Obwohl die Lkw-Hersteller in Europa konjunkturellen Gegenwind haben, läuft das Geschäft bei Daimler gut, wie Daimler-Vorstand Andreas Renschler im StZ-Interview berichtet.

Stuttgart - Die europäischen Lastwagenhersteller spüren konjunkturellen Gegenwind, doch Daimler bleibt zuversichtlich. Die Lkw-Sparte des Stuttgarter Konzerns ist weltweit gut aufgestellt, meint Daimler-Vorstand Andreas Renschler. Lastwagen mit alternativen Antrieben bleiben seiner Meinung nach jedoch bis auf Weiteres nur eine Randerscheinung, weil sie noch zu teuer sind, und das Transportgewerbe knapp kalkulieren muss.
Herr Renschler, am 20. September beginnt die Nutzfahrzeugmesse IAA, die ein Barometer für das Geschäftsklima ist. Beim letzten Mal 2010 kamen die Lkw-Hersteller gerade aus der Krise, jetzt zeichnen sich schon wieder dunkle Wolken in Westeuropa ab. Wie wird die Stimmung in diesem Jahr sein?
Die Nutzfahrzeugbranche wurde in der Tat ziemlich gebeutelt in der Krise 2008/09. Der Markt war damals um fast 50 Prozent eingebrochen. Bis heute haben wir das Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht. Wir haben zwar Zuwächse gehabt, aber lange nicht so stark wie in anderen Branchen. Deshalb würde ich sagen: die Stimmung ist verhalten optimistisch.

Wie entwickelt sich der Markt in Westeuropa?
Die Diskussion über den Euro und die Staatsschuldenkrise führt ohne Frage zu einer Verunsicherung der Kunden. Gerade in Südeuropa gibt es dramatische Einbrüche bei den Bestellungen. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir in Europa in diesem Jahr einen Rückgang des Marktes um bis zu zehn Prozent nicht ausschließen können. In diesem Rahmen wird es auch bleiben.

Wie stark trifft dies Daimler?
Der Einbruch in Südeuropa trifft uns nicht so sehr, weil dort traditionell andere Lkw-Hersteller die Platzhirsche sind, die es stärker trifft. Zudem profitieren wir davon, dass wir weltweit gut aufgestellt sind. Wir rechnen weiterhin damit, dass wir in diesem Jahr weltweit mehr Lastwagen verkaufen können als 2011. Nordamerika läuft sehr gut, per Juli konnten wir unseren Absatz im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Drittel steigern. Japan hat sich gut erholt, auch mit Russland und China sind wir insgesamt zufrieden. Von Januar bis Juli haben wir weltweit 268 344 Lastwagen verkauft, 23 Prozent mehr als vor einem Jahr.

Märkte wie Nordamerika oder Japan sorgen aber nicht für Beschäftigung an den heimischen Standorten, wie etwa im Lkw-Werk Wörth. Wie sieht es hier aus?
Die Beschäftigung ist stabil, die Arbeitszeitkonten sind im positiven Bereich. Mit der neuen Generation unseres Flaggschiffs Actros spüren wir hier eine gewisse Sonderkonjunktur. Unsere Auftragseingänge in Westeuropa liegen im Plan. Und wir gewinnen Marktanteile hinzu.

Gibt es einen Einstellungsstopp?
Nein, wir stellen weiterhin ein, allerdings sehr restriktiv, wie bisher schon.

In den kommenden Jahren soll der Absatz deutlich zunehmen. Die Impulse kommen dabei wohl vor allem von aufstrebenden asiatischen Schwellenländern. Wird das Wachstum nur Jobs im Ausland schaffen oder auch an den heimischen Standorten?
Wir wollen auch in der Triade, den klassischen Märkten wachsen. Aber richtig ist, dass Wachstum Jobs sichert und auch neue schafft. Und das nicht nur in der Entwicklung und Verwaltung, sondern auch in der Produktion, denn über unser globales Produktionsnetzwerk bei Aggregaten und Komponenten arbeiten alle unsere Werke eng zusammen. Deshalb eindeutig ja, vom Wachstum außerhalb unserer angestammten Märkte haben auch die heimischen Werke etwas.

