Nirgendwo sonst gibt es so viele tägliche Serien wie in Deutschland. Zwölf Serien buhlen Tag für Tag um die Gunst des Publikums.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Weltweit ist das einmalig: nirgendwo sonst gibt es so viele tägliche Serien wie in Deutschland. Zwar bleibt demnächst mit "Marienhof" eine der ältesten Daily Soaps auf der Strecke, doch dafür startet mit "Herzflimmern" schon die nächste. Inklusive der Regionalserie "Dahoam is dahoam" (Bayerisches Fernsehen) wetteifert seit der erfolgreichen Einführung der Telenovelas auf dem hiesigen Markt aktuell ein Dutzend tägliche deutsche Serien um die Gunst des Publikums. Auch das große Angebot hat nichts an der Soap-Begeisterung der Deutschen geändert; selbst wenn Joachim Kosack, Leiter Deutsche Fiction bei Pro Sieben Sat1 TV, von einem "enormen Verdrängungswettbewerb" spricht.

 

Dass die ARD "Marienhof" einstellt, hat auch für Rainer Wemcken in erster Linie strukturelle Gründe. Der öffentlich-rechtliche Sender (Durchschnittsalter der Zuschauer: sechzig Jahre) hat nach Ansicht des Geschäftsführers von Grundy UFA "generell viel junges Publikum verloren. Außerdem ist das Angebot der kommerziellen Konkurrenz um diese Uhrzeit mittlerweile ungleich vielfältiger als früher." Grundy UFA, hierzulande seit Jahren die erste Adresse für tägliche Serien, produziert neben "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" (seit 1992) für RTL auch "Unter uns" (1994) und "Alles was zählt" (2006) sowie für die ARD "Verbotene Liebe" (seit 1992).

Auch US-Serien sind Konkurrenten

Wemcken argumentiert weiter: "Die vier etablierten Dailys sind früher nie direkt gegeneinander gelaufen. Heute machen sich die ARD-Serien und die Sat-1-Telenovelas die Zuschauer streitig." Um das Zeitbudget des Publikums konkurrierten zudem noch US-Serien wie "Die Simpsons" (Pro Sieben). Nicht zu unterschätzen seien auch RTL-Formate wie "Familien im Brennpunkt". "Das ist zwar ,Scripted Reality' und scheinbar ein ganz anderes Genre, aber das Werkzeug, mit dem dort gearbeitet wird, ist das gleiche: Emotionen."

Dennoch hat die Einführung der Telenovela den Wettbewerb am stärksten verschärft. Erstes Format war 2004 "Bianca - Wege zum Glück" (Grundy UFA für das ZDF). Aus Sendersicht stellen die TV-Romane eine Herausforderung dar, weil man nach dem Ende des Zyklus wieder von vorn anfangen müsse, erklärt Wemcken: "Die Zuschauer wissen, es gibt einen überschaubaren Handlungsbogen, und nutzen den Abschluss, um auszusteigen.

Das ist der Unterschied zur Daily Soap, bei der man von vornherein weiß: Es geht immer weiter." Kosack bestätigt dies: "Vor zehn Jahren war man auf Gedeih und Verderb Fan von ,GZSZ'. Heute werden Ausstiegschancen sofort genutzt. Wenn ein großer Erzählbogen zu Ende geht oder gar ein Format endet, verabschieden sich daher viele Zuschauer."

Eng definierte Zielgruppen sind der falsche Weg

Sat 1 musste das im letzten Jahr erfahren, als Jeanette Biedermann zu "Anna und die Liebe" (Producers at Work, seit 2008) zurückkehrte, die Quoten aber trotzdem erst mal runtergingen. "Es ist ein permanenter Erosionsprozess", sagt Kosack. Erschwerend komme hinzu, dass sich Soapfans im Schnitt "nicht mehr als zweieinhalb tägliche Serien regelmäßig anschauen. Es gibt in Deutschland ein Potenzial von sechs Millionen Soap-affinen Zuschauern.

Da bleibt ein gewisser Kannibalisierungseffekt bei elf täglichen Serien nicht aus." Mit Respekt verweist Kosack allerdings auf die Ausnahme "Sturm der Liebe" (ARD, seit 2005), bei der frische Erzählstränge regelmäßig "vorgeglüht" würden: "Die neue Geschichte wird schon eingeführt, bevor die alte zu Ende ist."

