Im Mai 2019 scheidet Daimler-Chef Dieter Zetsche aus. Er ist seit seinem Amtsantritt 2006 selbst zur Marke geworden.

Stuttgart - Schnelligkeit ist Trumpf in modernen Unternehmen, aber manchmal braucht es doch ein wenig Zeit, bis eine Nachricht die Mitarbeiter erreicht. Lief die Börsenmeldung über den geplanten Wechsel von Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche in den Aufsichtsrat am Mittwoch schon um 9.41 Uhr über den Ticker, so kam die Nachricht via Intranet bei den Beschäftigten mit Verspätung an. Einer, bei dem die Meldung um 10.18 Uhr eingegangen ist, nimmt das gleich zum Anlass für Spott: „So leistungsfähig ist unsere IT!“, sagt er.

 

Ernsthafte Kritik hört sich natürlich anders an, denn der Konzern hat in den zurückliegenden Monaten bereits alle Beteiligten auf diese Personalie eingestimmt. Überraschungsmoment? Fehlanzeige! Auch Zetsche selbst spricht nicht von einer Zäsur, sondern von Kontinuität: „Ich bin begeistert von den Entwicklungen, die in Zukunft bei Daimler anstehen“, schreibt er. „Deshalb will ich gerne weiterhin meinen Teil zum Gelingen dieser Reise beitragen.“ So wie in den 42 Jahren zuvor auch, denn Zetsche hat seit seinem Start in der Forschung 1976 nie den Konzern verlassen.

Er hat die schlechten nachrichten persönlich überbracht

So ruhig wie jetzt ist es in der Vergangenheit freilich nicht immer zugegangen, wenn sich der Daimler-Aufsichtsrat mit dem Vorstandsvorsitzenden beschäftigen musste. So war die Bestellung von Dieter Zetsche zum Vorstandschef zumindest bei seinem Vorgänger Jürgen Schrempp keineswegs unumstritten; der hätte lieber seinen Intimus Eckhard Cordes (später Metro-Chef) an der Spitze gesehen.

Und der Start war schwierig. Kaum im Amt, musste Zetsche im Januar 2006 der Belegschaft in der damaligen Zentrale in Möhringen erklären, warum 6000 Mitarbeiter zu viel an Bord sind und der Firmensitz künftig wieder in Untertürkheim sein wird. Was ihm hoch angerechnet wurde: Er tat es nicht per Videobotschaft oder E-Mail, sondern persönlich im Forum auf dem Möhringer Gelände vor 1500 Mitarbeitern. Entsprechend wohlwollend wurde der kommunikative und umgängliche Zetsche aufgenommen.

Ein neuer Vertrag nur für drei Jahre

Seine bitterste Stunde erlebte er im Februar 2013 bei einer turbulenten Aufsichtsratssitzung. Auf dem Plan stand Zetsches Vertragsverlängerung um fünf Jahre – Routine, so schien es. Aber Betriebsratschef Erich Klemm drohte mit einem Veto, um den ungeliebten Produktionschef Wolfgang Bernhard loszuwerden. Das Ergebnis: Zetsches Vertrag wurde um drei Jahre verlängert, Bernhard bekam eine neue Aufgabe.

Der Vorgang markiert zugleich den Wendepunkt in Zetsches Karriere als Vorstandschef. Denn bis dahin tat sich der in Istanbul geborene und in Frankfurt aufgewachsene Manager schwer, aus dem Schatten seiner beiden Vorgänger zu treten. Jürgen Schrempp und vor ihm Edzard Reuter waren Manager, die Daimler mit ihren ganz unterschiedlichen Strategien geprägt hatten. Schrempp wollte aus dem Konzern eine Welt-AG machen; Reuter hatte zuvor auf die Idee eines integrierten Technologiekonzerns gesetzt. So wie Schrempp Reuters Konzept abwickelte, so beendete Zetsche Schrempps Traum vom globalen Autobauer – und trennte sich von dem US-Hersteller Chrysler, an dessen Spitze er selbst fünf Jahre lang gestanden hatte. Und Zetsches Ambition? Er wollte ganz einfach nur möglichst viel gute Autos mit dem Stern auf der Haube bauen und verkaufen. „Das Beste oder nichts“, dieser Ausspruch von Gottlieb Daimler wurde zum Markenslogan – und von Neidern und Konkurrenten jedes Mal genüsslich zitiert, wenn irgendetwas schiefgegangen war.