In Indien ist in diesem Jahr die Fertigung von Lastwagen der neuen Marke Bharat-Benz angelaufen. Wie sind die Erwartungen auf diesem Zukunftsmarkt?
In Indien sehe ich Riesenchancen. Indien ist der zweitgrößte Nutzfahrzeugmarkt der Welt. Die ersten Fahrzeuge wurden bereits an Kunden ausgeliefert. Bisher ist alles nach Plan gelaufen. In den nächsten anderthalb Jahren bringen wir ein komplettes Angebot an Lastwagen in den verschiedenen Gewichtsklassen auf den Markt. Zudem müssen wir schnell ein Vertriebs- und Servicenetz in der Fläche aufbauen. Das ist eine große Herausforderung. Doch ich bin zuversichtlich. Das Produkt stimmt, das Werk stimmt, die Produktion ist gut angelaufen. Die Lastwagen haben zwar eine einfachere Technik als die Trucks, die auf deutschen Autobahnen unterwegs sind. Aber für Indien passen sie genau und bieten zum Beispiel beim Spritverbrauch einen klaren Vorteil gegenüber den Fahrzeugen der großen Wettbewerber Tata oder Ashok Leyland. Wir wollen und werden den indischen Größen damit Konkurrenz machen.

Indien, Russland und China gelten als die großen Zukunftsmärkte. In Indien steht Daimler in den Startlöchern, in Russland haben Sie die Partnerschaft mit Kamaz erweitert, in China gibt es große Pläne mit Foton. Gibt es jetzt noch weiße Flecken auf der Weltkarte?
Wenn man die Landkarte so anschaut, fühlen wir uns in den wichtigsten Zukunftsmärkten Indien, Russland und China jetzt gut aufgestellt. Ein weißer Fleck ist Afrika, doch dieser Kontinent ist so zersplittert und die einzelnen Märkte so klein, dass ich hier keine Produktion im großen Stil sehe. Wir haben sicher noch Nachholbedarf bei unserer Marktposition in einigen Ländern, aber die werden wir nicht durch eine lokale Produktion steigern. Dafür können wir unser bestehendes globales Produktionsnetzwerk nutzen. Jetzt gilt es unser Engagement, das wir in letzter Zeit in Indien, Russland und China aufgebaut haben, weiter voranzutreiben.

Sie haben für die Truck-Sparte ein neues Effizienzprogramm gestartet, das bis 2014 zusätzliche Einnahmen und Kostensenkungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro bringen soll. Welches sind hier die größten Brocken?
Es handelt sich hierbei um eine Optimierungs- und Wachstumsinitiative. Den wichtigsten Beitrag bringt die Umsetzung unserer Baukastenstrategie, die wir in den vergangenen Jahren mit viel Geld vorangetrieben haben. Wir haben beispielsweise den neuen schweren Motor entwickelt, der weltweit in den Fahrzeugen unterschiedlicher Marken eingesetzt wird. Wir haben dieses Weltkonzept zunächst in Amerika bei Freightliner verwendet,dann bei Fuso in Japan, jetzt wird der Motor auch beim neuen Actros von Mercedes-Benz eingebaut. Weitere Lastwagen-Baureihen werden folgen. Damit kommen wir auf viel größere Stückzahlen, was Kosten senkt. Das Effizienzprogramm wird uns dabei helfen, unser Ziel einer Umsatzrendite von acht Prozent ab 2013 nachhaltig abzusichern.

