Wichtig sei ihr bei Bewerbern ein guter persönlicher Eindruck. Wer momentan in die Branche einsteigen möchte, hat gute Aufstiegschancen. Nach der Lehre kann es weitergehen: mit der Gesellenprüfung etwa und dem Besuch einer Meisterschule. Die einst vorgeschriebenen Gesellenjahre vor der Meisterprüfung gibt es nicht mehr. Außerdem können sich Dachdecker zu Bauleitern und Bautechnikern weiterbilden. Vor allem in der Bauleitung werden händeringend Mitarbeiter gesucht. „Es gibt Betriebe, die sich überlegen zuzumachen“, berichtet Küpper. In ihrem eigenen Unternehmen wurde die Zahl der Mitarbeiter verringert, von 42 im Jahr 2015 auf momentan 30. Die Firma Dach Werkstatt Küpper sucht ebenfalls einen Bauleiter. Falls niemand gefunden werde, könnten im schlimmsten Fall vorhandene Aufträge nicht mehr bearbeitet werden, erklärt die Geschäftsführerin.

Das Fitnessstudio kann man sich sparen

Nach der Fahrt vom Firmengebäude auf die Baustelle werden die Arbeiten verteilt. Dann geht es mit dem Aufzug hoch aufs Dach. „Jeder hat seine Aufgabe“, sagt Sebastian Roffeis. In Weißenstein wird das Dach einer Kirche neu gedeckt. Dass die Arbeit anstrengend ist, sagt auch er. Aber man gewöhne sich daran – ebenso, wie an das viele Arbeiten im Freien. Im Sommer wird es auf den Dächern zuweilen ziemlich heiß. „Eine Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio kann man sich ebenso sparen, wie einen Besuch im Solarium“, scherzt Roffeis. Gearbeitet werde fast immer im Freien – außer bei Regen und Schnee. Das müsse man mögen.

Weil zur kalten Jahreszeit oft nicht im Freien gearbeitet werden kann, sammeln Dachdecker im Sommer Überstunden an, die über den Winter abgebaut werden. Am Nachmittag ist Feierabend. Dann sitzen die Kollegen gern noch beisammen. Sie organisieren auch Ausflüge, Grillfeste oder ab und zu ein Fußballturnier. „Ein gutes Arbeitsklima ist bei uns wichtig“, sagt Roffeis.