2017, das erfolgreichste Jahr aller Zeiten

Anfangs schrumpften die Gewinne in der dominierenden Sparte Personenwagen. Zudem lösten weitere Sparprogramme in der Belegschaft nicht gerade Begeisterung aus. Aber langsam zahlte sich die durchgehende Erneuerung der Modellpalette aus. Bis 2020, so gab Zetsche vor, wolle man die Konkurrenten BMW und Audi, die in den Jahren zuvor vorbeigezogen waren, wieder überholen. Dieses Ziel erreichte Zetsche schneller als erwartet, bereits 2016 lag Daimler beim Absatz ganz vorne, so dass BMW den Spitzenplatz nach zehn Jahren wieder räumen musste. 2017 war dann für Mercedes das erfolgreichste Jahr aller Zeiten. Einen großen Beitrag hierzu haben die Geländewagen, genannt SUV, geleistet, die aber aufgrund ihrer Verbrauchswerte nicht unumstritten sind.

Die Bilanz für das vorige Jahr hätte prächtig zum Ende einer erfolgreichen Karriere gepasst. Aber Zetsche wird noch bis zur Hauptversammlung im Mai 2019 im Amt bleiben – und sieht sich in jüngster Zeit verstärkt wieder mit unerfreulichen Themen konfrontiert – vom Dieselskandal, der auch die Stuttgarter berührt, bis zur Korrektur der Gewinnprognose nach unten im Juni.

Dieter Zetsche zeigt sich in Stuttgart

Das hat bisher aber wenig an der unangefochtenen Stellung von Zetsche im Konzern geändert. Und er kommt sogar noch lockerer rüber als früher, auch wenn er bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer zum Rapport antreten muss. Und das liegt nicht nur an seinem imposanten Schnauzbart, den er auch für Scherze einsetzt, so wie im vorigen Jahr in einem Weihnachtsvideo für die Belegschaft. „Zetsche ist mittlerweile selbst eine Marke“, hat „Werben & Verkaufen“, das Magazin für die Kommunikationsbranche, hierzu geschrieben. Seine Grußbotschaft mische ein erstaunliches Maß an Selbstironie mit besinnlichen Weisheiten, heißt es.

Authentisch wirkt Zetsche, der 2016, sechs Jahre nach dem Krebstod seiner ersten Frau, wieder geheiratet hat, auch wegen seiner Unbefangenheit. Zwar hat er stets Leibwächter im Schlepptau, aber in Stuttgart ist der groß gewachsene, schlanke Manager durchaus häufig privat zu sehen, sei es beim Bäcker, beim Shopping in der City oder auf dem Fahrrad.

Zetsche, ein „Posterboy“?

Seit Zetsche vor ein paar Jahren mit 100 Topmanagern des Konzerns im Silicon Valley war, um das Erfolgsgeheimnis der Internetkonzerne zu ergründen, hat sich sein Auftritt geändert, die Einheitskleidung des seriösen Managers – Anzug, weißes Hemd, Krawatte – hat ausgedient. Er präsentiert sich fast nur noch mit offenem Hemdkragen, Jeans und Sneakers. Manch einem bei Daimler ist das zu viel Show, die Rede ist gar von Zetsche als einem „Posterboy“ des deutschen Managements.

Modern gibt sich Zetsche auch im Internet mit Social-Media-Aktivitäten, womit der 65-Jährige eine Ausnahme unter den Topmanagern bildet. Die Internetzeitung „Business Insider“ hat ermittelt, dass Zetsche zu den sieben Chefs der Dax-30-Konzerne gehört, die bei Twitter oder den Karriereportalen Linked-In und Xing vertreten sind. Er lag 2017 mit 80 000 Linked-In-Kontakten hinter SAP-Chef Bill McDermott auf Platz zwei. Bei Twitter heißt es auf Zetsches persönlicher Seite freilich: „This account ist currently inactive.“