Bei einem Investorentag haben Sie gesagt, dass mit diesem Effizienzprogramm auch die Lücke zu den regionalen Champions geschlossen werden soll. In Europa gilt Scania als Champion mit der höchsten Rendite. Was macht Scania besser als Mercedes-Benz?
Das Unternehmen hat sich voll auf schwere Lastwagen spezialisiert, während Mercedes-Benz die ganze Bandbreite anbietet. Dennoch traue ich Mercedes-Benz Trucks zu, bei der Rendite in die Richtung von Scania zu marschieren. Dazu werden unsere neuen Produkte beitragen, die Erschließung neuer Marktsegmente, aber auch Verbesserungen im Vertrieb, wie etwa der Aufbau separater Nutzfahrzeugstandorte, die verkehrsgünstig liegen.

Scania wird jetzt mit MAN und VW unter dem Dach des Wolfsburger Autoriesen vereint. Wie wird dieser neue Verbund den Wettbewerb verändern?
Es entsteht ja kein neuer Wettbewerber. Es sind zwei bereits bestehende Unternehmen, die jetzt zusammengespannt werden, was sicher mit dem einen oder anderen Leidensdruck verbunden sein wird. Wir haben bei Freightliner und Fuso unsere eigenen Erfahrungen gemacht, dass das alles nicht so einfach ist. Wir nehmen jeden Wettbewerber ernst, aber wir sehen es mit einer gewissen Gelassenheit. Auch die Übernahme des Nutzfahrzeugherstellers Renault durch Volvo hat gezeigt, dass eins plus eins nicht automatisch drei ergibt, wenn man die Entwicklung der Marktanteile betrachtet.

Matthias Wissmann, der Präsident des Verbands der Automobilindustrie, hat angekündigt, dass die alternativen Antriebe eines der großen Themen auf der IAA sein werden. Daimler hat ja schon einige Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt. Wie beurteilen Sie die Marktchancen?
Es gibt bei der Antriebstechnik keine Einheitslösung. Deshalb fahren wir weiter mehrgleisig. Der Dieselantrieb wird weiterhin die entscheidende Rolle spielen, weil er bei den Lastwagen für viele Zwecke heute noch die einzige technische Antwort ist. Deshalb gilt es hier, den Verbrauch weiter zu reduzieren. Beim neuen Actros ist uns das gut gelungen, und auf diesem Weg werden wir weiter vorankommen. In Amerika gewinnen zudem auch Gasfahrzeuge an Bedeutung, weil durch die Erschließung neuer Quellen der Gaspreis deutlich sinkt.

Und wie sieht es mit dem Hybridantrieb aus, also der Kombination von Verbrennungs- und Elektromotor? Der Mercedes-Benz Atego mit Hybridantrieb ist bei der letzten IAA zum besten Lastwagen des Jahres gekürt worden. Wie läuft der Verkauf?
Die Nachfrage war anfangs höher als heute. Der Atego ist zwar der meistverkaufte Lastwagen mit Hybridantrieb in Europa. Allerdings handelt es sich dabei nur um dreistellige Stückzahlen.

Was bremst den Absatz?
Im Transportgewerbe sind die Margen sehr knapp. Die Spediteure müssen knapp kalkulieren. Sie rechnen immer: Was kostet der Transport einer Tonne pro Kilometer, und da schneidet der Hybridantrieb bisher schlechter ab als der Diesel. Solange dem Kunden kein Angebot für einen alternativen Antrieb gemacht werden kann, das sich in seiner Klasse auszeichnet, werden sich die Transportunternehmer schwertun umzusteigen. Wir arbeiten aber an diesem Thema. Wir haben beispielsweise in Berlin ein Müllfahrzeug mit Hybridantrieb im Test. Dies läuft bisher sehr positiv. Zudem kommt jetzt der leichte Lkw Fuso Canter mit Hybridantrieb in Europa auf den Markt, der in Japan sehr erfolgreich ist. Von diesem Lastwagen ist in Japan bereits die dritte Generation auf dem Markt. Zudem erreichen wir damit in Japan schon Stückzahlen in einer Größenordnung, die auch attraktive Preise in Europa ermöglichen. Wir glauben, dass wir damit gute Chancen haben.