Übergänge werden fließend

Das sei natürlich kein Zufall, sondern "Teil des dramaturgischen Konzepts", erläutert Bavaria-Produzentin Bea Schmidt: "Ursprünglich war die Serie auf 100 Folgen angelegt, dann wurden es 150 und 200, bis schließlich klar war: das kann noch viel länger dauern. Wir haben uns sehr zeitig überlegt, wie und wann wir ein neues Paar einführen." Übergange würden jeweils fließend integriert: "Wenn der eine Bogen zu Ende erzählt ist, sollen die Zuschauer schon mit mindestens halbem Herzen dem nächsten folgen."

Schmidts Philosophie könnte als Fingerzeig für die ARD dienen, wie man am Vorabend das gewünschte Publikum bekommt: indem man sich finden lässt. Im Unterschied zu den Daily Soaps richtet sich "Sturm der Liebe" nicht dezidiert an die junge Zielgruppe - und liegt laut Schmidt bei den 14- bis 49-Jährigen "regelmäßig deutlich über dem Senderschnitt".

Bea Schmidt spricht von "Daily Novelas"

Sie hält daher das Produzieren für eng definierte Zielgruppen gerade bei einem öffentlich-rechtlichen Sender für den falschen Weg: "Am Vorabend wurde in der ARD sehr stark auf werberelevante Zuschauer geachtet, das hat nicht zum Ziel geführt. Viele Themen sind generationenübergreifend, andere kann man gar nicht behandeln, wenn man bei seinen Figuren eine bestimmte Altersgruppe ausschließt."

Bei "Sturm der Liebe" reicht das Rollenspektrum von Mitte zwanzig bis Mitte siebzig. Natürlich ist die Serie streng genommen gar keine Telenovela, schließlich erzählen die TV-Romane abgeschlossene Geschichten. Bea Schmidt spricht daher von einer "Daily Novela". Mit der sogenannten Medical Daily "Herzflimmern" gibt es von Montag an im ZDF eine weitere Spielart des Genres (siehe "Es menschelt, was das Zeug hält"). Bis zum Ende von "Marienhof" werden dann zwölf deutsche Dailys auf Sendung sein. Vermutlich könnte Joachim Kosack auf so viel Konkurrenz gut verzichten. Trotzdem sagt er: "Das ist doch großartig. Kein anderer Fernsehmarkt hat so viele Formate in dieser Qualität zu bieten."

Es menschelt, was das Zeug hält

Am Montag startet "Herzflimmern - Die Klinik am See", eine neue Serie rund um private Schicksale und Medizindramen.

Vollmundig kündigt das ZDF seine neue tägliche Serie „Herzflimmern – Die Klinik am See“ als Novum im deutschen Fernsehen an. Denn eine „Medical Daily“, also die Kombination Ärzte-Soap, die bisher nur im wöchentlichen Format zu haben war, plus tägliche Serie rund um einen Familienkosmos, das habe es bisher noch nicht gegeben.

Das mag an sich korrekt sein, ein revolutionäres Fernseherlebnis beschert „Herzflimmern“ seinen Zuschauern trotzdem nicht, da können Titelsong und Intro noch so locker-flockig-frech daherkommen. Was sich hinter den Türen der oberbayerischen Klinik auftut, die wie ein Schloss in einer Postkartenlandschaft thront, ist altbewährtes Serienallerlei: es geht um Liebe, Lust und Ehefrust, Krankheit, Tod und Lebensglück, um fiese Intrigen und große Freundschaft, kurz: es menschelt, was das Zeug hält, ebenso konfliktträchtig wie rührselig.

Das Drehbuchautorenteam legt Köder aus

Um private Schicksale mit Krankenhausdramen zu verknüpfen, stellt die Familie der ärztlichen Direktorin, Professorin Johanna Lindner (Bettina Redlich), das halbe Klinikpersonal – eine unrealistische Konstellation, die jeder geübte Serienzuschauer trotzdem ohne Murren hinnehmen wird. Auch Johannas älterer Sohn Markus (Sven Waasner) sowie dessen Freundin Marie Egger (Nova Meierhenrich) tragen den weißen Kittel, Opa Alois hilft als Mädchen für alles aus, und in der zweiten Folge landet der jüngere Sohn der Chefin nach einem Fahrradunfall auf dem OP-Tisch. Schon in der Auftaktfolge hat Dr. Stefan Jung (Jan Hartmann) seinen ersten sympathischen Auftritt und wiederholte Begegnungen mit der kurz vor ihrer Hochzeit stehenden Marie.

So legt das Drehbuchautorenteam um Jürgen Werner routiniert Köder aus – 15 Prozent des TV-Publikums sollen anbeißen, so zumindest die Erwartung in Mainz. Überzogen? Nicht unbedingt: Darsteller, Dramaturgie, Plot – alles solide. Und der Fernsehzuschauer ist schließlich ein Gewohnheitstier.